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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801.

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higte es mich wieder, nichts über meine Ge-
burt und meine Eltern zu erfahren, ich mußte
bey jedem Schritt, den ich unternehmen
wollte, befürchten, daß ich meiner eigentlichen
Bestimmung entgegen arbeite. Oft fühlte ich
mich zu diesen unruhigen Betrachtungen ge-
führt, doch konnte ich mich nicht lange einer
trüben Stimmung überlassen, meine Freunde
sowohl als alle meine Uebungen führten bald
wieder Vergessenheit alles Grams herbey.

Endlich ward mir von meiner Kleinen die
nahe Aussicht zur Vaterwürde verkündet. Wie
soll ich euch beschreiben, wie mir ward bey die-
ser Nachricht! Es geschah eine plötzliche Re-
volution in mir. Alles, was ich bis dahin
geglaubt, gedacht, gefürchtet, gehofft, geliebt
und gehaßt hatte, nahm eine andre gleichsam
glänzendere Gestalt in mir an. Jetzt wußte ich,
was ich wollte; ich dachte nicht mehr an ein
entferntes Glück, ich hatte meine Bestimmung
gefunden. Doch mich selbst verlor ich völlig dabey
aus den Augen, auf das Kind bezog ich Alles:
ich dachte unaufhörlich an die Art, wie ich es

higte es mich wieder, nichts uͤber meine Ge-
burt und meine Eltern zu erfahren, ich mußte
bey jedem Schritt, den ich unternehmen
wollte, befuͤrchten, daß ich meiner eigentlichen
Beſtimmung entgegen arbeite. Oft fuͤhlte ich
mich zu dieſen unruhigen Betrachtungen ge-
fuͤhrt, doch konnte ich mich nicht lange einer
truͤben Stimmung uͤberlaſſen, meine Freunde
ſowohl als alle meine Uebungen fuͤhrten bald
wieder Vergeſſenheit alles Grams herbey.

Endlich ward mir von meiner Kleinen die
nahe Ausſicht zur Vaterwuͤrde verkuͤndet. Wie
ſoll ich euch beſchreiben, wie mir ward bey die-
ſer Nachricht! Es geſchah eine ploͤtzliche Re-
volution in mir. Alles, was ich bis dahin
geglaubt, gedacht, gefuͤrchtet, gehofft, geliebt
und gehaßt hatte, nahm eine andre gleichſam
glaͤnzendere Geſtalt in mir an. Jetzt wußte ich,
was ich wollte; ich dachte nicht mehr an ein
entferntes Gluͤck, ich hatte meine Beſtimmung
gefunden. Doch mich ſelbſt verlor ich voͤllig dabey
aus den Augen, auf das Kind bezog ich Alles:
ich dachte unaufhoͤrlich an die Art, wie ich es

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[176/0184] higte es mich wieder, nichts uͤber meine Ge- burt und meine Eltern zu erfahren, ich mußte bey jedem Schritt, den ich unternehmen wollte, befuͤrchten, daß ich meiner eigentlichen Beſtimmung entgegen arbeite. Oft fuͤhlte ich mich zu dieſen unruhigen Betrachtungen ge- fuͤhrt, doch konnte ich mich nicht lange einer truͤben Stimmung uͤberlaſſen, meine Freunde ſowohl als alle meine Uebungen fuͤhrten bald wieder Vergeſſenheit alles Grams herbey. Endlich ward mir von meiner Kleinen die nahe Ausſicht zur Vaterwuͤrde verkuͤndet. Wie ſoll ich euch beſchreiben, wie mir ward bey die- ſer Nachricht! Es geſchah eine ploͤtzliche Re- volution in mir. Alles, was ich bis dahin geglaubt, gedacht, gefuͤrchtet, gehofft, geliebt und gehaßt hatte, nahm eine andre gleichſam glaͤnzendere Geſtalt in mir an. Jetzt wußte ich, was ich wollte; ich dachte nicht mehr an ein entferntes Gluͤck, ich hatte meine Beſtimmung gefunden. Doch mich ſelbſt verlor ich voͤllig dabey aus den Augen, auf das Kind bezog ich Alles: ich dachte unaufhoͤrlich an die Art, wie ich es

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Zitationshilfe: Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/184>, abgerufen am 13.05.2024.