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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Vierzehnte Vorlesung.
webe, an welchem sich dies Verhältniss sehr klar verfolgen
lässt, an der Hornhaut, dass an Stellen, wo keine Gefässe
mehr hinreichen, allerdings noch Nerven liegen, welche eine
netzförmige Anordnung besitzen und kleinere und grössere
Gewebsbezirke zwischen sich lassen, welche vollkommen frei
von Nerven sind. Wenden wir nun irgend ein Reizmittel di-
rect auf die Hornhaut an, z. B. eine glühende Nadel oder
Lapis infernalis, so entspricht der Bezirk, welcher dadurch in
krankhafte Thätigkeit versetzt wird, keinesweges einer Nerven-
ausbreitung. Es ist uns einmal passirt, dass wir bei einem
Kaninchen durch das Cauterium gerade einen solchen Nerven-
faden trafen, allein die Erkrankung fand sich nur in der
nächsten Umgebung dieser Stelle, keinesweges im ganzen Ge-
biete des Nerven.

Man kann also, auch wenn man Erfahrungen, wie ich sie
vom Knorpel angeführt habe, nicht gelten lassen will, durch-
aus nicht umhin, zuzugeben, dass die Erscheinungen der Rei-
zung an nervenhaltigen Theilen keine anderen sind, als an
nervenlosen, und dass der nächste Effect wesentlich darauf be-
ruht, dass die umliegenden Elemente sich vergrössern, an-
schwellen, und wenn es ihrer viele sind, dadurch eine Ge-
schwulst des ganzen Theiles entsteht. Das ist es, was Sie
beobachten, wenn Sie irgendwo z. B. einen Ligaturfaden durch
die Haut hindurchstecken. Untersuchen Sie am folgenden
Tage die nächste Umgebung des Fadens, so haben Sie die
active Vergrösserung der zelligen Elemente, ganz unbeschadet
der Gefäss- oder Nervenverbreitungen, welche vorhanden sind.

Es liegt hier, wie Sie sehen, ein wesentlicher Unterschied
vor von denjenigen Ansichten, welche man gewöhnlich über
die nächsten Bedingungen dieser Schwellungen aufgestellt
hatte. Nach dem alten Satze: Ubi stimulus, ibi affluxus, dachte
man sich gewöhnlich, dass das Nächste, welches einträte, die
vermehrte Zuströmung des Blutes sei, welche von den Neuro-
pathologen wieder zurückgeführt wurde auf die Erregung sen-
sitiver Nerven, und dass dann die unmittelbare Folge der ver-
mehrten Zuströmung eine vermehrte Ausscheidung von Flüs-
sigkeit sei, welche das Exsudat constituire, das den Theil
erfüllt.


Vierzehnte Vorlesung.
webe, an welchem sich dies Verhältniss sehr klar verfolgen
lässt, an der Hornhaut, dass an Stellen, wo keine Gefässe
mehr hinreichen, allerdings noch Nerven liegen, welche eine
netzförmige Anordnung besitzen und kleinere und grössere
Gewebsbezirke zwischen sich lassen, welche vollkommen frei
von Nerven sind. Wenden wir nun irgend ein Reizmittel di-
rect auf die Hornhaut an, z. B. eine glühende Nadel oder
Lapis infernalis, so entspricht der Bezirk, welcher dadurch in
krankhafte Thätigkeit versetzt wird, keinesweges einer Nerven-
ausbreitung. Es ist uns einmal passirt, dass wir bei einem
Kaninchen durch das Cauterium gerade einen solchen Nerven-
faden trafen, allein die Erkrankung fand sich nur in der
nächsten Umgebung dieser Stelle, keinesweges im ganzen Ge-
biete des Nerven.

Man kann also, auch wenn man Erfahrungen, wie ich sie
vom Knorpel angeführt habe, nicht gelten lassen will, durch-
aus nicht umhin, zuzugeben, dass die Erscheinungen der Rei-
zung an nervenhaltigen Theilen keine anderen sind, als an
nervenlosen, und dass der nächste Effect wesentlich darauf be-
ruht, dass die umliegenden Elemente sich vergrössern, an-
schwellen, und wenn es ihrer viele sind, dadurch eine Ge-
schwulst des ganzen Theiles entsteht. Das ist es, was Sie
beobachten, wenn Sie irgendwo z. B. einen Ligaturfaden durch
die Haut hindurchstecken. Untersuchen Sie am folgenden
Tage die nächste Umgebung des Fadens, so haben Sie die
active Vergrösserung der zelligen Elemente, ganz unbeschadet
der Gefäss- oder Nervenverbreitungen, welche vorhanden sind.

Es liegt hier, wie Sie sehen, ein wesentlicher Unterschied
vor von denjenigen Ansichten, welche man gewöhnlich über
die nächsten Bedingungen dieser Schwellungen aufgestellt
hatte. Nach dem alten Satze: Ubi stimulus, ibi affluxus, dachte
man sich gewöhnlich, dass das Nächste, welches einträte, die
vermehrte Zuströmung des Blutes sei, welche von den Neuro-
pathologen wieder zurückgeführt wurde auf die Erregung sen-
sitiver Nerven, und dass dann die unmittelbare Folge der ver-
mehrten Zuströmung eine vermehrte Ausscheidung von Flüs-
sigkeit sei, welche das Exsudat constituire, das den Theil
erfüllt.


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[270/0292] Vierzehnte Vorlesung. webe, an welchem sich dies Verhältniss sehr klar verfolgen lässt, an der Hornhaut, dass an Stellen, wo keine Gefässe mehr hinreichen, allerdings noch Nerven liegen, welche eine netzförmige Anordnung besitzen und kleinere und grössere Gewebsbezirke zwischen sich lassen, welche vollkommen frei von Nerven sind. Wenden wir nun irgend ein Reizmittel di- rect auf die Hornhaut an, z. B. eine glühende Nadel oder Lapis infernalis, so entspricht der Bezirk, welcher dadurch in krankhafte Thätigkeit versetzt wird, keinesweges einer Nerven- ausbreitung. Es ist uns einmal passirt, dass wir bei einem Kaninchen durch das Cauterium gerade einen solchen Nerven- faden trafen, allein die Erkrankung fand sich nur in der nächsten Umgebung dieser Stelle, keinesweges im ganzen Ge- biete des Nerven. Man kann also, auch wenn man Erfahrungen, wie ich sie vom Knorpel angeführt habe, nicht gelten lassen will, durch- aus nicht umhin, zuzugeben, dass die Erscheinungen der Rei- zung an nervenhaltigen Theilen keine anderen sind, als an nervenlosen, und dass der nächste Effect wesentlich darauf be- ruht, dass die umliegenden Elemente sich vergrössern, an- schwellen, und wenn es ihrer viele sind, dadurch eine Ge- schwulst des ganzen Theiles entsteht. Das ist es, was Sie beobachten, wenn Sie irgendwo z. B. einen Ligaturfaden durch die Haut hindurchstecken. Untersuchen Sie am folgenden Tage die nächste Umgebung des Fadens, so haben Sie die active Vergrösserung der zelligen Elemente, ganz unbeschadet der Gefäss- oder Nervenverbreitungen, welche vorhanden sind. Es liegt hier, wie Sie sehen, ein wesentlicher Unterschied vor von denjenigen Ansichten, welche man gewöhnlich über die nächsten Bedingungen dieser Schwellungen aufgestellt hatte. Nach dem alten Satze: Ubi stimulus, ibi affluxus, dachte man sich gewöhnlich, dass das Nächste, welches einträte, die vermehrte Zuströmung des Blutes sei, welche von den Neuro- pathologen wieder zurückgeführt wurde auf die Erregung sen- sitiver Nerven, und dass dann die unmittelbare Folge der ver- mehrten Zuströmung eine vermehrte Ausscheidung von Flüs- sigkeit sei, welche das Exsudat constituire, das den Theil erfüllt.

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/292>, abgerufen am 28.11.2024.