wenn sie ihn nicht liebte. Sie ist unschul- dig trotz ihrer Schuld, und ihre Treue höchst achtungswerth! -- Lernt sie aber nicht endlich diesen Jrrthum verachten, und er- kennt die Liebe; tritt an die Stelle der blü- henden Unbefangenheit nicht die Reife der Achtung vor sich selber, die eine liebende Frau nur in der Liebe für einen hochverehr- ten Mann findet, so waren es dennoch tau- be Blüthen, oder ein giftiger Thau hat die edle getödtet. Und darum ist es Eure Pflicht, sie, wenn auch unter tausend Schmerzen, vom Verderben zurückzuführen.
Und nun sagen Sie mir noch, wie kann Cle- mentine, nach allem was ich von ihr gehört habe, in der großen Welt leben? -- Schon seit meh- rern Jahren lebt sie auch wirklich nicht in der großen Welt. Sie geht nie in Gesell- schaften; schon ihre fortdauernde Kränklich- keit leiht ihr einen Vorwand sich davon aus- zuschließen; doch ist ihr Haus immer der guten Gesellschaft offen, auch Fremde besu- chen sie; der feine zwanglose Ton, der in
wenn ſie ihn nicht liebte. Sie iſt unſchul- dig trotz ihrer Schuld, und ihre Treue hoͤchſt achtungswerth! — Lernt ſie aber nicht endlich dieſen Jrrthum verachten, und er- kennt die Liebe; tritt an die Stelle der bluͤ- henden Unbefangenheit nicht die Reife der Achtung vor ſich ſelber, die eine liebende Frau nur in der Liebe fuͤr einen hochverehr- ten Mann findet, ſo waren es dennoch tau- be Bluͤthen, oder ein giftiger Thau hat die edle getoͤdtet. Und darum iſt es Eure Pflicht, ſie, wenn auch unter tauſend Schmerzen, vom Verderben zuruͤckzufuͤhren.
Und nun ſagen Sie mir noch, wie kann Cle- mentine, nach allem was ich von ihr gehoͤrt habe, in der großen Welt leben? — Schon ſeit meh- rern Jahren lebt ſie auch wirklich nicht in der großen Welt. Sie geht nie in Geſell- ſchaften; ſchon ihre fortdauernde Kraͤnklich- keit leiht ihr einen Vorwand ſich davon aus- zuſchließen; doch iſt ihr Haus immer der guten Geſellſchaft offen, auch Fremde beſu- chen ſie; der feine zwangloſe Ton, der in
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wenn ſie ihn nicht liebte. Sie iſt unſchul-
dig trotz ihrer Schuld, und ihre Treue
hoͤchſt achtungswerth! — Lernt ſie aber nicht
endlich dieſen Jrrthum verachten, und er-
kennt die Liebe; tritt an die Stelle der bluͤ-
henden Unbefangenheit nicht die Reife der
Achtung vor ſich ſelber, die eine liebende
Frau nur in der Liebe fuͤr einen hochverehr-
ten Mann findet, ſo waren es dennoch tau-
be Bluͤthen, oder ein giftiger Thau hat die
edle getoͤdtet. Und darum iſt es Eure Pflicht,
ſie, wenn auch unter tauſend Schmerzen,
vom Verderben zuruͤckzufuͤhren.
Und nun ſagen Sie mir noch, wie kann Cle-
mentine, nach allem was ich von ihr gehoͤrt habe,
in der großen Welt leben? — Schon ſeit meh-
rern Jahren lebt ſie auch wirklich nicht in
der großen Welt. Sie geht nie in Geſell-
ſchaften; ſchon ihre fortdauernde Kraͤnklich-
keit leiht ihr einen Vorwand ſich davon aus-
zuſchließen; doch iſt ihr Haus immer der
guten Geſellſchaft offen, auch Fremde beſu-
chen ſie; der feine zwangloſe Ton, der in
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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/367>, abgerufen am 28.11.2024.
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