nichts konnte so seine Fantasie zügeln, als wenn er irgend eine Absicht merkte. Er war leicht kindlich vertrauend: dann konnte er aber auch bis zur Ungerechtigkeit argwöhnend seyn. Doch interessirte ihn Juliane sehr, die Tiefe ihres Gemüths war ihm nicht entgangen, trotz der Anlage zur Koketterie, und dem etwas künstli- chen Wesen, welches ihre Erziehung und ihr Stand ihr gegeben hatte, und das ihn immer et- was entfernte, obgleich er es hier in so schöner Ge- stalt erblickte. Lange konnte er es doch nicht aushalten, sie unzufrieden zu sehen; so oft er sie durch ein zu kühnes Wort, oder eine An- spielung, die ihre Eitelkeit strafte, erzürnt hatte, so wußte er sie gleich wieder durch ir- gend eine Ueberraschung oder eine kleine schmei- chelhafte Aufmerksamkeit zu versöhnen. Er stimmte nie mit ein, wenn sie in Gesellschaft von den um sie her flatternden Herrn wegen ihres Gesangs oder Tanzes, oder ihrer Schön- heit erhoben ward; vielmehr suchte er sie dann durch einen kleinen Trotz, eine Art von Ver- nachlässigung zu demüthigen. Wenn sie sich
nichts konnte ſo ſeine Fantaſie zuͤgeln, als wenn er irgend eine Abſicht merkte. Er war leicht kindlich vertrauend: dann konnte er aber auch bis zur Ungerechtigkeit argwoͤhnend ſeyn. Doch intereſſirte ihn Juliane ſehr, die Tiefe ihres Gemuͤths war ihm nicht entgangen, trotz der Anlage zur Koketterie, und dem etwas kuͤnſtli- chen Weſen, welches ihre Erziehung und ihr Stand ihr gegeben hatte, und das ihn immer et- was entfernte, obgleich er es hier in ſo ſchoͤner Ge- ſtalt erblickte. Lange konnte er es doch nicht aushalten, ſie unzufrieden zu ſehen; ſo oft er ſie durch ein zu kuͤhnes Wort, oder eine An- ſpielung, die ihre Eitelkeit ſtrafte, erzuͤrnt hatte, ſo wußte er ſie gleich wieder durch ir- gend eine Ueberraſchung oder eine kleine ſchmei- chelhafte Aufmerkſamkeit zu verſoͤhnen. Er ſtimmte nie mit ein, wenn ſie in Geſellſchaft von den um ſie her flatternden Herrn wegen ihres Geſangs oder Tanzes, oder ihrer Schoͤn- heit erhoben ward; vielmehr ſuchte er ſie dann durch einen kleinen Trotz, eine Art von Ver- nachlaͤſſigung zu demuͤthigen. Wenn ſie ſich
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nichts konnte ſo ſeine Fantaſie zuͤgeln, als wenn
er irgend eine Abſicht merkte. Er war leicht
kindlich vertrauend: dann konnte er aber auch
bis zur Ungerechtigkeit argwoͤhnend ſeyn. Doch
intereſſirte ihn Juliane ſehr, die Tiefe ihres
Gemuͤths war ihm nicht entgangen, trotz der
Anlage zur Koketterie, und dem etwas kuͤnſtli-
chen Weſen, welches ihre Erziehung und ihr
Stand ihr gegeben hatte, und das ihn immer et-
was entfernte, obgleich er es hier in ſo ſchoͤner Ge-
ſtalt erblickte. Lange konnte er es doch nicht
aushalten, ſie unzufrieden zu ſehen; ſo oft er
ſie durch ein zu kuͤhnes Wort, oder eine An-
ſpielung, die ihre Eitelkeit ſtrafte, erzuͤrnt
hatte, ſo wußte er ſie gleich wieder durch ir-
gend eine Ueberraſchung oder eine kleine ſchmei-
chelhafte Aufmerkſamkeit zu verſoͤhnen. Er
ſtimmte nie mit ein, wenn ſie in Geſellſchaft
von den um ſie her flatternden Herrn wegen
ihres Geſangs oder Tanzes, oder ihrer Schoͤn-
heit erhoben ward; vielmehr ſuchte er ſie dann
durch einen kleinen Trotz, eine Art von Ver-
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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/63>, abgerufen am 21.11.2024.
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