man gerieth in große Verlegenheit. Der Arzt wurde herbeygeholt, er fand sie in heftiger Wallung, sonst aber keine Spur von irgend einer Krankheit. Er verordnete vorzüglich Ruhe. Sie wollte versuchen zu schlafen, rief aber in dem Augenblick: O seht doch, wie es sich freundlich gegen mich neigt, und nun geht es, das liebe Gesichtchen immer zu mir gewendet, zurück. Seht, dort setzt es sich im Winkel nieder, es winkt mir mit den Händchen, ich solle schlafen! -- Man bat sie, die Augen zu verschließen, damit sie Ru- he fände. Die Bettvorhänge wurden nie- dergelassen, und nachdem sie etwas kühlen- des getrunken hatte, schlief sie ein.
Bey ihrem Erwachen, nachdem sie eini- ge Stunden ruhig geschlafen hatte und es unter- dessen völlig Tag geworden war, hoffte man, ihre Erscheinung würde verschwunden seyn; aber zum Erstaunen blieb diese, wie in der Nacht. Kaum erwachte sie, so zog sie die Vorhänge zurück und sah auch sogleich das Kind mit muntern freundlichen Gebehrden
man gerieth in große Verlegenheit. Der Arzt wurde herbeygeholt, er fand ſie in heftiger Wallung, ſonſt aber keine Spur von irgend einer Krankheit. Er verordnete vorzuͤglich Ruhe. Sie wollte verſuchen zu ſchlafen, rief aber in dem Augenblick: O ſeht doch, wie es ſich freundlich gegen mich neigt, und nun geht es, das liebe Geſichtchen immer zu mir gewendet, zuruͤck. Seht, dort ſetzt es ſich im Winkel nieder, es winkt mir mit den Haͤndchen, ich ſolle ſchlafen! — Man bat ſie, die Augen zu verſchließen, damit ſie Ru- he faͤnde. Die Bettvorhaͤnge wurden nie- dergelaſſen, und nachdem ſie etwas kuͤhlen- des getrunken hatte, ſchlief ſie ein.
Bey ihrem Erwachen, nachdem ſie eini- ge Stunden ruhig geſchlafen hatte und es unter- deſſen voͤllig Tag geworden war, hoffte man, ihre Erſcheinung wuͤrde verſchwunden ſeyn; aber zum Erſtaunen blieb dieſe, wie in der Nacht. Kaum erwachte ſie, ſo zog ſie die Vorhaͤnge zuruͤck und ſah auch ſogleich das Kind mit muntern freundlichen Gebehrden
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0252"n="244"/>
man gerieth in große Verlegenheit. Der Arzt<lb/>
wurde herbeygeholt, er fand ſie in heftiger<lb/>
Wallung, ſonſt aber keine Spur von irgend<lb/>
einer Krankheit. Er verordnete vorzuͤglich<lb/>
Ruhe. Sie wollte verſuchen zu ſchlafen,<lb/>
rief aber in dem Augenblick: O ſeht doch,<lb/>
wie es ſich freundlich gegen mich neigt, und<lb/>
nun geht es, das liebe Geſichtchen immer zu<lb/>
mir gewendet, zuruͤck. Seht, dort ſetzt es<lb/>ſich im Winkel nieder, es winkt mir mit den<lb/>
Haͤndchen, ich ſolle ſchlafen! — Man bat<lb/>ſie, die Augen zu verſchließen, damit ſie Ru-<lb/>
he faͤnde. Die Bettvorhaͤnge wurden nie-<lb/>
dergelaſſen, und nachdem ſie etwas kuͤhlen-<lb/>
des getrunken hatte, ſchlief ſie ein.</p><lb/><p>Bey ihrem Erwachen, nachdem ſie eini-<lb/>
ge Stunden ruhig geſchlafen hatte und es unter-<lb/>
deſſen voͤllig Tag geworden war, hoffte man,<lb/>
ihre Erſcheinung wuͤrde verſchwunden ſeyn;<lb/>
aber zum Erſtaunen blieb dieſe, wie in der<lb/>
Nacht. Kaum erwachte ſie, ſo zog ſie die<lb/>
Vorhaͤnge zuruͤck und ſah auch ſogleich das<lb/>
Kind mit muntern freundlichen Gebehrden<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[244/0252]
man gerieth in große Verlegenheit. Der Arzt
wurde herbeygeholt, er fand ſie in heftiger
Wallung, ſonſt aber keine Spur von irgend
einer Krankheit. Er verordnete vorzuͤglich
Ruhe. Sie wollte verſuchen zu ſchlafen,
rief aber in dem Augenblick: O ſeht doch,
wie es ſich freundlich gegen mich neigt, und
nun geht es, das liebe Geſichtchen immer zu
mir gewendet, zuruͤck. Seht, dort ſetzt es
ſich im Winkel nieder, es winkt mir mit den
Haͤndchen, ich ſolle ſchlafen! — Man bat
ſie, die Augen zu verſchließen, damit ſie Ru-
he faͤnde. Die Bettvorhaͤnge wurden nie-
dergelaſſen, und nachdem ſie etwas kuͤhlen-
des getrunken hatte, ſchlief ſie ein.
Bey ihrem Erwachen, nachdem ſie eini-
ge Stunden ruhig geſchlafen hatte und es unter-
deſſen voͤllig Tag geworden war, hoffte man,
ihre Erſcheinung wuͤrde verſchwunden ſeyn;
aber zum Erſtaunen blieb dieſe, wie in der
Nacht. Kaum erwachte ſie, ſo zog ſie die
Vorhaͤnge zuruͤck und ſah auch ſogleich das
Kind mit muntern freundlichen Gebehrden
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/252>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.