Schwierigkeit für una povretta wie ich, einen solchen Strich bei Licht zu suchen, zu sehen; die Seite und Zeile jedesmal davon zu bemerken, und da ist nun das Vollbrachte. Ich sage Ihnen das alles, weil ich mir selbst sage, daß nichts auf der Welt -- außer ein Unglück etwa -- mir diese Kraft geben könnte, als ein Brief von Astolf. Und dies wieder sag' ich Ihnen, weil Sie mich gefragt haben: ob unser Wiedersehen auch Epoche in meinem Leben gemacht hat? So sehr: daß ich, meinerseits, Ihnen diese Frage gar nicht gemacht haben würde: weil ich die Antwort, die ich Ihnen aus Grund mei- nes Herzens gebe, nicht erwartet hätte; und Ihre Frage, diese schöne Frage, vollendet nur das Glück dieses Wiedersehens. Glück macht gewiß Epoche; man findet es nicht; und es such uns so selten! Alle Wunder sind noch da; die der Bibel, und die der Mythologie. Das Glück kommt noch unter Men- schen- oder Engelgestalt vom Himmel; und so ist es mir zu Frankfurt erschienen, in einem prosaischen Wirthshause; im Weidenbusch. In höheren Stimmungen erleben wir heute, wie den ersten Tag der Schöpfung, noch immer Wunder. O! was hätte ich Ihnen zu erzählen; wären wir länger zusam- men. Sie sprechen mir von einem in Berlin zuzubringenden Winter. Guter Gott! wenn das doch geschehen könnte vor dem, wo Ihr Haus frei sein wird! Drei Jahre warten, ist zu lange: das geht nicht: ich habe warten gelernt, auf alles was ich nöthig habe, bis in eine andere Welt hinein: aber ich bin zu alt für drei Jahre warten, hier unten. Wenn Sie es doch abkürzen könnten durch einen Winter zu Berlin! Nicht daß ich wünschte grade hier Sie zu sehen; (in dieser
Schwierigkeit für una povretta wie ich, einen ſolchen Strich bei Licht zu ſuchen, zu ſehen; die Seite und Zeile jedesmal davon zu bemerken, und da iſt nun das Vollbrachte. Ich ſage Ihnen das alles, weil ich mir ſelbſt ſage, daß nichts auf der Welt — außer ein Unglück etwa — mir dieſe Kraft geben könnte, als ein Brief von Aſtolf. Und dies wieder ſag’ ich Ihnen, weil Sie mich gefragt haben: ob unſer Wiederſehen auch Epoche in meinem Leben gemacht hat? So ſehr: daß ich, meinerſeits, Ihnen dieſe Frage gar nicht gemacht haben würde: weil ich die Antwort, die ich Ihnen aus Grund mei- nes Herzens gebe, nicht erwartet hätte; und Ihre Frage, dieſe ſchöne Frage, vollendet nur das Glück dieſes Wiederſehens. Glück macht gewiß Epoche; man findet es nicht; und es ſuch uns ſo ſelten! Alle Wunder ſind noch da; die der Bibel, und die der Mythologie. Das Glück kommt noch unter Men- ſchen- oder Engelgeſtalt vom Himmel; und ſo iſt es mir zu Frankfurt erſchienen, in einem proſaiſchen Wirthshauſe; im Weidenbuſch. In höheren Stimmungen erleben wir heute, wie den erſten Tag der Schöpfung, noch immer Wunder. O! was hätte ich Ihnen zu erzählen; wären wir länger zuſam- men. Sie ſprechen mir von einem in Berlin zuzubringenden Winter. Guter Gott! wenn das doch geſchehen könnte vor dem, wo Ihr Haus frei ſein wird! Drei Jahre warten, iſt zu lange: das geht nicht: ich habe warten gelernt, auf alles was ich nöthig habe, bis in eine andere Welt hinein: aber ich bin zu alt für drei Jahre warten, hier unten. Wenn Sie es doch abkürzen könnten durch einen Winter zu Berlin! Nicht daß ich wünſchte grade hier Sie zu ſehen; (in dieſer
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0419"n="411"/>
Schwierigkeit für <hirendition="#aq">una povretta</hi> wie ich, einen ſolchen Strich<lb/>
bei Licht zu ſuchen, zu ſehen; die Seite und Zeile jedesmal<lb/>
davon zu bemerken, und da iſt nun das Vollbrachte. Ich<lb/>ſage Ihnen das alles, weil ich mir ſelbſt ſage, daß nichts auf<lb/>
der Welt — außer ein Unglück etwa — mir dieſe Kraft geben<lb/>
könnte, als ein Brief von Aſtolf. Und dies wieder ſag’ ich<lb/>
Ihnen, weil Sie mich gefragt haben: ob unſer Wiederſehen<lb/>
auch Epoche in meinem Leben gemacht hat? <hirendition="#g">So ſehr</hi>: daß<lb/>
ich, meinerſeits, Ihnen dieſe Frage gar nicht gemacht haben<lb/>
würde: weil ich die Antwort, die ich Ihnen aus Grund mei-<lb/>
nes Herzens gebe, nicht erwartet hätte; und Ihre Frage, dieſe<lb/>ſchöne Frage, vollendet nur das Glück dieſes Wiederſehens.<lb/>
Glück macht gewiß Epoche; man findet es nicht; und es ſuch<lb/>
uns ſo ſelten! Alle Wunder ſind <hirendition="#g">noch</hi> da; die der Bibel,<lb/>
und die der Mythologie. Das Glück kommt noch unter Men-<lb/>ſchen- oder Engelgeſtalt vom Himmel; und ſo iſt es mir zu<lb/>
Frankfurt erſchienen, in einem proſaiſchen Wirthshauſe; im<lb/>
Weidenbuſch. In höheren Stimmungen erleben wir heute,<lb/>
wie den erſten Tag der Schöpfung, noch immer Wunder. O!<lb/>
was hätte ich Ihnen zu erzählen; wären wir länger zuſam-<lb/>
men. Sie ſprechen mir von einem in Berlin zuzubringenden<lb/>
Winter. Guter Gott! wenn das doch geſchehen könnte vor<lb/>
dem, wo Ihr Haus frei ſein wird! Drei Jahre warten, iſt<lb/>
zu lange: das geht nicht: ich habe warten gelernt, auf alles<lb/>
was ich nöthig habe, bis in eine andere Welt hinein: aber<lb/>
ich bin zu alt für drei Jahre warten, hier unten. Wenn Sie<lb/>
es doch abkürzen könnten durch einen Winter zu Berlin!<lb/>
Nicht daß ich wünſchte grade hier Sie zu ſehen; (in dieſer<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[411/0419]
Schwierigkeit für una povretta wie ich, einen ſolchen Strich
bei Licht zu ſuchen, zu ſehen; die Seite und Zeile jedesmal
davon zu bemerken, und da iſt nun das Vollbrachte. Ich
ſage Ihnen das alles, weil ich mir ſelbſt ſage, daß nichts auf
der Welt — außer ein Unglück etwa — mir dieſe Kraft geben
könnte, als ein Brief von Aſtolf. Und dies wieder ſag’ ich
Ihnen, weil Sie mich gefragt haben: ob unſer Wiederſehen
auch Epoche in meinem Leben gemacht hat? So ſehr: daß
ich, meinerſeits, Ihnen dieſe Frage gar nicht gemacht haben
würde: weil ich die Antwort, die ich Ihnen aus Grund mei-
nes Herzens gebe, nicht erwartet hätte; und Ihre Frage, dieſe
ſchöne Frage, vollendet nur das Glück dieſes Wiederſehens.
Glück macht gewiß Epoche; man findet es nicht; und es ſuch
uns ſo ſelten! Alle Wunder ſind noch da; die der Bibel,
und die der Mythologie. Das Glück kommt noch unter Men-
ſchen- oder Engelgeſtalt vom Himmel; und ſo iſt es mir zu
Frankfurt erſchienen, in einem proſaiſchen Wirthshauſe; im
Weidenbuſch. In höheren Stimmungen erleben wir heute,
wie den erſten Tag der Schöpfung, noch immer Wunder. O!
was hätte ich Ihnen zu erzählen; wären wir länger zuſam-
men. Sie ſprechen mir von einem in Berlin zuzubringenden
Winter. Guter Gott! wenn das doch geſchehen könnte vor
dem, wo Ihr Haus frei ſein wird! Drei Jahre warten, iſt
zu lange: das geht nicht: ich habe warten gelernt, auf alles
was ich nöthig habe, bis in eine andere Welt hinein: aber
ich bin zu alt für drei Jahre warten, hier unten. Wenn Sie
es doch abkürzen könnten durch einen Winter zu Berlin!
Nicht daß ich wünſchte grade hier Sie zu ſehen; (in dieſer
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/419>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.