Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite
An Ernestine G., in Paris.


Sonne will aus leichtumzogenem Himmel hervorbrechen,
und mich dünkt -- ich weiß es nur aus dem Fen-
ster -- heute herrscht zum erstenmale nicht Ostnordwind.
Dies haben Sie doch in Paris nicht; nicht wahr?

Gestern, meine liebe Ernestine, überreichte man mir einen
Brief von einem Herrn, der schon weggegangen war, und es
war Ihrer. Dieser Brief hat kein Datum (ein Kapitalfehler).
Glück auf, liebe Freundin! Glück auf, daß Ihnen noch etwas
reell Positives zur Freude geschehn kann. -- Wenn nur die
liebe M. ein gutes Leben haben wird! Das Wort glücklich
zieht ein Lächlen auf meine Lippen: so weit, sehe ich, bin ich
gekommen, in Einsicht deß, was sein kann. Sonst hätte ich
geschrieben: wenn sie nur glücklich sein wird! Ich liebe
sie, schon weil ich sie gekannt habe, weil es ein Kind ist, weil
es Ihres ist. -- Sie kennen mich freilich, meine liebe Freun-
din. In meinem hohen Alter bin ich noch die Detail-
Liebhaberin
. Ich habe mich von unten hinaufgedacht: und
arbeite noch immer so. Absoluteste Natur: denn, ich kann
nicht anders: und diese Anlage in mir danke ich dem Schick-
sal; da es eine Methode ist, der ich meine höchste Zustimmung
gebe. Also haben mich die Details der beschriebenen Pariser
Anzüge sehr interessirt. Ich sehr für's erste daraus, in wel-
cher Ökonomie wir hier verfallen bleiben; und wie ewig schöpfe-
risch, exakt und neu sie dort sind -- und wie dies jene ver-
bietet; -- und wie dies sogar ewig neue Benennungen er-

An Erneſtine G., in Paris.


Sonne will aus leichtumzogenem Himmel hervorbrechen,
und mich dünkt — ich weiß es nur aus dem Fen-
ſter — heute herrſcht zum erſtenmale nicht Oſtnordwind.
Dies haben Sie doch in Paris nicht; nicht wahr?

Geſtern, meine liebe Erneſtine, überreichte man mir einen
Brief von einem Herrn, der ſchon weggegangen war, und es
war Ihrer. Dieſer Brief hat kein Datum (ein Kapitalfehler).
Glück auf, liebe Freundin! Glück auf, daß Ihnen noch etwas
reell Poſitives zur Freude geſchehn kann. — Wenn nur die
liebe M. ein gutes Leben haben wird! Das Wort glücklich
zieht ein Lächlen auf meine Lippen: ſo weit, ſehe ich, bin ich
gekommen, in Einſicht deß, was ſein kann. Sonſt hätte ich
geſchrieben: wenn ſie nur glücklich ſein wird! Ich liebe
ſie, ſchon weil ich ſie gekannt habe, weil es ein Kind iſt, weil
es Ihres iſt. — Sie kennen mich freilich, meine liebe Freun-
din. In meinem hohen Alter bin ich noch die Detail-
Liebhaberin
. Ich habe mich von unten hinaufgedacht: und
arbeite noch immer ſo. Abſoluteſte Natur: denn, ich kann
nicht anders: und dieſe Anlage in mir danke ich dem Schick-
ſal; da es eine Methode iſt, der ich meine höchſte Zuſtimmung
gebe. Alſo haben mich die Details der beſchriebenen Pariſer
Anzüge ſehr intereſſirt. Ich ſehr für’s erſte daraus, in wel-
cher Ökonomie wir hier verfallen bleiben; und wie ewig ſchöpfe-
riſch, exakt und neu ſie dort ſind — und wie dies jene ver-
bietet; — und wie dies ſogar ewig neue Benennungen er-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0499" n="491"/>
        <div n="2">
          <head>An Erne&#x017F;tine G., in Paris.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Berlin, den 31. März 1831. Vormittag 11 Uhr.</hi> </dateline><lb/>
          <p> <hi rendition="#et">Sonne will aus leichtumzogenem Himmel hervorbrechen,<lb/>
und mich <hi rendition="#g">dünkt</hi> &#x2014; ich weiß es nur aus dem Fen-<lb/>
&#x017F;ter &#x2014; heute herr&#x017F;cht zum er&#x017F;tenmale nicht O&#x017F;tnordwind.<lb/>
Dies haben Sie doch in Paris nicht; nicht wahr?</hi> </p><lb/>
          <p>Ge&#x017F;tern, meine liebe Erne&#x017F;tine, überreichte man mir einen<lb/>
Brief von einem Herrn, der &#x017F;chon weggegangen war, und es<lb/>
war Ihrer. Die&#x017F;er Brief hat kein Datum (ein Kapitalfehler).<lb/>
Glück auf, liebe Freundin! Glück auf, daß Ihnen noch etwas<lb/>
reell Po&#x017F;itives zur Freude ge&#x017F;chehn kann. &#x2014; Wenn nur die<lb/>
liebe M. ein gutes Leben haben wird! Das Wort <hi rendition="#g">glücklich</hi><lb/>
zieht ein Lächlen auf meine Lippen: &#x017F;o weit, &#x017F;ehe ich, bin ich<lb/>
gekommen, in Ein&#x017F;icht deß, was &#x017F;ein kann. Son&#x017F;t hätte ich<lb/>
ge&#x017F;chrieben: <hi rendition="#g">wenn &#x017F;ie nur glücklich &#x017F;ein wird</hi>! Ich liebe<lb/>
&#x017F;ie, &#x017F;chon weil ich &#x017F;ie gekannt habe, weil es ein Kind i&#x017F;t, weil<lb/>
es Ihres i&#x017F;t. &#x2014; Sie kennen mich freilich, meine liebe Freun-<lb/>
din. In meinem hohen Alter bin ich <hi rendition="#g">noch die Detail-<lb/>
Liebhaberin</hi>. Ich habe mich von unten hinaufgedacht: und<lb/>
arbeite noch immer &#x017F;o. Ab&#x017F;olute&#x017F;te Natur: denn, ich kann<lb/>
nicht anders: und die&#x017F;e Anlage in mir <hi rendition="#g">danke</hi> ich dem Schick-<lb/>
&#x017F;al; da es eine Methode i&#x017F;t, der ich meine höch&#x017F;te Zu&#x017F;timmung<lb/>
gebe. Al&#x017F;o haben mich die Details der be&#x017F;chriebenen Pari&#x017F;er<lb/>
Anzüge &#x017F;ehr intere&#x017F;&#x017F;irt. Ich &#x017F;ehr <hi rendition="#g">für&#x2019;s er&#x017F;te</hi> daraus, in wel-<lb/>
cher Ökonomie wir hier verfallen bleiben; und wie ewig &#x017F;chöpfe-<lb/>
ri&#x017F;ch, exakt und neu &#x017F;ie dort &#x017F;ind &#x2014; und wie dies jene ver-<lb/>
bietet; &#x2014; und wie dies &#x017F;ogar ewig neue Benennungen er-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[491/0499] An Erneſtine G., in Paris. Berlin, den 31. März 1831. Vormittag 11 Uhr. Sonne will aus leichtumzogenem Himmel hervorbrechen, und mich dünkt — ich weiß es nur aus dem Fen- ſter — heute herrſcht zum erſtenmale nicht Oſtnordwind. Dies haben Sie doch in Paris nicht; nicht wahr? Geſtern, meine liebe Erneſtine, überreichte man mir einen Brief von einem Herrn, der ſchon weggegangen war, und es war Ihrer. Dieſer Brief hat kein Datum (ein Kapitalfehler). Glück auf, liebe Freundin! Glück auf, daß Ihnen noch etwas reell Poſitives zur Freude geſchehn kann. — Wenn nur die liebe M. ein gutes Leben haben wird! Das Wort glücklich zieht ein Lächlen auf meine Lippen: ſo weit, ſehe ich, bin ich gekommen, in Einſicht deß, was ſein kann. Sonſt hätte ich geſchrieben: wenn ſie nur glücklich ſein wird! Ich liebe ſie, ſchon weil ich ſie gekannt habe, weil es ein Kind iſt, weil es Ihres iſt. — Sie kennen mich freilich, meine liebe Freun- din. In meinem hohen Alter bin ich noch die Detail- Liebhaberin. Ich habe mich von unten hinaufgedacht: und arbeite noch immer ſo. Abſoluteſte Natur: denn, ich kann nicht anders: und dieſe Anlage in mir danke ich dem Schick- ſal; da es eine Methode iſt, der ich meine höchſte Zuſtimmung gebe. Alſo haben mich die Details der beſchriebenen Pariſer Anzüge ſehr intereſſirt. Ich ſehr für’s erſte daraus, in wel- cher Ökonomie wir hier verfallen bleiben; und wie ewig ſchöpfe- riſch, exakt und neu ſie dort ſind — und wie dies jene ver- bietet; — und wie dies ſogar ewig neue Benennungen er-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/499
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 491. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/499>, abgerufen am 22.11.2024.