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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Vierzehnte Vorlesung.
Hypertrophie finden sich gar keine erkennbaren Grenzen. Wir
können nicht von vorn herein sagen, wenn wir einen solchen
vergrösserten, mit reichlicherem Inhalt versehenen Theil an-
treffen, ob er sich noch erhalten oder ob er zu Grunde gehen
wird, und daher ist es in sehr vielen Fällen, wenn man gar
nichts über den Prozess weiss, durch den etwa eine solche
Veränderung eingetreten ist, ausserordentlich schwierig, die
einfache Hypertrophie von denjenigen Formen der entzündlichen
Prozesse zu scheiden, welche wesentlich eine Steigerung der
Ernährungs-Aufnahme mit sich bringen.

Auch bei diesen Vorgängen ist es nicht wohl möglich,
den einzelnen Elementen die Fähigkeit abzustreiten, von sich
aus auf eine Anregung, die ihnen direct zukommt, eine ver-
mehrte Stoff-Aufnahme stattfinden zu lassen; mindestens wider-
streitet es allen empirischen Erfahrungen, anzunehmen, dass
eine solche Aufnahme das Resultat einer besonderen Inner-
vation sein müsse. Wenn wir einen nach allen Beobachtungen
ganz nervenlosen Theil nehmen, z. B. die Oberfläche eines
Gelenkknorpels, so können wir, wie dies vor einer Reihe von
Jahren durch die schönen Experimente von Redfern gesche-
hen ist, an demselben durch directe Reize ganz ähnliche Ef-
fecte hervorbringen. In genau derselben Weise beobachtet
man im späteren Verlaufe pathologischer Zustände nicht selten
eine hügelartige Erhebung der Knorpeloberfläche; wenn wir
solche Stellen mikroskopisch untersuchen, so finden wir das-
selbe, was ich in einer früheren Vorlesung an einem Rippen-
knorpel zeigte (S. 19. Fig. 9.), dass die Zellen, welche
sonst ganz feine, kleine, linsenförmige Körper darstellen, sich
vergrössern, zu grossen, runden Elementen anschwellen, und
in dem Maasse, als sie mehr Material in sich aufnehmen, ihre
Durchmesser hinausschieben, so dass endlich die ganze Stelle
sich höckrig über die Oberfläche erhebt. Nun finden sich aber
in dem Gelenkknorpel gar keine Nerven; die letzten Ausstrah-
lungen derselben liegen höchstens in dem Marke des zunächst
anstossenden Knochens, welches von der gereizten Stelle der
Oberfläche durch eine 1--2 Linien dicke, intakte Zwischenlage
von Knochengewebe getrennt sein kann. Es wäre nun gewiss ausser-
halb aller Erfahrung, wenn man sich vorstellen sollte, dass ein Nerv

Vierzehnte Vorlesung.
Hypertrophie finden sich gar keine erkennbaren Grenzen. Wir
können nicht von vorn herein sagen, wenn wir einen solchen
vergrösserten, mit reichlicherem Inhalt versehenen Theil an-
treffen, ob er sich noch erhalten oder ob er zu Grunde gehen
wird, und daher ist es in sehr vielen Fällen, wenn man gar
nichts über den Prozess weiss, durch den etwa eine solche
Veränderung eingetreten ist, ausserordentlich schwierig, die
einfache Hypertrophie von denjenigen Formen der entzündlichen
Prozesse zu scheiden, welche wesentlich eine Steigerung der
Ernährungs-Aufnahme mit sich bringen.

Auch bei diesen Vorgängen ist es nicht wohl möglich,
den einzelnen Elementen die Fähigkeit abzustreiten, von sich
aus auf eine Anregung, die ihnen direct zukommt, eine ver-
mehrte Stoff-Aufnahme stattfinden zu lassen; mindestens wider-
streitet es allen empirischen Erfahrungen, anzunehmen, dass
eine solche Aufnahme das Resultat einer besonderen Inner-
vation sein müsse. Wenn wir einen nach allen Beobachtungen
ganz nervenlosen Theil nehmen, z. B. die Oberfläche eines
Gelenkknorpels, so können wir, wie dies vor einer Reihe von
Jahren durch die schönen Experimente von Redfern gesche-
hen ist, an demselben durch directe Reize ganz ähnliche Ef-
fecte hervorbringen. In genau derselben Weise beobachtet
man im späteren Verlaufe pathologischer Zustände nicht selten
eine hügelartige Erhebung der Knorpeloberfläche; wenn wir
solche Stellen mikroskopisch untersuchen, so finden wir das-
selbe, was ich in einer früheren Vorlesung an einem Rippen-
knorpel zeigte (S. 19. Fig. 9.), dass die Zellen, welche
sonst ganz feine, kleine, linsenförmige Körper darstellen, sich
vergrössern, zu grossen, runden Elementen anschwellen, und
in dem Maasse, als sie mehr Material in sich aufnehmen, ihre
Durchmesser hinausschieben, so dass endlich die ganze Stelle
sich höckrig über die Oberfläche erhebt. Nun finden sich aber
in dem Gelenkknorpel gar keine Nerven; die letzten Ausstrah-
lungen derselben liegen höchstens in dem Marke des zunächst
anstossenden Knochens, welches von der gereizten Stelle der
Oberfläche durch eine 1—2 Linien dicke, intakte Zwischenlage
von Knochengewebe getrennt sein kann. Es wäre nun gewiss ausser-
halb aller Erfahrung, wenn man sich vorstellen sollte, dass ein Nerv

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[268/0290] Vierzehnte Vorlesung. Hypertrophie finden sich gar keine erkennbaren Grenzen. Wir können nicht von vorn herein sagen, wenn wir einen solchen vergrösserten, mit reichlicherem Inhalt versehenen Theil an- treffen, ob er sich noch erhalten oder ob er zu Grunde gehen wird, und daher ist es in sehr vielen Fällen, wenn man gar nichts über den Prozess weiss, durch den etwa eine solche Veränderung eingetreten ist, ausserordentlich schwierig, die einfache Hypertrophie von denjenigen Formen der entzündlichen Prozesse zu scheiden, welche wesentlich eine Steigerung der Ernährungs-Aufnahme mit sich bringen. Auch bei diesen Vorgängen ist es nicht wohl möglich, den einzelnen Elementen die Fähigkeit abzustreiten, von sich aus auf eine Anregung, die ihnen direct zukommt, eine ver- mehrte Stoff-Aufnahme stattfinden zu lassen; mindestens wider- streitet es allen empirischen Erfahrungen, anzunehmen, dass eine solche Aufnahme das Resultat einer besonderen Inner- vation sein müsse. Wenn wir einen nach allen Beobachtungen ganz nervenlosen Theil nehmen, z. B. die Oberfläche eines Gelenkknorpels, so können wir, wie dies vor einer Reihe von Jahren durch die schönen Experimente von Redfern gesche- hen ist, an demselben durch directe Reize ganz ähnliche Ef- fecte hervorbringen. In genau derselben Weise beobachtet man im späteren Verlaufe pathologischer Zustände nicht selten eine hügelartige Erhebung der Knorpeloberfläche; wenn wir solche Stellen mikroskopisch untersuchen, so finden wir das- selbe, was ich in einer früheren Vorlesung an einem Rippen- knorpel zeigte (S. 19. Fig. 9.), dass die Zellen, welche sonst ganz feine, kleine, linsenförmige Körper darstellen, sich vergrössern, zu grossen, runden Elementen anschwellen, und in dem Maasse, als sie mehr Material in sich aufnehmen, ihre Durchmesser hinausschieben, so dass endlich die ganze Stelle sich höckrig über die Oberfläche erhebt. Nun finden sich aber in dem Gelenkknorpel gar keine Nerven; die letzten Ausstrah- lungen derselben liegen höchstens in dem Marke des zunächst anstossenden Knochens, welches von der gereizten Stelle der Oberfläche durch eine 1—2 Linien dicke, intakte Zwischenlage von Knochengewebe getrennt sein kann. Es wäre nun gewiss ausser- halb aller Erfahrung, wenn man sich vorstellen sollte, dass ein Nerv

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/290>, abgerufen am 24.11.2024.