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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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Forderungen allen genügte: und nicht sogar, quälte; oder
auch nur: mir war dies nicht beschieden: (wie denn jeder
Mensch, der nur Besinnung hat, ein ganz einziges Schicksal
hat: ein Moment des Ganzen ist, -- Gottes, wenn Sie wol-
len, -- der nur Einmal existiren kann). Einsamer ist man
nicht, als ich nun in allen Stücken. Ich sehe noch hie und
da Menschen; lese, höre. Aber lebe ohne Pairs. Und denke
an Vergangenes wie ein Verstorbener. Aber wenn ich mich
bedenke, war es zu sechszehn, zwanzig, dreißig, vierzig Jah-
ren nicht anders mit mir: auch wußte ich es in der Tiefe im-
mer: nur überschrieen meine neuen Wahrnehmungen, Empfin-
dungen, den Himmel, Natur und Welt belagernde Forderun-
gen an all diese, die in der Tiefe immer zu findende Evidenz:
und, Stück vor Stück mußte mir das Ganze genommen wer-
den, ehe ich den Muth, die Kraft, die Möglichkeit faßte, daß
ich nichts haben sollte. Nur mich selbst. Auch darauf bin
ich nicht stolz: wie weiß ich, daß schon Krankheit uns uns
selbst entreißt, zerstört! Es giebt nur Einen großen Lehnherrn:
und wir alle Kreaturen sind Vasallen. Nur durch Miteinsicht
erahnden wir Freiheit, -- von der denke ich anders, als die
Kämpfenden, als je ein Publicist! --

Unser innerstes Wesen ist sogar gezwungen: unser Wunsch
nach einem heiligen, freien, unverletzten Zustand. Müssen
wir das nicht wünschen? Sind wir dieser Wunsch nicht selbst?
Adieu! a demain! un mal d'yeux qu'il faut menager, me fait
quitter la plume. Bon jour!
--

Heute ist Freitag; und noch trübes Nebelwetter. Ich
will fortzufahren suchen. Nun denn; ich bin verarmt; und

Forderungen allen genügte: und nicht ſogar, quälte; oder
auch nur: mir war dies nicht beſchieden: (wie denn jeder
Menſch, der nur Beſinnung hat, ein ganz einziges Schickſal
hat: ein Moment des Ganzen iſt, — Gottes, wenn Sie wol-
len, — der nur Einmal exiſtiren kann). Einſamer iſt man
nicht, als ich nun in allen Stücken. Ich ſehe noch hie und
da Menſchen; leſe, höre. Aber lebe ohne Pairs. Und denke
an Vergangenes wie ein Verſtorbener. Aber wenn ich mich
bedenke, war es zu ſechszehn, zwanzig, dreißig, vierzig Jah-
ren nicht anders mit mir: auch wußte ich es in der Tiefe im-
mer: nur überſchrieen meine neuen Wahrnehmungen, Empfin-
dungen, den Himmel, Natur und Welt belagernde Forderun-
gen an all dieſe, die in der Tiefe immer zu findende Evidenz:
und, Stück vor Stück mußte mir das Ganze genommen wer-
den, ehe ich den Muth, die Kraft, die Möglichkeit faßte, daß
ich nichts haben ſollte. Nur mich ſelbſt. Auch darauf bin
ich nicht ſtolz: wie weiß ich, daß ſchon Krankheit uns uns
ſelbſt entreißt, zerſtört! Es giebt nur Einen großen Lehnherrn:
und wir alle Kreaturen ſind Vaſallen. Nur durch Miteinſicht
erahnden wir Freiheit, — von der denke ich anders, als die
Kämpfenden, als je ein Publiciſt! —

Unſer innerſtes Weſen iſt ſogar gezwungen: unſer Wunſch
nach einem heiligen, freien, unverletzten Zuſtand. Müſſen
wir das nicht wünſchen? Sind wir dieſer Wunſch nicht ſelbſt?
Adieu! à demain! un mal d’yeux qu’il faut ménager, me fait
quitter la plume. Bon jour!

Heute iſt Freitag; und noch trübes Nebelwetter. Ich
will fortzufahren ſuchen. Nun denn; ich bin verarmt; und

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[540/0548] Forderungen allen genügte: und nicht ſogar, quälte; oder auch nur: mir war dies nicht beſchieden: (wie denn jeder Menſch, der nur Beſinnung hat, ein ganz einziges Schickſal hat: ein Moment des Ganzen iſt, — Gottes, wenn Sie wol- len, — der nur Einmal exiſtiren kann). Einſamer iſt man nicht, als ich nun in allen Stücken. Ich ſehe noch hie und da Menſchen; leſe, höre. Aber lebe ohne Pairs. Und denke an Vergangenes wie ein Verſtorbener. Aber wenn ich mich bedenke, war es zu ſechszehn, zwanzig, dreißig, vierzig Jah- ren nicht anders mit mir: auch wußte ich es in der Tiefe im- mer: nur überſchrieen meine neuen Wahrnehmungen, Empfin- dungen, den Himmel, Natur und Welt belagernde Forderun- gen an all dieſe, die in der Tiefe immer zu findende Evidenz: und, Stück vor Stück mußte mir das Ganze genommen wer- den, ehe ich den Muth, die Kraft, die Möglichkeit faßte, daß ich nichts haben ſollte. Nur mich ſelbſt. Auch darauf bin ich nicht ſtolz: wie weiß ich, daß ſchon Krankheit uns uns ſelbſt entreißt, zerſtört! Es giebt nur Einen großen Lehnherrn: und wir alle Kreaturen ſind Vaſallen. Nur durch Miteinſicht erahnden wir Freiheit, — von der denke ich anders, als die Kämpfenden, als je ein Publiciſt! — Unſer innerſtes Weſen iſt ſogar gezwungen: unſer Wunſch nach einem heiligen, freien, unverletzten Zuſtand. Müſſen wir das nicht wünſchen? Sind wir dieſer Wunſch nicht ſelbſt? Adieu! à demain! un mal d’yeux qu’il faut ménager, me fait quitter la plume. Bon jour! — Heute iſt Freitag; und noch trübes Nebelwetter. Ich will fortzufahren ſuchen. Nun denn; ich bin verarmt; und

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 540. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/548>, abgerufen am 27.11.2024.