denten ohne Feuerung. Kurz, alles war weg. Mündlich könnte ich es Ihnen sagen, und zeigen. --
An Astolf Grafen von Custine, in Saarburg.
Sonnabend den 17. April 1830. Mittags, nach Regen ein Frühlingswetter, und die Bäume grünlich; aber noch nicht grün. Mein bester Augenblick im Jahr, ohne Fliegen noch Mücken, ohne Hitze; der Früh- ling nahend, der uns tausend Erinnerungen und Hoffnungen zuweht, die sich nie erfüllen: auf die wir aber Anspruch haben.
Ich bin nur in Berlin, und doch zersplittert sich meine Zeit; die Gesellschaft, und was daraus folgt, und was jedem Abend vorangeht, reißt mich wie ein Strom fort; ich konnte seit acht Tagen nicht den Augenblick finden, um Ihnen, wie ich es wollte, gleich zu antworten: und damit Sie eine Art von Bild des Lebens haben, das ich führe, so sag' ich Ih- nen -- mit Bedauern: weil es häßlich ist, und ich über alles Häßliche, für mich und für meine Freunde, blasirt bin -- daß ich viele Stunden im Morgen brauche, um meiner Gesundheit zu schmeicheln, oder vielmehr, meiner Krankheit: die in Rheu- matismus besteht -- geerbtem --, der sich über die Nerven verbreitet, und von dem tollen Wetter, das sich auf unsrem Erdball festgesetzt hat, unterstützt wird. Die moralischen Wi- derwärtigkeiten waren so groß während meines ganzen Lebens, daß ich lächle, wenn ich versucht bin, davon zu reden. Wenn ich Sie mit Muße sehen werde, so könnt' ich Ihnen den groß- artigst erfundenen, den reichsten Roman erzählen; der einen
denten ohne Feuerung. Kurz, alles war weg. Mündlich könnte ich es Ihnen ſagen, und zeigen. —
An Aſtolf Grafen von Cuſtine, in Saarburg.
Sonnabend den 17. April 1830. Mittags, nach Regen ein Frühlingswetter, und die Bäume grünlich; aber noch nicht grün. Mein beſter Augenblick im Jahr, ohne Fliegen noch Mücken, ohne Hitze; der Früh- ling nahend, der uns tauſend Erinnerungen und Hoffnungen zuweht, die ſich nie erfüllen: auf die wir aber Anſpruch haben.
Ich bin nur in Berlin, und doch zerſplittert ſich meine Zeit; die Geſellſchaft, und was daraus folgt, und was jedem Abend vorangeht, reißt mich wie ein Strom fort; ich konnte ſeit acht Tagen nicht den Augenblick finden, um Ihnen, wie ich es wollte, gleich zu antworten: und damit Sie eine Art von Bild des Lebens haben, das ich führe, ſo ſag’ ich Ih- nen — mit Bedauern: weil es häßlich iſt, und ich über alles Häßliche, für mich und für meine Freunde, blaſirt bin — daß ich viele Stunden im Morgen brauche, um meiner Geſundheit zu ſchmeicheln, oder vielmehr, meiner Krankheit: die in Rheu- matismus beſteht — geerbtem —, der ſich über die Nerven verbreitet, und von dem tollen Wetter, das ſich auf unſrem Erdball feſtgeſetzt hat, unterſtützt wird. Die moraliſchen Wi- derwärtigkeiten waren ſo groß während meines ganzen Lebens, daß ich lächle, wenn ich verſucht bin, davon zu reden. Wenn ich Sie mit Muße ſehen werde, ſo könnt’ ich Ihnen den groß- artigſt erfundenen, den reichſten Roman erzählen; der einen
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denten ohne Feuerung. Kurz, alles war weg. Mündlich
könnte ich es Ihnen ſagen, und zeigen. —
An Aſtolf Grafen von Cuſtine, in Saarburg.
Sonnabend den 17. April 1830. Mittags, nach Regen
ein Frühlingswetter, und die Bäume grünlich; aber
noch nicht grün. Mein beſter Augenblick im Jahr,
ohne Fliegen noch Mücken, ohne Hitze; der Früh-
ling nahend, der uns tauſend Erinnerungen und
Hoffnungen zuweht, die ſich nie erfüllen: auf die
wir aber Anſpruch haben.
Ich bin nur in Berlin, und doch zerſplittert ſich meine
Zeit; die Geſellſchaft, und was daraus folgt, und was jedem
Abend vorangeht, reißt mich wie ein Strom fort; ich konnte
ſeit acht Tagen nicht den Augenblick finden, um Ihnen, wie
ich es wollte, gleich zu antworten: und damit Sie eine Art
von Bild des Lebens haben, das ich führe, ſo ſag’ ich Ih-
nen — mit Bedauern: weil es häßlich iſt, und ich über alles
Häßliche, für mich und für meine Freunde, blaſirt bin — daß
ich viele Stunden im Morgen brauche, um meiner Geſundheit
zu ſchmeicheln, oder vielmehr, meiner Krankheit: die in Rheu-
matismus beſteht — geerbtem —, der ſich über die Nerven
verbreitet, und von dem tollen Wetter, das ſich auf unſrem
Erdball feſtgeſetzt hat, unterſtützt wird. Die moraliſchen Wi-
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daß ich lächle, wenn ich verſucht bin, davon zu reden. Wenn
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/436>, abgerufen am 28.11.2024.
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