sehen! Jch bin nicht Deine Mutter, und meine Tochter ist nicht Deine Schwester! -- Das war freylich etwas neues, ich war wie betäubt. Wo? wer? wer denn? rief ich. -- Dazu ist jetzt nicht Zeit, auch nützt es Dir nicht, es zu wissen, Deine Eltern leben nicht mehr; sie waren mir theuer, darum warest auch Du es mir. Es wird geläutet, ich muß jetzt fort. Halte Dich nicht länger auf, Flo- rentin, wenn man dich hier erblickt, so ver- mag ich Dich nicht zu retten. Es ist der letzte Liebesdienst, den ich Dir erweise: laß Dich umarmen, mein Sohn! Jch bin zwar nicht Deine Mutter, aber ich habe mütterliche Sor- ge für Dich getragen, vergiß es niemals! Lebe wohl, Gott fegne dich! Flieh! ich höre Stimmen im Nebenzimmer! Oder kehrst Du noch um? wirfst Du dich reuig in die Arme der heiligen Kirche? -- Leben Sie wohl! rief ich ihr nach, als sie mich standhaft vernei- nen sah und sich mit einem Ausdruck von Schmerz und Unwillen ins Nebenzimmer wandte. Jetzt hörte ich viele Stimmen, unter
ſehen! Jch bin nicht Deine Mutter, und meine Tochter iſt nicht Deine Schweſter! — Das war freylich etwas neues, ich war wie betaͤubt. Wo? wer? wer denn? rief ich. — Dazu iſt jetzt nicht Zeit, auch nuͤtzt es Dir nicht, es zu wiſſen, Deine Eltern leben nicht mehr; ſie waren mir theuer, darum wareſt auch Du es mir. Es wird gelaͤutet, ich muß jetzt fort. Halte Dich nicht laͤnger auf, Flo- rentin, wenn man dich hier erblickt, ſo ver- mag ich Dich nicht zu retten. Es iſt der letzte Liebesdienſt, den ich Dir erweiſe: laß Dich umarmen, mein Sohn! Jch bin zwar nicht Deine Mutter, aber ich habe muͤtterliche Sor- ge fuͤr Dich getragen, vergiß es niemals! Lebe wohl, Gott fegne dich! Flieh! ich hoͤre Stimmen im Nebenzimmer! Oder kehrſt Du noch um? wirfſt Du dich reuig in die Arme der heiligen Kirche? — Leben Sie wohl! rief ich ihr nach, als ſie mich ſtandhaft vernei- nen ſah und ſich mit einem Ausdruck von Schmerz und Unwillen ins Nebenzimmer wandte. Jetzt hoͤrte ich viele Stimmen, unter
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ſehen! Jch bin nicht Deine Mutter, und
meine Tochter iſt nicht Deine Schweſter! —
Das war freylich etwas neues, ich war wie
betaͤubt. Wo? wer? wer denn? rief ich. —
Dazu iſt jetzt nicht Zeit, auch nuͤtzt es Dir
nicht, es zu wiſſen, Deine Eltern leben nicht
mehr; ſie waren mir theuer, darum wareſt
auch Du es mir. Es wird gelaͤutet, ich muß
jetzt fort. Halte Dich nicht laͤnger auf, Flo-
rentin, wenn man dich hier erblickt, ſo ver-
mag ich Dich nicht zu retten. Es iſt der letzte
Liebesdienſt, den ich Dir erweiſe: laß Dich
umarmen, mein Sohn! Jch bin zwar nicht
Deine Mutter, aber ich habe muͤtterliche Sor-
ge fuͤr Dich getragen, vergiß es niemals!
Lebe wohl, Gott fegne dich! Flieh! ich hoͤre
Stimmen im Nebenzimmer! Oder kehrſt Du
noch um? wirfſt Du dich reuig in die Arme
der heiligen Kirche? — Leben Sie wohl!
rief ich ihr nach, als ſie mich ſtandhaft vernei-
nen ſah und ſich mit einem Ausdruck von
Schmerz und Unwillen ins Nebenzimmer
wandte. Jetzt hoͤrte ich viele Stimmen, unter
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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/154>, abgerufen am 21.11.2024.
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