Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite
Dreizehnte Vorlesung.

Ich habe bis jetzt, meine Herren, bei der Betrachtung des
Nervenapparates immer nur der eigentlich nervösen Theile ge-
dacht. Wenn man aber das Nervensystem in seinem wirk-
lichen Verhalten im Körper studiren will, so ist es ausser-
ordentlich wichtig, auch diejenige Masse zu kennen, welche
zwischen den eigentlichen Nerventheilen vorhanden
ist, welche sie zusammenhält und dem Ganzen mehr oder
weniger seine Form gibt.

Es ist gar nicht so lange her, als man das Vorhanden-
sein solcher Massen eigentlich nur bei den peripherischen Ner-
ven zuliess und das Neurilem bis auf die Häute des Rücken-
markes und Gehirnes zurückverfolgte, höchstens dass man
innerhalb der Ganglien und in der ganzen Ausdehnung des
Sympathicus ein solches Umhüllungsgewebe anerkannte. In
den eigentlichen Centren und namentlich im Gehirne deutete
man die Zwischensubstanz gerade als eine wesentliche Nerven-
masse, und sie erschien sogar so lange als eine Art von na-
türlichem Desiderat, als man eine directe Uebertragung der Er-
regung von Faser zu Faser zuliess, als man also nicht die
Nothwendigkeit einer wirklichen Continuität der Leitung der
Nervenvorgänge innerhalb der Nerven selbst festhielt. So
sprach man im Gehirne von einer feinkörnigen Zwischenmasse,
welche sich zwischen die Fasern einschieben sollte und welche
freilich keine vollständige Verbindung zwischen ihnen herstellte,
indem sie eine gewisse Schwierigkeit in der Uebertragung der
Erregungen bedingte, welche aber doch eine Art von Leitung
ermöglichen sollte, so dass bei einer gewissen Höhe der Er-
regung eben auch eine directe Uebertragung von Faser zu Fa-
ser stattfinden könne. Diese Substanz ist jedoch unzweifelhaft
nicht nervöser Natur, und wenn man ihre Beziehung zu den
bekannten Gruppen der physiologischen Gewebe aufsucht, so
kann man darüber nicht im Unsicheren bleiben, dass es sich
um eine Art des Bindegewebes handelt, also um ein Aequiva-
lent desjenigen Gewebes, welches wir im Perineurium kennen
gelernt haben (S. 206). Allein der Habitus dieser Substanz
ist allerdings sehr weit verschieden von dem, was wir Peri-
neurium oder Neurilem nennen. Letztere sind verhältnissmäs-
sig derbe, oft sogar harte und zähe Gewebe, während jene

Dreizehnte Vorlesung.

Ich habe bis jetzt, meine Herren, bei der Betrachtung des
Nervenapparates immer nur der eigentlich nervösen Theile ge-
dacht. Wenn man aber das Nervensystem in seinem wirk-
lichen Verhalten im Körper studiren will, so ist es ausser-
ordentlich wichtig, auch diejenige Masse zu kennen, welche
zwischen den eigentlichen Nerventheilen vorhanden
ist, welche sie zusammenhält und dem Ganzen mehr oder
weniger seine Form gibt.

Es ist gar nicht so lange her, als man das Vorhanden-
sein solcher Massen eigentlich nur bei den peripherischen Ner-
ven zuliess und das Neurilem bis auf die Häute des Rücken-
markes und Gehirnes zurückverfolgte, höchstens dass man
innerhalb der Ganglien und in der ganzen Ausdehnung des
Sympathicus ein solches Umhüllungsgewebe anerkannte. In
den eigentlichen Centren und namentlich im Gehirne deutete
man die Zwischensubstanz gerade als eine wesentliche Nerven-
masse, und sie erschien sogar so lange als eine Art von na-
türlichem Desiderat, als man eine directe Uebertragung der Er-
regung von Faser zu Faser zuliess, als man also nicht die
Nothwendigkeit einer wirklichen Continuität der Leitung der
Nervenvorgänge innerhalb der Nerven selbst festhielt. So
sprach man im Gehirne von einer feinkörnigen Zwischenmasse,
welche sich zwischen die Fasern einschieben sollte und welche
freilich keine vollständige Verbindung zwischen ihnen herstellte,
indem sie eine gewisse Schwierigkeit in der Uebertragung der
Erregungen bedingte, welche aber doch eine Art von Leitung
ermöglichen sollte, so dass bei einer gewissen Höhe der Er-
regung eben auch eine directe Uebertragung von Faser zu Fa-
ser stattfinden könne. Diese Substanz ist jedoch unzweifelhaft
nicht nervöser Natur, und wenn man ihre Beziehung zu den
bekannten Gruppen der physiologischen Gewebe aufsucht, so
kann man darüber nicht im Unsicheren bleiben, dass es sich
um eine Art des Bindegewebes handelt, also um ein Aequiva-
lent desjenigen Gewebes, welches wir im Perineurium kennen
gelernt haben (S. 206). Allein der Habitus dieser Substanz
ist allerdings sehr weit verschieden von dem, was wir Peri-
neurium oder Neurilem nennen. Letztere sind verhältnissmäs-
sig derbe, oft sogar harte und zähe Gewebe, während jene

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0268" n="246"/>
        <fw place="top" type="header">Dreizehnte Vorlesung.</fw><lb/>
        <p>Ich habe bis jetzt, meine Herren, bei der Betrachtung des<lb/>
Nervenapparates immer nur der eigentlich nervösen Theile ge-<lb/>
dacht. Wenn man aber das Nervensystem in seinem wirk-<lb/>
lichen Verhalten im Körper studiren will, so ist es ausser-<lb/>
ordentlich wichtig, auch diejenige Masse zu kennen, welche<lb/><hi rendition="#g">zwischen den eigentlichen Nerventheilen</hi> vorhanden<lb/>
ist, welche sie zusammenhält und dem Ganzen mehr oder<lb/>
weniger seine Form gibt.</p><lb/>
        <p>Es ist gar nicht so lange her, als man das Vorhanden-<lb/>
sein solcher Massen eigentlich nur bei den peripherischen Ner-<lb/>
ven zuliess und das Neurilem bis auf die Häute des Rücken-<lb/>
markes und Gehirnes zurückverfolgte, höchstens dass man<lb/>
innerhalb der Ganglien und in der ganzen Ausdehnung des<lb/>
Sympathicus ein solches Umhüllungsgewebe anerkannte. In<lb/>
den eigentlichen Centren und namentlich im Gehirne deutete<lb/>
man die Zwischensubstanz gerade als eine wesentliche Nerven-<lb/>
masse, und sie erschien sogar so lange als eine Art von na-<lb/>
türlichem Desiderat, als man eine directe Uebertragung der Er-<lb/>
regung von Faser zu Faser zuliess, als man also nicht die<lb/>
Nothwendigkeit einer wirklichen Continuität der Leitung der<lb/>
Nervenvorgänge innerhalb der Nerven selbst festhielt. So<lb/>
sprach man im Gehirne von einer feinkörnigen Zwischenmasse,<lb/>
welche sich zwischen die Fasern einschieben sollte und welche<lb/>
freilich keine vollständige Verbindung zwischen ihnen herstellte,<lb/>
indem sie eine gewisse Schwierigkeit in der Uebertragung der<lb/>
Erregungen bedingte, welche aber doch eine Art von Leitung<lb/>
ermöglichen sollte, so dass bei einer gewissen Höhe der Er-<lb/>
regung eben auch eine directe Uebertragung von Faser zu Fa-<lb/>
ser stattfinden könne. Diese Substanz ist jedoch unzweifelhaft<lb/>
nicht nervöser Natur, und wenn man ihre Beziehung zu den<lb/>
bekannten Gruppen der physiologischen Gewebe aufsucht, so<lb/>
kann man darüber nicht im Unsicheren bleiben, dass es sich<lb/>
um eine Art des Bindegewebes handelt, also um ein Aequiva-<lb/>
lent desjenigen Gewebes, welches wir im Perineurium kennen<lb/>
gelernt haben (S. 206). Allein der Habitus dieser Substanz<lb/>
ist allerdings sehr weit verschieden von dem, was wir Peri-<lb/>
neurium oder Neurilem nennen. Letztere sind verhältnissmäs-<lb/>
sig derbe, oft sogar harte und zähe Gewebe, während jene<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[246/0268] Dreizehnte Vorlesung. Ich habe bis jetzt, meine Herren, bei der Betrachtung des Nervenapparates immer nur der eigentlich nervösen Theile ge- dacht. Wenn man aber das Nervensystem in seinem wirk- lichen Verhalten im Körper studiren will, so ist es ausser- ordentlich wichtig, auch diejenige Masse zu kennen, welche zwischen den eigentlichen Nerventheilen vorhanden ist, welche sie zusammenhält und dem Ganzen mehr oder weniger seine Form gibt. Es ist gar nicht so lange her, als man das Vorhanden- sein solcher Massen eigentlich nur bei den peripherischen Ner- ven zuliess und das Neurilem bis auf die Häute des Rücken- markes und Gehirnes zurückverfolgte, höchstens dass man innerhalb der Ganglien und in der ganzen Ausdehnung des Sympathicus ein solches Umhüllungsgewebe anerkannte. In den eigentlichen Centren und namentlich im Gehirne deutete man die Zwischensubstanz gerade als eine wesentliche Nerven- masse, und sie erschien sogar so lange als eine Art von na- türlichem Desiderat, als man eine directe Uebertragung der Er- regung von Faser zu Faser zuliess, als man also nicht die Nothwendigkeit einer wirklichen Continuität der Leitung der Nervenvorgänge innerhalb der Nerven selbst festhielt. So sprach man im Gehirne von einer feinkörnigen Zwischenmasse, welche sich zwischen die Fasern einschieben sollte und welche freilich keine vollständige Verbindung zwischen ihnen herstellte, indem sie eine gewisse Schwierigkeit in der Uebertragung der Erregungen bedingte, welche aber doch eine Art von Leitung ermöglichen sollte, so dass bei einer gewissen Höhe der Er- regung eben auch eine directe Uebertragung von Faser zu Fa- ser stattfinden könne. Diese Substanz ist jedoch unzweifelhaft nicht nervöser Natur, und wenn man ihre Beziehung zu den bekannten Gruppen der physiologischen Gewebe aufsucht, so kann man darüber nicht im Unsicheren bleiben, dass es sich um eine Art des Bindegewebes handelt, also um ein Aequiva- lent desjenigen Gewebes, welches wir im Perineurium kennen gelernt haben (S. 206). Allein der Habitus dieser Substanz ist allerdings sehr weit verschieden von dem, was wir Peri- neurium oder Neurilem nennen. Letztere sind verhältnissmäs- sig derbe, oft sogar harte und zähe Gewebe, während jene

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/268
Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/268>, abgerufen am 07.05.2024.