gion, um unantastbar zu sein: das fand bessern Eingang, da es praktischer zu verstehen war. Aber meine eigne Meinung ward mich gelehrt: und wahrscheinlich überhört, daß ich sagte: eine Religion könne nicht deduzirt werden; (sie muß offenbart als Gebot werden: oder bewiesen durch Wunder, wozu sich Christus fremde große Lehre noch bequemen mußte;) sonst ist sie eine Lehre der vorhandenen Vernunft angereiht.
Das ist aber das Schöne unseres jetzigen Zustandes, daß das Gute und Heilsame bewiesen werden kann, -- und also bewiesen werden muß, -- und daß das für Recht Anerkannte uns zum Höchsten in uns führt, und so von uns geehrt wird, wie die unerwartetste Offenbarung, von Chören von Engeln aus den Wolken gereicht! Diese unumstößliche Aner- kennung des Rechten, diese heilig gewordene Verehrung da- für, ist jetzt religiös, aber nicht mehr Religion. Das ist jetzt das heilige Antlitz Gottes, welches wir erkennen: eine Evi- denz, der nichts widerstehen kann, die alle Gesichte nach und nach ausschließt. Jeder muß seine bildlichen Privatvorstellun- gen seines Verhältnisses zum großen Gott aus den Mitteln seiner eignen Phantasie nehmen.
An den Fürsten von Pückler-Muskau.
Sonnabend, den 18. Februar 1832.
Küßt man doch eine gelungene Pflanze -- zartere in Gedanken -- lobt, grüßt man sie! Wie selten ist mir in der Welt ein Kern des Menschen, sein Herz, so gelungen
gion, um unantaſtbar zu ſein: das fand beſſern Eingang, da es praktiſcher zu verſtehen war. Aber meine eigne Meinung ward mich gelehrt: und wahrſcheinlich überhört, daß ich ſagte: eine Religion könne nicht deduzirt werden; (ſie muß offenbart als Gebot werden: oder bewieſen durch Wunder, wozu ſich Chriſtus fremde große Lehre noch bequemen mußte;) ſonſt iſt ſie eine Lehre der vorhandenen Vernunft angereiht.
Das iſt aber das Schöne unſeres jetzigen Zuſtandes, daß das Gute und Heilſame bewieſen werden kann, — und alſo bewieſen werden muß, — und daß das für Recht Anerkannte uns zum Höchſten in uns führt, und ſo von uns geehrt wird, wie die unerwartetſte Offenbarung, von Chören von Engeln aus den Wolken gereicht! Dieſe unumſtößliche Aner- kennung des Rechten, dieſe heilig gewordene Verehrung da- für, iſt jetzt religiös, aber nicht mehr Religion. Das iſt jetzt das heilige Antlitz Gottes, welches wir erkennen: eine Evi- denz, der nichts widerſtehen kann, die alle Geſichte nach und nach ausſchließt. Jeder muß ſeine bildlichen Privatvorſtellun- gen ſeines Verhältniſſes zum großen Gott aus den Mitteln ſeiner eignen Phantaſie nehmen.
An den Fürſten von Pückler-Muskau.
Sonnabend, den 18. Februar 1832.
Küßt man doch eine gelungene Pflanze — zartere in Gedanken — lobt, grüßt man ſie! Wie ſelten iſt mir in der Welt ein Kern des Menſchen, ſein Herz, ſo gelungen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0564"n="556"/>
gion, um unantaſtbar zu ſein: das fand beſſern Eingang, da<lb/>
es praktiſcher zu verſtehen war. Aber meine eigne Meinung<lb/>
ward mich gelehrt: und wahrſcheinlich überhört, daß ich ſagte:<lb/>
eine Religion könne nicht deduzirt werden; (ſie muß offenbart<lb/>
als Gebot werden: oder bewieſen durch Wunder, wozu ſich<lb/>
Chriſtus fremde große Lehre noch bequemen mußte;) ſonſt iſt<lb/>ſie eine Lehre der vorhandenen Vernunft angereiht.</p><lb/><p>Das iſt aber das Schöne unſeres jetzigen Zuſtandes, daß<lb/>
das Gute und Heilſame bewieſen werden kann, — und alſo<lb/>
bewieſen werden muß, — und daß das für Recht Anerkannte<lb/>
uns <hirendition="#g">zum Höchſten in uns führt</hi>, und ſo von uns geehrt<lb/>
wird, wie die unerwartetſte Offenbarung, von Chören von<lb/>
Engeln aus den Wolken gereicht! Dieſe unumſtößliche Aner-<lb/>
kennung des Rechten, dieſe heilig gewordene Verehrung da-<lb/>
für, iſt jetzt religiös, aber nicht mehr Religion. Das iſt jetzt<lb/>
das heilige Antlitz Gottes, welches wir erkennen: eine Evi-<lb/>
denz, der nichts widerſtehen kann, die alle Geſichte nach und<lb/>
nach ausſchließt. Jeder muß ſeine bildlichen Privatvorſtellun-<lb/>
gen ſeines Verhältniſſes zum großen Gott aus den Mitteln<lb/>ſeiner eignen Phantaſie nehmen.</p></div></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>An den Fürſten von Pückler-Muskau.</head><lb/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Sonnabend, den 18. Februar 1832.</hi></dateline><lb/><p>Küßt man doch eine gelungene Pflanze — zartere in<lb/>
Gedanken — lobt, grüßt man ſie! <hirendition="#g">Wie ſelten</hi> iſt mir in<lb/>
der Welt ein Kern des Menſchen, ſein Herz, ſo gelungen<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[556/0564]
gion, um unantaſtbar zu ſein: das fand beſſern Eingang, da
es praktiſcher zu verſtehen war. Aber meine eigne Meinung
ward mich gelehrt: und wahrſcheinlich überhört, daß ich ſagte:
eine Religion könne nicht deduzirt werden; (ſie muß offenbart
als Gebot werden: oder bewieſen durch Wunder, wozu ſich
Chriſtus fremde große Lehre noch bequemen mußte;) ſonſt iſt
ſie eine Lehre der vorhandenen Vernunft angereiht.
Das iſt aber das Schöne unſeres jetzigen Zuſtandes, daß
das Gute und Heilſame bewieſen werden kann, — und alſo
bewieſen werden muß, — und daß das für Recht Anerkannte
uns zum Höchſten in uns führt, und ſo von uns geehrt
wird, wie die unerwartetſte Offenbarung, von Chören von
Engeln aus den Wolken gereicht! Dieſe unumſtößliche Aner-
kennung des Rechten, dieſe heilig gewordene Verehrung da-
für, iſt jetzt religiös, aber nicht mehr Religion. Das iſt jetzt
das heilige Antlitz Gottes, welches wir erkennen: eine Evi-
denz, der nichts widerſtehen kann, die alle Geſichte nach und
nach ausſchließt. Jeder muß ſeine bildlichen Privatvorſtellun-
gen ſeines Verhältniſſes zum großen Gott aus den Mitteln
ſeiner eignen Phantaſie nehmen.
An den Fürſten von Pückler-Muskau.
Sonnabend, den 18. Februar 1832.
Küßt man doch eine gelungene Pflanze — zartere in
Gedanken — lobt, grüßt man ſie! Wie ſelten iſt mir in
der Welt ein Kern des Menſchen, ſein Herz, ſo gelungen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 556. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/564>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.