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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Einfluss der Drüsenreizung auf die Blutmischung.
schädlichen Eigenschaften verlieren. Secundäre Drüsen-An-
schwellungen treten in verschiedenen Formen nach peripheri-
schen Infectionen auf. Wie will man sie anders erklären, als
dass jede inficirende (miasmatische) Substanz, welche als eine
wesentlich fremdartige oder, wenn ich mich so ausdrücken
soll, feindselige für den Körper zu betrachten ist, indem sie in die
Substanz der Drüse eindringt, daran einen Zustand von mehr
oder weniger ausgesprochener Reizung hervorbringt, der sehr
häufig bis zur wirklichen Entzündung der Drüse sich steigert?
Wir werden noch später auf den Begriff der Reizung etwas
genauer zurückkommen, und ich will hier nur so viel hervor-
heben, dass nach meinen Untersuchungen die Reizung der
Drüse darin besteht, dass sie in eine vermehrte Zellenbildung
geräth, dass ihre Follikel sich vergrössern und nach einiger
Zeit viel mehr Zellen zeigen als vorher. Im Verhältniss zu
diesen Vorgängen sehen wir dann auch die farblosen Elemente
im Blute sich vermehren. Jede bedeutende Drüsenreizung hat
eine Zunahme der Lymphkörperchen im Blute zur Folge; je-
der Prozess, welcher mit Drüsenreizung besteht, wird daher
auch den Effect haben, das Blut mit grösseren Quantitäten
von farblosen Blutkörperchen zu versehen, mit anderen Wor-
ten, einen leukocytotischen Zustand zu setzen. Hat man nun
die Ansicht, es sei Eiter resorbirt worden und der Eiter sei
die Ursache der eingetretenen Störungen, so ist nichts leich-
ter, als Zellen im Blute nachzuweisen, welche wie Eiterkör-
perchen aussehen, und welche oft in so grosser Menge vor-
handen sind, dass man ihre Zusammenhäufungen (Fig. 58.) in
der Leiche wie kleine Eiterpunkte mit blossem Auge sehen
kann, oder dass sie grosse, zusammenhängende oder körnige
Lager an der unteren Seite der Speckhaut des Aderlassblutes
bilden (Fig. 60.). Scheinbar ist der Beweis so plausibel als
möglich. Man hat die Voraussetzung, dass Eiter in's Blut ge-
langt sei; man untersucht das Blut und findet wirklich Ele-
mente, die vollkommen aussehen wie Eiterkörperchen, und zwar in
sehr grosser Zahl. Selbst wenn man zugesteht, dass farblose Blut-
körperchen wie Eiterkörperchen aussehen können, ist doch der
Schluss sehr verführerisch, wie man ihn zu wiederholten Ma-
len in der Geschichte der Pyämie gemacht hat, dass wegen

Einfluss der Drüsenreizung auf die Blutmischung.
schädlichen Eigenschaften verlieren. Secundäre Drüsen-An-
schwellungen treten in verschiedenen Formen nach peripheri-
schen Infectionen auf. Wie will man sie anders erklären, als
dass jede inficirende (miasmatische) Substanz, welche als eine
wesentlich fremdartige oder, wenn ich mich so ausdrücken
soll, feindselige für den Körper zu betrachten ist, indem sie in die
Substanz der Drüse eindringt, daran einen Zustand von mehr
oder weniger ausgesprochener Reizung hervorbringt, der sehr
häufig bis zur wirklichen Entzündung der Drüse sich steigert?
Wir werden noch später auf den Begriff der Reizung etwas
genauer zurückkommen, und ich will hier nur so viel hervor-
heben, dass nach meinen Untersuchungen die Reizung der
Drüse darin besteht, dass sie in eine vermehrte Zellenbildung
geräth, dass ihre Follikel sich vergrössern und nach einiger
Zeit viel mehr Zellen zeigen als vorher. Im Verhältniss zu
diesen Vorgängen sehen wir dann auch die farblosen Elemente
im Blute sich vermehren. Jede bedeutende Drüsenreizung hat
eine Zunahme der Lymphkörperchen im Blute zur Folge; je-
der Prozess, welcher mit Drüsenreizung besteht, wird daher
auch den Effect haben, das Blut mit grösseren Quantitäten
von farblosen Blutkörperchen zu versehen, mit anderen Wor-
ten, einen leukocytotischen Zustand zu setzen. Hat man nun
die Ansicht, es sei Eiter resorbirt worden und der Eiter sei
die Ursache der eingetretenen Störungen, so ist nichts leich-
ter, als Zellen im Blute nachzuweisen, welche wie Eiterkör-
perchen aussehen, und welche oft in so grosser Menge vor-
handen sind, dass man ihre Zusammenhäufungen (Fig. 58.) in
der Leiche wie kleine Eiterpunkte mit blossem Auge sehen
kann, oder dass sie grosse, zusammenhängende oder körnige
Lager an der unteren Seite der Speckhaut des Aderlassblutes
bilden (Fig. 60.). Scheinbar ist der Beweis so plausibel als
möglich. Man hat die Voraussetzung, dass Eiter in’s Blut ge-
langt sei; man untersucht das Blut und findet wirklich Ele-
mente, die vollkommen aussehen wie Eiterkörperchen, und zwar in
sehr grosser Zahl. Selbst wenn man zugesteht, dass farblose Blut-
körperchen wie Eiterkörperchen aussehen können, ist doch der
Schluss sehr verführerisch, wie man ihn zu wiederholten Ma-
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[169/0191] Einfluss der Drüsenreizung auf die Blutmischung. schädlichen Eigenschaften verlieren. Secundäre Drüsen-An- schwellungen treten in verschiedenen Formen nach peripheri- schen Infectionen auf. Wie will man sie anders erklären, als dass jede inficirende (miasmatische) Substanz, welche als eine wesentlich fremdartige oder, wenn ich mich so ausdrücken soll, feindselige für den Körper zu betrachten ist, indem sie in die Substanz der Drüse eindringt, daran einen Zustand von mehr oder weniger ausgesprochener Reizung hervorbringt, der sehr häufig bis zur wirklichen Entzündung der Drüse sich steigert? Wir werden noch später auf den Begriff der Reizung etwas genauer zurückkommen, und ich will hier nur so viel hervor- heben, dass nach meinen Untersuchungen die Reizung der Drüse darin besteht, dass sie in eine vermehrte Zellenbildung geräth, dass ihre Follikel sich vergrössern und nach einiger Zeit viel mehr Zellen zeigen als vorher. Im Verhältniss zu diesen Vorgängen sehen wir dann auch die farblosen Elemente im Blute sich vermehren. Jede bedeutende Drüsenreizung hat eine Zunahme der Lymphkörperchen im Blute zur Folge; je- der Prozess, welcher mit Drüsenreizung besteht, wird daher auch den Effect haben, das Blut mit grösseren Quantitäten von farblosen Blutkörperchen zu versehen, mit anderen Wor- ten, einen leukocytotischen Zustand zu setzen. Hat man nun die Ansicht, es sei Eiter resorbirt worden und der Eiter sei die Ursache der eingetretenen Störungen, so ist nichts leich- ter, als Zellen im Blute nachzuweisen, welche wie Eiterkör- perchen aussehen, und welche oft in so grosser Menge vor- handen sind, dass man ihre Zusammenhäufungen (Fig. 58.) in der Leiche wie kleine Eiterpunkte mit blossem Auge sehen kann, oder dass sie grosse, zusammenhängende oder körnige Lager an der unteren Seite der Speckhaut des Aderlassblutes bilden (Fig. 60.). Scheinbar ist der Beweis so plausibel als möglich. Man hat die Voraussetzung, dass Eiter in’s Blut ge- langt sei; man untersucht das Blut und findet wirklich Ele- mente, die vollkommen aussehen wie Eiterkörperchen, und zwar in sehr grosser Zahl. Selbst wenn man zugesteht, dass farblose Blut- körperchen wie Eiterkörperchen aussehen können, ist doch der Schluss sehr verführerisch, wie man ihn zu wiederholten Ma- len in der Geschichte der Pyämie gemacht hat, dass wegen

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/191>, abgerufen am 28.04.2024.