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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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vermisse den Reichthum nicht, wie ich wohl in meiner reicheren
Zeit, und in damaligem Mangelgefühl hätte denken können.
Auch an mein Alter würde ich nicht erinnert werden, wäre ich
nicht leidend; auch das wäre ich erträglich, wäre ich geschont
worden. Enfin es ist so geworden wie es ist. Ich habe alle
meine Empfänglichkeit noch -- für Gut- und Schlechtes, und
freute mich auf Fanny's und Theresens Kommen, wie zu sechs-
zehn Jahren; nur verdoppelt, vielfach verdoppelt, und aus
allen Sphären her begründet, und bestätigt, hat sich mein
Haß und meine Liebe. -- Aber faux-frais zu Vergnügen und
Glück kann ich nun durchaus nicht mehr machen; überhaupt
keine frais; da ich Glück und Vergnügen missen kann, so
müssen die beiden mir die Kour machen, wenn sie etwas mit
mir zu thun haben wollen -- es sei unter welcher Men-
schenmaske es wolle -- Sie wollen aber nicht: und ich bin
einsam!!! Aber nicht aus diesem Grund allein: in der höch-
sten aktiven, und passiven Aktivität konnte mir das geschehn:
meine Einsicht, meine Gedanken sind zu abwärts: und in den
größten Details noch mehr. Wie drücke ich das nur Ihnen
verständlich aus! Sie haben mich jung gekannt, und kennen
meine Ignoranz: aber ich weiß alles: durch Selbstthätigkeit.
Mit den größten Schriftstellern finde ich mich überein. Komme
zu ihnen auf ihren hohen Sternen; aber auf meinem Weg:
oder, durch Einen glücklichen Aufschwung. Und so ist es
noch wie in der Kindheit: in der schlechtesten Komödie, in
der geringsten Gesellschaft, oder bei solchen Behauptungen,
wird mir die höchste Tragödie, das höchste Beisammensein mit
all seinen Bedingungen klar; Polemik bis an ihren Ziel- und

vermiſſe den Reichthum nicht, wie ich wohl in meiner reicheren
Zeit, und in damaligem Mangelgefühl hätte denken können.
Auch an mein Alter würde ich nicht erinnert werden, wäre ich
nicht leidend; auch das wäre ich erträglich, wäre ich geſchont
worden. Enfin es iſt ſo geworden wie es iſt. Ich habe alle
meine Empfänglichkeit noch — für Gut- und Schlechtes, und
freute mich auf Fanny’s und Thereſens Kommen, wie zu ſechs-
zehn Jahren; nur verdoppelt, vielfach verdoppelt, und aus
allen Sphären her begründet, und beſtätigt, hat ſich mein
Haß und meine Liebe. — Aber faux-frais zu Vergnügen und
Glück kann ich nun durchaus nicht mehr machen; überhaupt
keine frais; da ich Glück und Vergnügen miſſen kann, ſo
müſſen die beiden mir die Kour machen, wenn ſie etwas mit
mir zu thun haben wollen — es ſei unter welcher Men-
ſchenmaske es wolle — Sie wollen aber nicht: und ich bin
einſam!!! Aber nicht aus dieſem Grund allein: in der höch-
ſten aktiven, und paſſiven Aktivität konnte mir das geſchehn:
meine Einſicht, meine Gedanken ſind zu abwärts: und in den
größten Details noch mehr. Wie drücke ich das nur Ihnen
verſtändlich aus! Sie haben mich jung gekannt, und kennen
meine Ignoranz: aber ich weiß alles: durch Selbſtthätigkeit.
Mit den größten Schriftſtellern finde ich mich überein. Komme
zu ihnen auf ihren hohen Sternen; aber auf meinem Weg:
oder, durch Einen glücklichen Aufſchwung. Und ſo iſt es
noch wie in der Kindheit: in der ſchlechteſten Komödie, in
der geringſten Geſellſchaft, oder bei ſolchen Behauptungen,
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[541/0549] vermiſſe den Reichthum nicht, wie ich wohl in meiner reicheren Zeit, und in damaligem Mangelgefühl hätte denken können. Auch an mein Alter würde ich nicht erinnert werden, wäre ich nicht leidend; auch das wäre ich erträglich, wäre ich geſchont worden. Enfin es iſt ſo geworden wie es iſt. Ich habe alle meine Empfänglichkeit noch — für Gut- und Schlechtes, und freute mich auf Fanny’s und Thereſens Kommen, wie zu ſechs- zehn Jahren; nur verdoppelt, vielfach verdoppelt, und aus allen Sphären her begründet, und beſtätigt, hat ſich mein Haß und meine Liebe. — Aber faux-frais zu Vergnügen und Glück kann ich nun durchaus nicht mehr machen; überhaupt keine frais; da ich Glück und Vergnügen miſſen kann, ſo müſſen die beiden mir die Kour machen, wenn ſie etwas mit mir zu thun haben wollen — es ſei unter welcher Men- ſchenmaske es wolle — Sie wollen aber nicht: und ich bin einſam!!! Aber nicht aus dieſem Grund allein: in der höch- ſten aktiven, und paſſiven Aktivität konnte mir das geſchehn: meine Einſicht, meine Gedanken ſind zu abwärts: und in den größten Details noch mehr. Wie drücke ich das nur Ihnen verſtändlich aus! Sie haben mich jung gekannt, und kennen meine Ignoranz: aber ich weiß alles: durch Selbſtthätigkeit. Mit den größten Schriftſtellern finde ich mich überein. Komme zu ihnen auf ihren hohen Sternen; aber auf meinem Weg: oder, durch Einen glücklichen Aufſchwung. Und ſo iſt es noch wie in der Kindheit: in der ſchlechteſten Komödie, in der geringſten Geſellſchaft, oder bei ſolchen Behauptungen, wird mir die höchſte Tragödie, das höchſte Beiſammenſein mit all ſeinen Bedingungen klar; Polemik bis an ihren Ziel- und

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/549>, abgerufen am 23.11.2024.