Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801.

Bild:
<< vorherige Seite

hin? Hier beweinte vielleicht eine Schö-
ne ihren Geliebten, oder seine Untreue, oder
ein hartes Schicksal, das sich ihrem Glück
entgegen stellte; thränenvoll schlug sie das
fromme Auge aufwärts, und die Engelchen, die
Heiligen, die so künstlich in der Stuckatur
an der Decke geformt sind, waren Zeugen
ihrer Leiden. Hier, an dieses hohe Fen-
ster gelehut, drückte der Jüngling, zärtlich
und schüchtern, die erröthende Jungfrau an
sein Herz, und vernahm mit Entzücken das
Geständniß ihrer Gegenliebe. Um die-
sen geräumigen Lehnstuhl hingen Kinder
und Enkel, und horchten auf die schauerli-
chen Gespenstergeschichten, die der Großvater
erzählte, und auf die weise Lehre. Mit dem
begünstigten Jagdhund au dem Boden wur-
de dann die Belohnung für ihre Aufmerk-
samkeit friedfertig getheilt. An diesem
künstlich verzierten Tisch saßen Eltern, ge-
dachten mit freudiger Rührung der ersten
Tage ihrer Liebe und der nie verletzten Treue;
hatten auch wohl manchen Kummer, manche

hin? Hier beweinte vielleicht eine Schoͤ-
ne ihren Geliebten, oder ſeine Untreue, oder
ein hartes Schickſal, das ſich ihrem Gluͤck
entgegen ſtellte; thraͤnenvoll ſchlug ſie das
fromme Auge aufwaͤrts, und die Engelchen, die
Heiligen, die ſo kuͤnſtlich in der Stuckatur
an der Decke geformt ſind, waren Zeugen
ihrer Leiden. Hier, an dieſes hohe Fen-
ſter gelehut, druͤckte der Juͤngling, zaͤrtlich
und ſchuͤchtern, die erroͤthende Jungfrau an
ſein Herz, und vernahm mit Entzuͤcken das
Geſtaͤndniß ihrer Gegenliebe. Um die-
ſen geraͤumigen Lehnſtuhl hingen Kinder
und Enkel, und horchten auf die ſchauerli-
chen Geſpenſtergeſchichten, die der Großvater
erzaͤhlte, und auf die weiſe Lehre. Mit dem
beguͤnſtigten Jagdhund au dem Boden wur-
de dann die Belohnung fuͤr ihre Aufmerk-
ſamkeit friedfertig getheilt. An dieſem
kuͤnſtlich verzierten Tiſch ſaßen Eltern, ge-
dachten mit freudiger Ruͤhrung der erſten
Tage ihrer Liebe und der nie verletzten Treue;
hatten auch wohl manchen Kummer, manche

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0050" n="42"/>
hin? Hier beweinte vielleicht eine Scho&#x0364;-<lb/>
ne ihren Geliebten, oder &#x017F;eine Untreue, oder<lb/>
ein hartes Schick&#x017F;al, das &#x017F;ich ihrem Glu&#x0364;ck<lb/>
entgegen &#x017F;tellte; thra&#x0364;nenvoll &#x017F;chlug &#x017F;ie das<lb/>
fromme Auge aufwa&#x0364;rts, und die Engelchen, die<lb/>
Heiligen, die &#x017F;o ku&#x0364;n&#x017F;tlich in der Stuckatur<lb/>
an der Decke geformt &#x017F;ind, waren Zeugen<lb/>
ihrer Leiden. Hier, an die&#x017F;es hohe Fen-<lb/>
&#x017F;ter gelehut, dru&#x0364;ckte der Ju&#x0364;ngling, za&#x0364;rtlich<lb/>
und &#x017F;chu&#x0364;chtern, die erro&#x0364;thende Jungfrau an<lb/>
&#x017F;ein Herz, und vernahm mit Entzu&#x0364;cken das<lb/>
Ge&#x017F;ta&#x0364;ndniß ihrer Gegenliebe. Um die-<lb/>
&#x017F;en gera&#x0364;umigen Lehn&#x017F;tuhl hingen Kinder<lb/>
und Enkel, und horchten auf die &#x017F;chauerli-<lb/>
chen Ge&#x017F;pen&#x017F;terge&#x017F;chichten, die der Großvater<lb/>
erza&#x0364;hlte, und auf die wei&#x017F;e Lehre. Mit dem<lb/>
begu&#x0364;n&#x017F;tigten Jagdhund au dem Boden wur-<lb/>
de dann die Belohnung fu&#x0364;r ihre Aufmerk-<lb/>
&#x017F;amkeit friedfertig getheilt. An die&#x017F;em<lb/>
ku&#x0364;n&#x017F;tlich verzierten Ti&#x017F;ch &#x017F;aßen Eltern, ge-<lb/>
dachten mit freudiger Ru&#x0364;hrung der er&#x017F;ten<lb/>
Tage ihrer Liebe und der nie verletzten Treue;<lb/>
hatten auch wohl manchen Kummer, manche<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0050] hin? Hier beweinte vielleicht eine Schoͤ- ne ihren Geliebten, oder ſeine Untreue, oder ein hartes Schickſal, das ſich ihrem Gluͤck entgegen ſtellte; thraͤnenvoll ſchlug ſie das fromme Auge aufwaͤrts, und die Engelchen, die Heiligen, die ſo kuͤnſtlich in der Stuckatur an der Decke geformt ſind, waren Zeugen ihrer Leiden. Hier, an dieſes hohe Fen- ſter gelehut, druͤckte der Juͤngling, zaͤrtlich und ſchuͤchtern, die erroͤthende Jungfrau an ſein Herz, und vernahm mit Entzuͤcken das Geſtaͤndniß ihrer Gegenliebe. Um die- ſen geraͤumigen Lehnſtuhl hingen Kinder und Enkel, und horchten auf die ſchauerli- chen Geſpenſtergeſchichten, die der Großvater erzaͤhlte, und auf die weiſe Lehre. Mit dem beguͤnſtigten Jagdhund au dem Boden wur- de dann die Belohnung fuͤr ihre Aufmerk- ſamkeit friedfertig getheilt. An dieſem kuͤnſtlich verzierten Tiſch ſaßen Eltern, ge- dachten mit freudiger Ruͤhrung der erſten Tage ihrer Liebe und der nie verletzten Treue; hatten auch wohl manchen Kummer, manche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/50
Zitationshilfe: Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/50>, abgerufen am 28.04.2024.