Aenderungen erleidet, welche zugleich seine Beziehungen zur Nachbarschaft ändern, und ihn in die Lage setzen, aus seiner Nachbarschaft, sei dies ein Blutgefäss oder ein anderer Kör- pertheil, eine grössere Quantität von Stoffen an sich zu ziehen, aufzusaugen, und je nach Umständen umzusetzen. Jede Form von Entzündung, welche wir kennen, findet darin ihre natür- liche Erklärung. Jede kommt darauf hinaus, dass sie als Entzündung beginnt von dem Augenblicke an, wo diese ver- mehrte Aufnahme von Stoffen in das Gewebe erfolgt und die weitere Umsetzung dieser Stoffe eingeleitet wird.
Diese Auffassung verträgt sich in einem gewissen Maasse, wie Sie wohl sehen, mit derjenigen, welche man vom Stand- punkt der vasculären Theorie aus behauptet hat, wonach man als unmittelbare Folge der Hyperämie das Exsudat betrachtet, und annimmt, dass die Entzündung, wenn sie declarirt sei, durch die Anwesenheit eines der natürlichen Mischung des Theiles mehr oder weniger fremdartigen Stoffes sich characte- risire. Es fragt sich nur, ob wirklich die Hyperämie die Ein- leitung zu diesen Vorgängen bilde.
Wäre die Entzündung nothwendig gebunden an die Hyperämie, so begreifen Sie wohl, dass es unmöglich sein würde, von Entzündungen in Theilen zu sprechen, welche nicht in einer unmittelbaren Beziehung zu Gefässen stehen. Wir könnten uns nicht vorstellen, dass eine Entzündung in einer gewissen Entfernung von einem Gefässe geschähe. Es würde vollständig unmöglich sein, von einer Hornhautentzün- dung zu sprechen (abgesehen vom Rande der Hornhaut), von einer Knorpelentzündung (abgesehen von den zunächst an den Knochen stossenden Theilen), von einer Entzündung der inne- ren Sehnensubstanz. Vergleichen wir aber die Vorgänge solcher Theile mit den gewöhnlichen, so stellt sich unzweifel- haft heraus, dass dieselben Vorgänge der Entzündung an allen diesen Theilen vorkommen können, und dass die Veränderun- gen der gefässhaltigen von denen der gefässlosen sich in keiner Weise unterscheiden lassen.
Wie Sie wissen, hat man in der Auffassung der entzünd- lichen Exsudate insofern Concessionen machen müssen, als man manchen Prozess Entzündung nennt, welcher durch die
Siebzehnte Vorlesung.
Aenderungen erleidet, welche zugleich seine Beziehungen zur Nachbarschaft ändern, und ihn in die Lage setzen, aus seiner Nachbarschaft, sei dies ein Blutgefäss oder ein anderer Kör- pertheil, eine grössere Quantität von Stoffen an sich zu ziehen, aufzusaugen, und je nach Umständen umzusetzen. Jede Form von Entzündung, welche wir kennen, findet darin ihre natür- liche Erklärung. Jede kommt darauf hinaus, dass sie als Entzündung beginnt von dem Augenblicke an, wo diese ver- mehrte Aufnahme von Stoffen in das Gewebe erfolgt und die weitere Umsetzung dieser Stoffe eingeleitet wird.
Diese Auffassung verträgt sich in einem gewissen Maasse, wie Sie wohl sehen, mit derjenigen, welche man vom Stand- punkt der vasculären Theorie aus behauptet hat, wonach man als unmittelbare Folge der Hyperämie das Exsudat betrachtet, und annimmt, dass die Entzündung, wenn sie declarirt sei, durch die Anwesenheit eines der natürlichen Mischung des Theiles mehr oder weniger fremdartigen Stoffes sich characte- risire. Es fragt sich nur, ob wirklich die Hyperämie die Ein- leitung zu diesen Vorgängen bilde.
Wäre die Entzündung nothwendig gebunden an die Hyperämie, so begreifen Sie wohl, dass es unmöglich sein würde, von Entzündungen in Theilen zu sprechen, welche nicht in einer unmittelbaren Beziehung zu Gefässen stehen. Wir könnten uns nicht vorstellen, dass eine Entzündung in einer gewissen Entfernung von einem Gefässe geschähe. Es würde vollständig unmöglich sein, von einer Hornhautentzün- dung zu sprechen (abgesehen vom Rande der Hornhaut), von einer Knorpelentzündung (abgesehen von den zunächst an den Knochen stossenden Theilen), von einer Entzündung der inne- ren Sehnensubstanz. Vergleichen wir aber die Vorgänge solcher Theile mit den gewöhnlichen, so stellt sich unzweifel- haft heraus, dass dieselben Vorgänge der Entzündung an allen diesen Theilen vorkommen können, und dass die Veränderun- gen der gefässhaltigen von denen der gefässlosen sich in keiner Weise unterscheiden lassen.
Wie Sie wissen, hat man in der Auffassung der entzünd- lichen Exsudate insofern Concessionen machen müssen, als man manchen Prozess Entzündung nennt, welcher durch die
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Siebzehnte Vorlesung.
Aenderungen erleidet, welche zugleich seine Beziehungen zur
Nachbarschaft ändern, und ihn in die Lage setzen, aus seiner
Nachbarschaft, sei dies ein Blutgefäss oder ein anderer Kör-
pertheil, eine grössere Quantität von Stoffen an sich zu ziehen,
aufzusaugen, und je nach Umständen umzusetzen. Jede Form
von Entzündung, welche wir kennen, findet darin ihre natür-
liche Erklärung. Jede kommt darauf hinaus, dass sie als
Entzündung beginnt von dem Augenblicke an, wo diese ver-
mehrte Aufnahme von Stoffen in das Gewebe erfolgt und die
weitere Umsetzung dieser Stoffe eingeleitet wird.
Diese Auffassung verträgt sich in einem gewissen Maasse,
wie Sie wohl sehen, mit derjenigen, welche man vom Stand-
punkt der vasculären Theorie aus behauptet hat, wonach man
als unmittelbare Folge der Hyperämie das Exsudat betrachtet,
und annimmt, dass die Entzündung, wenn sie declarirt sei,
durch die Anwesenheit eines der natürlichen Mischung des
Theiles mehr oder weniger fremdartigen Stoffes sich characte-
risire. Es fragt sich nur, ob wirklich die Hyperämie die Ein-
leitung zu diesen Vorgängen bilde.
Wäre die Entzündung nothwendig gebunden an die
Hyperämie, so begreifen Sie wohl, dass es unmöglich sein
würde, von Entzündungen in Theilen zu sprechen, welche
nicht in einer unmittelbaren Beziehung zu Gefässen stehen.
Wir könnten uns nicht vorstellen, dass eine Entzündung in
einer gewissen Entfernung von einem Gefässe geschähe. Es
würde vollständig unmöglich sein, von einer Hornhautentzün-
dung zu sprechen (abgesehen vom Rande der Hornhaut), von
einer Knorpelentzündung (abgesehen von den zunächst an den
Knochen stossenden Theilen), von einer Entzündung der inne-
ren Sehnensubstanz. Vergleichen wir aber die Vorgänge
solcher Theile mit den gewöhnlichen, so stellt sich unzweifel-
haft heraus, dass dieselben Vorgänge der Entzündung an allen
diesen Theilen vorkommen können, und dass die Veränderun-
gen der gefässhaltigen von denen der gefässlosen sich in
keiner Weise unterscheiden lassen.
Wie Sie wissen, hat man in der Auffassung der entzünd-
lichen Exsudate insofern Concessionen machen müssen, als
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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/370>, abgerufen am 16.07.2024.
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