mich --, aller Weichheit, des ganzen Karakters erst seinen be- sonderen eigenthümlichsten Werth giebt: die helle Klugheit, und das militairische, ich möchte es vornehmes Wollen nennen, welches bei dem für das Beste Gehaltenen bleibt, und nie verzweifelt, Mittel zu seiner Ausführung zu finden; sie deßhalb immer erhält; und sie, unerachtet der größten Weich- heit und kinderartigen Nachgiebigkeit, richtig und beharr- lich anwendet: mit Einemmale, das Kind, und das Weib weit bei Seite gelassen! Diese Eigenschaften drücken sich mit- ten im sanftesten Auge aus; öffnen es mehr, als im Bilde, und machen es zu einem sehendern. Es ist mehr als möglich, wahrscheinlich sogar, daß Sie während der Sitzung den Mah- ler nur so ansahn, wie er sie dargestellt: aber er muß auch andre Momente in ein Konterfei hineindrängen, als nur die der Sitzung. Dies abgerechnet, hat er ein Meisterwerk ge- liefert. Weil er wirklich das Vielfältigste, wie es in Ihrem Gesicht und Wesen vereinigt ist, hineinpreßte, und mit Lieb- lichkeit und größter Wahrheit zu beleben wußte. Dieses liebe Bild der lieben, theuren, tief erkannten Freundin ist seit vier- zehn Tagen gefaßt, und steht auf einer Kommode, die nun im Wohnzimmer da steht, wo sonst der Sopha gestanden. So hat es herrliches Licht. Auch ist es gut umgeben; mit Gläsern, Vasen und Blumen. Dort, wo Sie es hin wollten, -- und auch ich --, hatte es kein Licht. Als ich Ihren Brief, und dies Geschenk erhielt, war ich sehr krank zu Bette; zwei- mal sah ich den Fürsten: ich konnte ihn nicht einladen! -- V. lag noch zwei Wochen länger, als ich. Seit vierzehn Tagen fahre ich wieder aus. Meine erste Fahrt nach einem
mich —, aller Weichheit, des ganzen Karakters erſt ſeinen be- ſonderen eigenthümlichſten Werth giebt: die helle Klugheit, und das militairiſche, ich möchte es vornehmes Wollen nennen, welches bei dem für das Beſte Gehaltenen bleibt, und nie verzweifelt, Mittel zu ſeiner Ausführung zu finden; ſie deßhalb immer erhält; und ſie, unerachtet der größten Weich- heit und kinderartigen Nachgiebigkeit, richtig und beharr- lich anwendet: mit Einemmale, das Kind, und das Weib weit bei Seite gelaſſen! Dieſe Eigenſchaften drücken ſich mit- ten im ſanfteſten Auge aus; öffnen es mehr, als im Bilde, und machen es zu einem ſehendern. Es iſt mehr als möglich, wahrſcheinlich ſogar, daß Sie während der Sitzung den Mah- ler nur ſo anſahn, wie er ſie dargeſtellt: aber er muß auch andre Momente in ein Konterfei hineindrängen, als nur die der Sitzung. Dies abgerechnet, hat er ein Meiſterwerk ge- liefert. Weil er wirklich das Vielfältigſte, wie es in Ihrem Geſicht und Weſen vereinigt iſt, hineinpreßte, und mit Lieb- lichkeit und größter Wahrheit zu beleben wußte. Dieſes liebe Bild der lieben, theuren, tief erkannten Freundin iſt ſeit vier- zehn Tagen gefaßt, und ſteht auf einer Kommode, die nun im Wohnzimmer da ſteht, wo ſonſt der Sopha geſtanden. So hat es herrliches Licht. Auch iſt es gut umgeben; mit Gläſern, Vaſen und Blumen. Dort, wo Sie es hin wollten, — und auch ich —, hatte es kein Licht. Als ich Ihren Brief, und dies Geſchenk erhielt, war ich ſehr krank zu Bette; zwei- mal ſah ich den Fürſten: ich konnte ihn nicht einladen! — V. lag noch zwei Wochen länger, als ich. Seit vierzehn Tagen fahre ich wieder aus. Meine erſte Fahrt nach einem
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mich —, aller Weichheit, des ganzen Karakters erſt ſeinen be-
ſonderen eigenthümlichſten Werth giebt: die helle Klugheit,
und das militairiſche, ich möchte es vornehmes Wollen
nennen, welches bei dem für das Beſte Gehaltenen bleibt, und
nie verzweifelt, Mittel zu ſeiner Ausführung zu finden; ſie
deßhalb immer erhält; und ſie, unerachtet der größten Weich-
heit und kinderartigen Nachgiebigkeit, richtig und beharr-
lich anwendet: mit Einemmale, das Kind, und das Weib
weit bei Seite gelaſſen! Dieſe Eigenſchaften drücken ſich mit-
ten im ſanfteſten Auge aus; öffnen es mehr, als im Bilde,
und machen es zu einem ſehendern. Es iſt mehr als möglich,
wahrſcheinlich ſogar, daß Sie während der Sitzung den Mah-
ler nur ſo anſahn, wie er ſie dargeſtellt: aber er muß auch
andre Momente in ein Konterfei hineindrängen, als nur die
der Sitzung. Dies abgerechnet, hat er ein Meiſterwerk ge-
liefert. Weil er wirklich das Vielfältigſte, wie es in Ihrem
Geſicht und Weſen vereinigt iſt, hineinpreßte, und mit Lieb-
lichkeit und größter Wahrheit zu beleben wußte. Dieſes liebe
Bild der lieben, theuren, tief erkannten Freundin iſt ſeit vier-
zehn Tagen gefaßt, und ſteht auf einer Kommode, die nun
im Wohnzimmer da ſteht, wo ſonſt der Sopha geſtanden.
So hat es herrliches Licht. Auch iſt es gut umgeben; mit
Gläſern, Vaſen und Blumen. Dort, wo Sie es hin wollten, —
und auch ich —, hatte es kein Licht. Als ich Ihren Brief,
und dies Geſchenk erhielt, war ich ſehr krank zu Bette; zwei-
mal ſah ich den Fürſten: ich konnte ihn nicht einladen! —
V. lag noch zwei Wochen länger, als ich. Seit vierzehn
Tagen fahre ich wieder aus. Meine erſte Fahrt nach einem
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/434>, abgerufen am 28.11.2024.
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