muth spielte. Einige große Spiegel an der gegen mir überstehenden Wand vervielfach- ten das Bild der reizenden Gestalt im Vor- überschweben. Jch war wie festgebannt, ich konnte mich nicht satt sehen. Sie legte die Guitarre hin, und zog eine Schelle, ein Lakay in reicher Livree trat herein und brach- te Erfrischungen, sie setzte sich nun auf den Sopha dicht am offnen Balkon und verzehr- te einige Orangen, die sie erst mit großer Zierlichkeit schälte. Die unbedeutendste Be- wegung gefiel mir an ihr. Jch mußte es wagen, sie zu sprechen, das war gewiß. Ohne mich lange zu besinnen, sang ich halb leise einige Verse auf dieselbe Melodie, die sie so eben gesungen hatte. Jch konnte sie genau dabey beobachten: erst war sie er- schrocken, dann staunte sie, zuletzt ward sie aufmerksam, ich hörte auf und seufzte tief. Einen Augenblick besann sie sich, dann trat sie auf den Balkon heraus; sie sprach einige Worte, aus denen ich merkte, daß sie mich für einen andern nehmen mußte.
muth ſpielte. Einige große Spiegel an der gegen mir uͤberſtehenden Wand vervielfach- ten das Bild der reizenden Geſtalt im Vor- uͤberſchweben. Jch war wie feſtgebannt, ich konnte mich nicht ſatt ſehen. Sie legte die Guitarre hin, und zog eine Schelle, ein Lakay in reicher Livree trat herein und brach- te Erfriſchungen, ſie ſetzte ſich nun auf den Sopha dicht am offnen Balkon und verzehr- te einige Orangen, die ſie erſt mit großer Zierlichkeit ſchaͤlte. Die unbedeutendſte Be- wegung gefiel mir an ihr. Jch mußte es wagen, ſie zu ſprechen, das war gewiß. Ohne mich lange zu beſinnen, ſang ich halb leiſe einige Verſe auf dieſelbe Melodie, die ſie ſo eben geſungen hatte. Jch konnte ſie genau dabey beobachten: erſt war ſie er- ſchrocken, dann ſtaunte ſie, zuletzt ward ſie aufmerkſam, ich hoͤrte auf und ſeufzte tief. Einen Augenblick beſann ſie ſich, dann trat ſie auf den Balkon heraus; ſie ſprach einige Worte, aus denen ich merkte, daß ſie mich fuͤr einen andern nehmen mußte.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0209"n="201"/>
muth ſpielte. Einige große Spiegel an der<lb/>
gegen mir uͤberſtehenden Wand vervielfach-<lb/>
ten das Bild der reizenden Geſtalt im Vor-<lb/>
uͤberſchweben. Jch war wie feſtgebannt, ich<lb/>
konnte mich nicht ſatt ſehen. Sie legte die<lb/>
Guitarre hin, und zog eine Schelle, ein<lb/>
Lakay in reicher Livree trat herein und brach-<lb/>
te Erfriſchungen, ſie ſetzte ſich nun auf den<lb/>
Sopha dicht am offnen Balkon und verzehr-<lb/>
te einige Orangen, die ſie erſt mit großer<lb/>
Zierlichkeit ſchaͤlte. Die unbedeutendſte Be-<lb/>
wegung gefiel mir an ihr. Jch mußte es<lb/>
wagen, ſie zu ſprechen, das war gewiß.<lb/>
Ohne mich lange zu beſinnen, ſang ich halb<lb/>
leiſe einige Verſe auf dieſelbe Melodie, die<lb/>ſie ſo eben geſungen hatte. Jch konnte ſie<lb/>
genau dabey beobachten: erſt war ſie er-<lb/>ſchrocken, dann ſtaunte ſie, zuletzt ward ſie<lb/>
aufmerkſam, ich hoͤrte auf und ſeufzte<lb/>
tief. Einen Augenblick beſann ſie ſich, dann<lb/>
trat ſie auf den Balkon heraus; ſie ſprach<lb/>
einige Worte, aus denen ich merkte, daß<lb/>ſie mich fuͤr einen andern nehmen mußte.<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[201/0209]
muth ſpielte. Einige große Spiegel an der
gegen mir uͤberſtehenden Wand vervielfach-
ten das Bild der reizenden Geſtalt im Vor-
uͤberſchweben. Jch war wie feſtgebannt, ich
konnte mich nicht ſatt ſehen. Sie legte die
Guitarre hin, und zog eine Schelle, ein
Lakay in reicher Livree trat herein und brach-
te Erfriſchungen, ſie ſetzte ſich nun auf den
Sopha dicht am offnen Balkon und verzehr-
te einige Orangen, die ſie erſt mit großer
Zierlichkeit ſchaͤlte. Die unbedeutendſte Be-
wegung gefiel mir an ihr. Jch mußte es
wagen, ſie zu ſprechen, das war gewiß.
Ohne mich lange zu beſinnen, ſang ich halb
leiſe einige Verſe auf dieſelbe Melodie, die
ſie ſo eben geſungen hatte. Jch konnte ſie
genau dabey beobachten: erſt war ſie er-
ſchrocken, dann ſtaunte ſie, zuletzt ward ſie
aufmerkſam, ich hoͤrte auf und ſeufzte
tief. Einen Augenblick beſann ſie ſich, dann
trat ſie auf den Balkon heraus; ſie ſprach
einige Worte, aus denen ich merkte, daß
ſie mich fuͤr einen andern nehmen mußte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/209>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.