Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

Sechszehnte Vorlesung.
schon seit dem griechischen Alterthum an der Haut mit dem
Namen des Atheroms, des Grützbalges belegt hatte. Es ver-
steht sich also von selbst, dass der Begriff des Atheroms einen
geschlossenen Sack voraussetzt. Niemand hat etwas an der
Haut Atherom genannt, was offen zu Tage lag. Es war da-
her ein sonderbares Missverständniss, als man neuerlich anfing,
an den Gefässen auch solche Veränderungen Atherome zu
nennen, welche nicht abgeschlossen in der Tiefe liegen, son-
dern der Oberfläche angehören. So ist es gekommen, dass,
anstatt wie es ursprünglich gemeint war, einen geschlossenen
Heerd atheromatös zu nennen, man damit eine Veränderung
bezeichnete, welche an der innersten Arterienhaut ganz ober-
flächlich entstand. Als man anfing, die Sache feiner zu unter-
suchen und als man an sehr verschiedenen Punkten der Ge-
fässwand, sowohl bei Atherom, als ohne dasselbe, fettige Par-
tikeln fand (Fig. 113.), so schloss man, dass der Prozess der
fettigen Degeneration immer derselbe und mit der atheromatö-
sen Veränderung identisch sei. Nach und nach kam man da-
hin, sogar von einer atheromatösen Veränderung solcher Ge-
fässe zu sprechen, welche nur eine einfache Haut haben und
bei denen man allerdings auch auf fettige Prozesse stösst.
Man war um so mehr geneigt, diese Erweiterung des Begriffes
"Atherom" zuzugestehen, als nachgewiesen wurde, dass in der
That eine fettige Veränderung der Grund der atheromatösen
Erkrankung der Arterie ist.

Zu allen Zeiten hat es Beobachter gegeben, welche die
Ossification der Gefässe als eine mit dem Atherom zusammen-
gehörige Veränderung betrachteten. Haller und Krell glaub-
ten, dass die Ossification aus der atheromatösen Masse hervor-
ginge und dass die atheromatöse Masse ein Saft sei, welcher
ähnlich, wie der unter dem Periost des Knochens ausschwitzende
Saft, fähig sei, aus sich Knochenplatten zu erzeugen. Später
erkannte man, dass Atheromasie und Ossification zwei paral-
lele Vorgänge seien, welche aber auf einen gemeinschaftlichen
Anfang hinwiesen. Es wäre nun wohl logisch gewesen, wenn
man sich zunächst darüber geeinigt hätte, welches dieser ge-
meinschaftliche Anfang wäre, von dem die atheromatöse Ver-
änderung und die Ossification ausgingen. Statt dessen gerieth

Sechszehnte Vorlesung.
schon seit dem griechischen Alterthum an der Haut mit dem
Namen des Atheroms, des Grützbalges belegt hatte. Es ver-
steht sich also von selbst, dass der Begriff des Atheroms einen
geschlossenen Sack voraussetzt. Niemand hat etwas an der
Haut Atherom genannt, was offen zu Tage lag. Es war da-
her ein sonderbares Missverständniss, als man neuerlich anfing,
an den Gefässen auch solche Veränderungen Atherome zu
nennen, welche nicht abgeschlossen in der Tiefe liegen, son-
dern der Oberfläche angehören. So ist es gekommen, dass,
anstatt wie es ursprünglich gemeint war, einen geschlossenen
Heerd atheromatös zu nennen, man damit eine Veränderung
bezeichnete, welche an der innersten Arterienhaut ganz ober-
flächlich entstand. Als man anfing, die Sache feiner zu unter-
suchen und als man an sehr verschiedenen Punkten der Ge-
fässwand, sowohl bei Atherom, als ohne dasselbe, fettige Par-
tikeln fand (Fig. 113.), so schloss man, dass der Prozess der
fettigen Degeneration immer derselbe und mit der atheromatö-
sen Veränderung identisch sei. Nach und nach kam man da-
hin, sogar von einer atheromatösen Veränderung solcher Ge-
fässe zu sprechen, welche nur eine einfache Haut haben und
bei denen man allerdings auch auf fettige Prozesse stösst.
Man war um so mehr geneigt, diese Erweiterung des Begriffes
„Atherom“ zuzugestehen, als nachgewiesen wurde, dass in der
That eine fettige Veränderung der Grund der atheromatösen
Erkrankung der Arterie ist.

Zu allen Zeiten hat es Beobachter gegeben, welche die
Ossification der Gefässe als eine mit dem Atherom zusammen-
gehörige Veränderung betrachteten. Haller und Krell glaub-
ten, dass die Ossification aus der atheromatösen Masse hervor-
ginge und dass die atheromatöse Masse ein Saft sei, welcher
ähnlich, wie der unter dem Periost des Knochens ausschwitzende
Saft, fähig sei, aus sich Knochenplatten zu erzeugen. Später
erkannte man, dass Atheromasie und Ossification zwei paral-
lele Vorgänge seien, welche aber auf einen gemeinschaftlichen
Anfang hinwiesen. Es wäre nun wohl logisch gewesen, wenn
man sich zunächst darüber geeinigt hätte, welches dieser ge-
meinschaftliche Anfang wäre, von dem die atheromatöse Ver-
änderung und die Ossification ausgingen. Statt dessen gerieth

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0340" n="318"/><fw place="top" type="header">Sechszehnte Vorlesung.</fw><lb/>
schon seit dem griechischen Alterthum an der Haut mit dem<lb/>
Namen des Atheroms, des Grützbalges belegt hatte. Es ver-<lb/>
steht sich also von selbst, dass der Begriff des Atheroms einen<lb/>
geschlossenen Sack voraussetzt. Niemand hat etwas an der<lb/>
Haut Atherom genannt, was offen zu Tage lag. Es war da-<lb/>
her ein sonderbares Missverständniss, als man neuerlich anfing,<lb/>
an den Gefässen auch solche Veränderungen Atherome zu<lb/>
nennen, welche nicht abgeschlossen in der Tiefe liegen, son-<lb/>
dern der Oberfläche angehören. So ist es gekommen, dass,<lb/>
anstatt wie es ursprünglich gemeint war, einen geschlossenen<lb/>
Heerd atheromatös zu nennen, man damit eine Veränderung<lb/>
bezeichnete, welche an der innersten Arterienhaut ganz ober-<lb/>
flächlich entstand. Als man anfing, die Sache feiner zu unter-<lb/>
suchen und als man an sehr verschiedenen Punkten der Ge-<lb/>
fässwand, sowohl bei Atherom, als ohne dasselbe, fettige Par-<lb/>
tikeln fand (Fig. 113.), so schloss man, dass der Prozess der<lb/>
fettigen Degeneration immer derselbe und mit der atheromatö-<lb/>
sen Veränderung identisch sei. Nach und nach kam man da-<lb/>
hin, sogar von einer atheromatösen Veränderung solcher Ge-<lb/>
fässe zu sprechen, welche nur eine einfache Haut haben und<lb/>
bei denen man allerdings auch auf fettige Prozesse stösst.<lb/>
Man war um so mehr geneigt, diese Erweiterung des Begriffes<lb/>
&#x201E;Atherom&#x201C; zuzugestehen, als nachgewiesen wurde, dass in der<lb/>
That eine fettige Veränderung der Grund der atheromatösen<lb/>
Erkrankung der Arterie ist.</p><lb/>
        <p>Zu allen Zeiten hat es Beobachter gegeben, welche die<lb/>
Ossification der Gefässe als eine mit dem Atherom zusammen-<lb/>
gehörige Veränderung betrachteten. <hi rendition="#g">Haller</hi> und <hi rendition="#g">Krell</hi> glaub-<lb/>
ten, dass die Ossification aus der atheromatösen Masse hervor-<lb/>
ginge und dass die atheromatöse Masse ein Saft sei, welcher<lb/>
ähnlich, wie der unter dem Periost des Knochens ausschwitzende<lb/>
Saft, fähig sei, aus sich Knochenplatten zu erzeugen. Später<lb/>
erkannte man, dass Atheromasie und Ossification zwei paral-<lb/>
lele Vorgänge seien, welche aber auf einen gemeinschaftlichen<lb/>
Anfang hinwiesen. Es wäre nun wohl logisch gewesen, wenn<lb/>
man sich zunächst darüber geeinigt hätte, welches dieser ge-<lb/>
meinschaftliche Anfang wäre, von dem die atheromatöse Ver-<lb/>
änderung und die Ossification ausgingen. Statt dessen gerieth<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[318/0340] Sechszehnte Vorlesung. schon seit dem griechischen Alterthum an der Haut mit dem Namen des Atheroms, des Grützbalges belegt hatte. Es ver- steht sich also von selbst, dass der Begriff des Atheroms einen geschlossenen Sack voraussetzt. Niemand hat etwas an der Haut Atherom genannt, was offen zu Tage lag. Es war da- her ein sonderbares Missverständniss, als man neuerlich anfing, an den Gefässen auch solche Veränderungen Atherome zu nennen, welche nicht abgeschlossen in der Tiefe liegen, son- dern der Oberfläche angehören. So ist es gekommen, dass, anstatt wie es ursprünglich gemeint war, einen geschlossenen Heerd atheromatös zu nennen, man damit eine Veränderung bezeichnete, welche an der innersten Arterienhaut ganz ober- flächlich entstand. Als man anfing, die Sache feiner zu unter- suchen und als man an sehr verschiedenen Punkten der Ge- fässwand, sowohl bei Atherom, als ohne dasselbe, fettige Par- tikeln fand (Fig. 113.), so schloss man, dass der Prozess der fettigen Degeneration immer derselbe und mit der atheromatö- sen Veränderung identisch sei. Nach und nach kam man da- hin, sogar von einer atheromatösen Veränderung solcher Ge- fässe zu sprechen, welche nur eine einfache Haut haben und bei denen man allerdings auch auf fettige Prozesse stösst. Man war um so mehr geneigt, diese Erweiterung des Begriffes „Atherom“ zuzugestehen, als nachgewiesen wurde, dass in der That eine fettige Veränderung der Grund der atheromatösen Erkrankung der Arterie ist. Zu allen Zeiten hat es Beobachter gegeben, welche die Ossification der Gefässe als eine mit dem Atherom zusammen- gehörige Veränderung betrachteten. Haller und Krell glaub- ten, dass die Ossification aus der atheromatösen Masse hervor- ginge und dass die atheromatöse Masse ein Saft sei, welcher ähnlich, wie der unter dem Periost des Knochens ausschwitzende Saft, fähig sei, aus sich Knochenplatten zu erzeugen. Später erkannte man, dass Atheromasie und Ossification zwei paral- lele Vorgänge seien, welche aber auf einen gemeinschaftlichen Anfang hinwiesen. Es wäre nun wohl logisch gewesen, wenn man sich zunächst darüber geeinigt hätte, welches dieser ge- meinschaftliche Anfang wäre, von dem die atheromatöse Ver- änderung und die Ossification ausgingen. Statt dessen gerieth

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/340
Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/340>, abgerufen am 01.05.2024.