ich, nun weiß ich, was Musik ist, was Musik will: und ich fand mich völlig umgewandelt!" -- Diese Erzählung von Weber schmeichelte mir sehr. --
M. war in seiner Jugend sehr verliebt in eine Demoi- selle aus Köthen; junge, hübsche Tochter eines Pferdehändlers, die er in Leipzig zur Messe hatte kennen lernen, wo er mir sie immer zeigen wollte, welches nicht gelang; ich konnte ihr nie begegnen. Zwei Jahre später kam sie hierher nach Ber- lin; er war noch ziemlich verliebt, und sehr beflissen, mich die Schöne sehen zu lassen, von der er eine Menge guter Mei- nungen hatte. Hier gelang dies Vorhaben besser; wir begeg- neten ihr in einem schönen Wetter Vormittag auf dem Opern- platz. "Da ist sie! da geht sie! da drüben mit dem Rosa- hut!" -- Ich sehe hin. -- "Nun? wie finden Sie sie?" -- -- Recht hübsch; aber wissen Sie, wie sie aussieht? -- "Nun?" -- Als ob sie eine Liebschaft mit ihrem Friseur ha- ben könnte. "St!" schnalzte er mit der Zunge; "Einfälle!" sollte das heißen. -- Die Woche drauf echappirte sie mit ihrem Friseur. So gut ich auch gesehen hatte, so schmeichelte mir doch das Ereigniß zu sehr, en detail; und ich wäre eben so stolz mit weniger Pünktlichkeit von ihr gewesen. Wir müssen aber zu sehr geschmeichelt werden, um es genug zu sein. --
Diese Geschichten wollte ich doch nicht untergehen lassen.
Berlin, den 19. April 1830.
28 *
ich, nun weiß ich, was Muſik iſt, was Muſik will: und ich fand mich völlig umgewandelt!“ — Dieſe Erzählung von Weber ſchmeichelte mir ſehr. —
M. war in ſeiner Jugend ſehr verliebt in eine Demoi- ſelle aus Köthen; junge, hübſche Tochter eines Pferdehändlers, die er in Leipzig zur Meſſe hatte kennen lernen, wo er mir ſie immer zeigen wollte, welches nicht gelang; ich konnte ihr nie begegnen. Zwei Jahre ſpäter kam ſie hierher nach Ber- lin; er war noch ziemlich verliebt, und ſehr befliſſen, mich die Schöne ſehen zu laſſen, von der er eine Menge guter Mei- nungen hatte. Hier gelang dies Vorhaben beſſer; wir begeg- neten ihr in einem ſchönen Wetter Vormittag auf dem Opern- platz. „Da iſt ſie! da geht ſie! da drüben mit dem Roſa- hut!“ — Ich ſehe hin. — „Nun? wie finden Sie ſie?“ — — Recht hübſch; aber wiſſen Sie, wie ſie ausſieht? — „Nun?“ — Als ob ſie eine Liebſchaft mit ihrem Friſeur ha- ben könnte. „St!“ ſchnalzte er mit der Zunge; „Einfälle!“ ſollte das heißen. — Die Woche drauf echappirte ſie mit ihrem Friſeur. So gut ich auch geſehen hatte, ſo ſchmeichelte mir doch das Ereigniß zu ſehr, en détail; und ich wäre eben ſo ſtolz mit weniger Pünktlichkeit von ihr geweſen. Wir müſſen aber zu ſehr geſchmeichelt werden, um es genug zu ſein. —
Dieſe Geſchichten wollte ich doch nicht untergehen laſſen.
Berlin, den 19. April 1830.
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ich, nun weiß ich, was Muſik iſt, was Muſik will: und ich
fand mich völlig umgewandelt!“ — Dieſe Erzählung von
Weber ſchmeichelte mir ſehr. —
M. war in ſeiner Jugend ſehr verliebt in eine Demoi-
ſelle aus Köthen; junge, hübſche Tochter eines Pferdehändlers,
die er in Leipzig zur Meſſe hatte kennen lernen, wo er mir
ſie immer zeigen wollte, welches nicht gelang; ich konnte ihr
nie begegnen. Zwei Jahre ſpäter kam ſie hierher nach Ber-
lin; er war noch ziemlich verliebt, und ſehr befliſſen, mich
die Schöne ſehen zu laſſen, von der er eine Menge guter Mei-
nungen hatte. Hier gelang dies Vorhaben beſſer; wir begeg-
neten ihr in einem ſchönen Wetter Vormittag auf dem Opern-
platz. „Da iſt ſie! da geht ſie! da drüben mit dem Roſa-
hut!“ — Ich ſehe hin. — „Nun? wie finden Sie ſie?“ —
— Recht hübſch; aber wiſſen Sie, wie ſie ausſieht? —
„Nun?“ — Als ob ſie eine Liebſchaft mit ihrem Friſeur ha-
ben könnte. „St!“ ſchnalzte er mit der Zunge; „Einfälle!“
ſollte das heißen. — Die Woche drauf echappirte ſie mit
ihrem Friſeur. So gut ich auch geſehen hatte, ſo ſchmeichelte
mir doch das Ereigniß zu ſehr, en détail; und ich wäre eben
ſo ſtolz mit weniger Pünktlichkeit von ihr geweſen. Wir
müſſen aber zu ſehr geſchmeichelt werden, um es genug zu
ſein. —
Dieſe Geſchichten wollte ich doch nicht untergehen laſſen.
Berlin, den 19. April 1830.
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/443>, abgerufen am 28.11.2024.
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