die Cholera -- da steht das Wort: es muß hier stehn -- wenn die Sonne noch ganz da ist, müssen die Fenster zu: und mit Bernstein alles geräuchert; Nachts die Binden umbehalten: keine Sorte Transpiration unterbrochen: nie, nicht Tag, nicht Nacht. Nie zu kalt getrunken: nur bei wirklichem Durst; mehr Kaffee als sonst; kein kaltes Fleisch; nie; etwa beim Thee. Hat man leises Abweichen, ordinairen Thee; schon Vormittag. Kein Fenster geöffnet, bis die Sonne hell scheint, und aller Morgenthau weg ist; ist flaue Luft, mit Bernstein geräuchert, force! ist es sonnen- heiß -- sie ist jetzt trügerisch, immerfort -- mit Essig ge- sprengt. Nie ganz satt gegessen. Vormittag einen Schluck Bischof; nie bloßes Wasser; dies abgekocht. Privation! Ja, ja, ja: dies ist die Abwehr. Knoblauch auf den Magen, oder Kampher; absolut. Und Gottes Segen von mir an- gerufen immerdar! Meine Furcht, mein Schrecken wären grän- zenlos, sich infizirt zu wissen u. s. w. u. s. w. Ich litt das wiedervergessene Gränzenlose, war auch krank, lag fünf Tage an Nerven, Fieber, Erbrechen -- wie immer -- zu Bette, als Ihr Brief kam. Und doch: ich habe schöne Stunden gehabt: mir wird bei Leiden das Herz offen; und, wie eine Schleuse, strömt Liebe ein, Liebe aus: und viele, die besten Gedanken werden rege. Wär's nicht Sünde, würde ich sagen: ich weiß dann mehr von Gott; dem ich knieendst danke. Auch thut mir die Einsamkeit, in der man mir keine falsche Vergnügungs- vorschläge machen und geben kann, wohl. Ich sehe niemand, als die Kinder, und dann und wann Morgens die Nichten; lese; sorge für alle meine Leute den ganzen Tag, für deren
III. 34
die Cholera — da ſteht das Wort: es muß hier ſtehn — wenn die Sonne noch ganz da iſt, müſſen die Fenſter zu: und mit Bernſtein alles geräuchert; Nachts die Binden umbehalten: keine Sorte Tranſpiration unterbrochen: nie, nicht Tag, nicht Nacht. Nie zu kalt getrunken: nur bei wirklichem Durſt; mehr Kaffee als ſonſt; kein kaltes Fleiſch; nie; etwa beim Thee. Hat man leiſes Abweichen, ordinairen Thee; ſchon Vormittag. Kein Fenſter geöffnet, bis die Sonne hell ſcheint, und aller Morgenthau weg iſt; iſt flaue Luft, mit Bernſtein geräuchert, force! iſt es ſonnen- heiß — ſie iſt jetzt trügeriſch, immerfort — mit Eſſig ge- ſprengt. Nie ganz ſatt gegeſſen. Vormittag einen Schluck Biſchof; nie bloßes Waſſer; dies abgekocht. Privation! Ja, ja, ja: dies iſt die Abwehr. Knoblauch auf den Magen, oder Kampher; abſolut. Und Gottes Segen von mir an- gerufen immerdar! Meine Furcht, mein Schrecken wären grän- zenlos, ſich infizirt zu wiſſen u. ſ. w. u. ſ. w. Ich litt das wiedervergeſſene Gränzenloſe, war auch krank, lag fünf Tage an Nerven, Fieber, Erbrechen — wie immer — zu Bette, als Ihr Brief kam. Und doch: ich habe ſchöne Stunden gehabt: mir wird bei Leiden das Herz offen; und, wie eine Schleuſe, ſtrömt Liebe ein, Liebe aus: und viele, die beſten Gedanken werden rege. Wär’s nicht Sünde, würde ich ſagen: ich weiß dann mehr von Gott; dem ich knieendſt danke. Auch thut mir die Einſamkeit, in der man mir keine falſche Vergnügungs- vorſchläge machen und geben kann, wohl. Ich ſehe niemand, als die Kinder, und dann und wann Morgens die Nichten; leſe; ſorge für alle meine Leute den ganzen Tag, für deren
III. 34
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0537"n="529"/>
die Cholera — da ſteht das Wort: es <hirendition="#g">muß</hi> hier ſtehn —<lb/>
wenn die Sonne noch <hirendition="#g">ganz</hi> da iſt, müſſen die Fenſter zu:<lb/>
und mit Bernſtein <hirendition="#g">alles</hi> geräuchert; <hirendition="#g">Nachts</hi> die Binden<lb/><hirendition="#g">umbehalten</hi>: keine <hirendition="#g">Sorte</hi> Tranſpiration unterbrochen:<lb/>
nie, nicht Tag, nicht Nacht. Nie zu kalt getrunken: nur<lb/>
bei <hirendition="#g">wirklichem Durſt</hi>; mehr Kaffee als ſonſt; kein kaltes<lb/>
Fleiſch; nie; etwa beim Thee. Hat man leiſes Abweichen,<lb/><hirendition="#g">ordinairen</hi> Thee; ſchon Vormittag. Kein Fenſter geöffnet,<lb/><hirendition="#g">bis</hi> die Sonne <hirendition="#g">hell</hi>ſcheint, und <hirendition="#g">aller</hi> Morgenthau weg iſt;<lb/>
iſt flaue Luft, mit Bernſtein geräuchert, <hirendition="#aq">force!</hi> iſt es ſonnen-<lb/>
heiß —ſie iſt jetzt trügeriſch, <hirendition="#g">immerfort</hi>— mit Eſſig <hirendition="#g">ge-<lb/>ſprengt. Nie</hi> ganz ſatt gegeſſen. Vormittag einen Schluck<lb/>
Biſchof; <hirendition="#g">nie</hi> bloßes Waſſer; dies <hirendition="#g">abgekocht</hi>. Privation!<lb/>
Ja, ja, ja: dies iſt die Abwehr. Knoblauch auf den Magen,<lb/>
oder Kampher; <hirendition="#g">abſolut</hi>. Und Gottes Segen von mir an-<lb/>
gerufen immerdar! Meine Furcht, mein Schrecken wären grän-<lb/>
zenlos, ſich infizirt zu wiſſen u. ſ. w. u. ſ. w. Ich litt das<lb/>
wiedervergeſſene Gränzenloſe, war auch krank, lag fünf Tage<lb/>
an Nerven, Fieber, Erbrechen — wie immer — zu Bette, als<lb/>
Ihr Brief kam. Und doch: ich habe ſchöne Stunden gehabt:<lb/>
mir wird bei Leiden das Herz offen; und, wie eine Schleuſe,<lb/>ſtrömt Liebe ein, Liebe aus: und viele, die beſten Gedanken<lb/>
werden rege. Wär’s nicht Sünde, würde ich ſagen: ich weiß<lb/>
dann mehr von Gott; dem ich knieendſt danke. Auch thut<lb/>
mir die Einſamkeit, in der man mir keine falſche Vergnügungs-<lb/>
vorſchläge machen und geben kann, wohl. Ich ſehe niemand,<lb/>
als die Kinder, und dann und wann Morgens die Nichten;<lb/>
leſe; ſorge für alle meine Leute den ganzen Tag, für deren<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#aq">III.</hi> 34</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[529/0537]
die Cholera — da ſteht das Wort: es muß hier ſtehn —
wenn die Sonne noch ganz da iſt, müſſen die Fenſter zu:
und mit Bernſtein alles geräuchert; Nachts die Binden
umbehalten: keine Sorte Tranſpiration unterbrochen:
nie, nicht Tag, nicht Nacht. Nie zu kalt getrunken: nur
bei wirklichem Durſt; mehr Kaffee als ſonſt; kein kaltes
Fleiſch; nie; etwa beim Thee. Hat man leiſes Abweichen,
ordinairen Thee; ſchon Vormittag. Kein Fenſter geöffnet,
bis die Sonne hell ſcheint, und aller Morgenthau weg iſt;
iſt flaue Luft, mit Bernſtein geräuchert, force! iſt es ſonnen-
heiß — ſie iſt jetzt trügeriſch, immerfort — mit Eſſig ge-
ſprengt. Nie ganz ſatt gegeſſen. Vormittag einen Schluck
Biſchof; nie bloßes Waſſer; dies abgekocht. Privation!
Ja, ja, ja: dies iſt die Abwehr. Knoblauch auf den Magen,
oder Kampher; abſolut. Und Gottes Segen von mir an-
gerufen immerdar! Meine Furcht, mein Schrecken wären grän-
zenlos, ſich infizirt zu wiſſen u. ſ. w. u. ſ. w. Ich litt das
wiedervergeſſene Gränzenloſe, war auch krank, lag fünf Tage
an Nerven, Fieber, Erbrechen — wie immer — zu Bette, als
Ihr Brief kam. Und doch: ich habe ſchöne Stunden gehabt:
mir wird bei Leiden das Herz offen; und, wie eine Schleuſe,
ſtrömt Liebe ein, Liebe aus: und viele, die beſten Gedanken
werden rege. Wär’s nicht Sünde, würde ich ſagen: ich weiß
dann mehr von Gott; dem ich knieendſt danke. Auch thut
mir die Einſamkeit, in der man mir keine falſche Vergnügungs-
vorſchläge machen und geben kann, wohl. Ich ſehe niemand,
als die Kinder, und dann und wann Morgens die Nichten;
leſe; ſorge für alle meine Leute den ganzen Tag, für deren
III. 34
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 529. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/537>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.