Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

gewiß: aber wie hast du die bisherigen Kalamitäten ertragen?
Gut in einer Art: denn wir sind auf alles gefaßt; auf je-
den
persönlichen Verlust: das weiß ich auch von dir. Und
erfuhr es bestätigend in der Erzählung, die du machtest von
deinem Verlassen Brüssels. -- So ist's auch mit mir -- denn,
ich habe schon ertragen, worauf ich nicht gefaßt war -- nur
Eins muß ich dir sagen: physische Gräuel zu sehn, darauf
sind meine Nerven nicht gefaßt. Denke also, wie unaus-
sprechlich glücklich ich es finde, daß ihr, daß du aus Brüssel
warst. Schreib mir ein Wort, in wiefern du beruhigt oder
ruhig lebst. Vom Ganzen weiß ich hinlänglich: von deinem
persönlichen Leben mag ich wissen. -- Mich kann niemand
über nichts beruhigen, als meine eigne Einsicht. Leider find'
ich keine bessere: und ich war von Dingen nicht frappirt, die
Herren in Erstaunen brachten; weil ich sie kommen sah, wie
jemanden, den man an seinem Fenster die Straße herauf kom-
men sieht. Liest du die französischen Blätter? Ich. Die Po-
litik muß jetzt eine rechtliche werden; darf keine ambitiöse
mehr sein; das, dünkt mich, ist der Barometer, nach dem das
Wetter geht: umgekehrt: nach dem man es kennen kann. Wir
leiden; aber klar und klarer wird der Menschheit Bedürfuiß
-- und auch öffentlich ausgesprochen. Sogar Nationalstolz
soll aufhören: sagte Herr Brougham diesen Sommer, in der
englischen Kammer. Ach! wollten doch alle Menschen sich das
harte Erdenleben versüßen! wir sind ja Alle in der Klemme
und dem Ärgsten ausgesetzt; und müßten uns helfen. Thä-
ten's nur die Einzelnen! und die Staaten wären geheilt. --
Wir Alle sind wohl -- ich, zu öfters unwohl! -- obgleich

gewiß: aber wie haſt du die bisherigen Kalamitäten ertragen?
Gut in einer Art: denn wir ſind auf alles gefaßt; auf je-
den
perſönlichen Verluſt: das weiß ich auch von dir. Und
erfuhr es beſtätigend in der Erzählung, die du machteſt von
deinem Verlaſſen Brüſſels. — So iſt’s auch mit mir — denn,
ich habe ſchon ertragen, worauf ich nicht gefaßt war — nur
Eins muß ich dir ſagen: phyſiſche Gräuel zu ſehn, darauf
ſind meine Nerven nicht gefaßt. Denke alſo, wie unaus-
ſprechlich glücklich ich es finde, daß ihr, daß du aus Brüſſel
warſt. Schreib mir ein Wort, in wiefern du beruhigt oder
ruhig lebſt. Vom Ganzen weiß ich hinlänglich: von deinem
perſönlichen Leben mag ich wiſſen. — Mich kann niemand
über nichts beruhigen, als meine eigne Einſicht. Leider find’
ich keine beſſere: und ich war von Dingen nicht frappirt, die
Herren in Erſtaunen brachten; weil ich ſie kommen ſah, wie
jemanden, den man an ſeinem Fenſter die Straße herauf kom-
men ſieht. Lieſt du die franzöſiſchen Blätter? Ich. Die Po-
litik muß jetzt eine rechtliche werden; darf keine ambitiöſe
mehr ſein; das, dünkt mich, iſt der Barometer, nach dem das
Wetter geht: umgekehrt: nach dem man es kennen kann. Wir
leiden; aber klar und klarer wird der Menſchheit Bedürfuiß
— und auch öffentlich ausgeſprochen. Sogar Nationalſtolz
ſoll aufhören: ſagte Herr Brougham dieſen Sommer, in der
engliſchen Kammer. Ach! wollten doch alle Menſchen ſich das
harte Erdenleben verſüßen! wir ſind ja Alle in der Klemme
und dem Ärgſten ausgeſetzt; und müßten uns helfen. Thä-
ten’s nur die Einzelnen! und die Staaten wären geheilt. —
Wir Alle ſind wohl — ich, zu öfters unwohl! — obgleich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0474" n="466"/>
gewiß: aber wie ha&#x017F;t du die bisherigen Kalamitäten ertragen?<lb/>
Gut in einer Art: denn <hi rendition="#g">wir</hi> &#x017F;ind auf alles gefaßt; auf <hi rendition="#g">je-<lb/>
den</hi> per&#x017F;önlichen Verlu&#x017F;t: das weiß ich auch von dir. Und<lb/>
erfuhr es be&#x017F;tätigend in der Erzählung, die du machte&#x017F;t von<lb/>
deinem Verla&#x017F;&#x017F;en Brü&#x017F;&#x017F;els. &#x2014; So i&#x017F;t&#x2019;s auch mit mir &#x2014; <hi rendition="#g">denn</hi>,<lb/>
ich habe &#x017F;chon ertragen, worauf ich <hi rendition="#g">nicht</hi> gefaßt war &#x2014; nur<lb/>
Eins muß ich dir &#x017F;agen: phy&#x017F;i&#x017F;che Gräuel zu &#x017F;ehn, darauf<lb/>
&#x017F;ind meine Nerven <hi rendition="#g">nicht</hi> gefaßt. Denke al&#x017F;o, wie unaus-<lb/>
&#x017F;prechlich glücklich ich es finde, daß ihr, daß du aus Brü&#x017F;&#x017F;el<lb/>
war&#x017F;t. Schreib mir ein Wort, in wiefern du beruhigt oder<lb/>
ruhig leb&#x017F;t. Vom Ganzen weiß ich hinlänglich: von deinem<lb/>
per&#x017F;önlichen Leben mag ich wi&#x017F;&#x017F;en. &#x2014; <hi rendition="#g">Mich</hi> kann niemand<lb/>
über nichts beruhigen, als meine eigne Ein&#x017F;icht. Leider find&#x2019;<lb/>
ich keine be&#x017F;&#x017F;ere: und ich war von Dingen <hi rendition="#g">nicht</hi> frappirt, die<lb/>
Herren in Er&#x017F;taunen brachten; weil ich &#x017F;ie kommen &#x017F;ah, wie<lb/>
jemanden, den man an &#x017F;einem Fen&#x017F;ter die Straße herauf kom-<lb/>
men &#x017F;ieht. Lie&#x017F;t du die franzö&#x017F;i&#x017F;chen Blätter? Ich. Die Po-<lb/>
litik muß jetzt eine rechtliche werden; darf keine ambitiö&#x017F;e<lb/>
mehr &#x017F;ein; das, dünkt mich, i&#x017F;t der Barometer, nach dem das<lb/>
Wetter geht: umgekehrt: nach dem man es kennen kann. Wir<lb/>
leiden; aber klar und klarer wird der Men&#x017F;chheit Bedürfuiß<lb/>
&#x2014; und auch öffentlich ausge&#x017F;prochen. Sogar National&#x017F;tolz<lb/>
&#x017F;oll aufhören: &#x017F;agte Herr Brougham die&#x017F;en Sommer, in der<lb/>
engli&#x017F;chen Kammer. Ach! wollten doch alle Men&#x017F;chen &#x017F;ich das<lb/>
harte Erdenleben ver&#x017F;üßen! wir &#x017F;ind ja Alle in der Klemme<lb/>
und dem Ärg&#x017F;ten ausge&#x017F;etzt; und müßten uns <hi rendition="#g">helfen</hi>. Thä-<lb/>
ten&#x2019;s nur die Einzelnen! und die Staaten wären geheilt. &#x2014;<lb/>
Wir Alle &#x017F;ind wohl &#x2014; ich, zu öfters unwohl! &#x2014; obgleich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[466/0474] gewiß: aber wie haſt du die bisherigen Kalamitäten ertragen? Gut in einer Art: denn wir ſind auf alles gefaßt; auf je- den perſönlichen Verluſt: das weiß ich auch von dir. Und erfuhr es beſtätigend in der Erzählung, die du machteſt von deinem Verlaſſen Brüſſels. — So iſt’s auch mit mir — denn, ich habe ſchon ertragen, worauf ich nicht gefaßt war — nur Eins muß ich dir ſagen: phyſiſche Gräuel zu ſehn, darauf ſind meine Nerven nicht gefaßt. Denke alſo, wie unaus- ſprechlich glücklich ich es finde, daß ihr, daß du aus Brüſſel warſt. Schreib mir ein Wort, in wiefern du beruhigt oder ruhig lebſt. Vom Ganzen weiß ich hinlänglich: von deinem perſönlichen Leben mag ich wiſſen. — Mich kann niemand über nichts beruhigen, als meine eigne Einſicht. Leider find’ ich keine beſſere: und ich war von Dingen nicht frappirt, die Herren in Erſtaunen brachten; weil ich ſie kommen ſah, wie jemanden, den man an ſeinem Fenſter die Straße herauf kom- men ſieht. Lieſt du die franzöſiſchen Blätter? Ich. Die Po- litik muß jetzt eine rechtliche werden; darf keine ambitiöſe mehr ſein; das, dünkt mich, iſt der Barometer, nach dem das Wetter geht: umgekehrt: nach dem man es kennen kann. Wir leiden; aber klar und klarer wird der Menſchheit Bedürfuiß — und auch öffentlich ausgeſprochen. Sogar Nationalſtolz ſoll aufhören: ſagte Herr Brougham dieſen Sommer, in der engliſchen Kammer. Ach! wollten doch alle Menſchen ſich das harte Erdenleben verſüßen! wir ſind ja Alle in der Klemme und dem Ärgſten ausgeſetzt; und müßten uns helfen. Thä- ten’s nur die Einzelnen! und die Staaten wären geheilt. — Wir Alle ſind wohl — ich, zu öfters unwohl! — obgleich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/474
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/474>, abgerufen am 25.11.2024.