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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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und redlich belebte; -- der Kopf war für tieferes Bedenken
und Auffassen gut; -- beinah keine Grazie nach außen. Da
konnte es denn nicht fehlen, daß ich alle Kelchchen und Kelche,
bitter und scharf gefüllt, austrinken mußte; kein Keulenschlag,
kein Nadelstich, kein Nagel, kein Haken, wurde mir erspart;
nichts Verkehrtes versäumt mir zu reichen; doppelt verkehrt,
weil ich's nicht immer dafür nahm; und erkannt' ich es, nicht
immer abwies. Kurz, ich machte die Universität durch; und
diese Sprüche, aus einer Unzahl Briefen genommen, und aus
wenig Merkbüchern -- von Varnh. gesammelt -- sind der
Ertrag von stummen, langjährigen, ignorirten Schmerzen,
Thränen, Leiden, Denken; Freuden der Einsamkeit, und Lange-
weile der Störung. Perlen, die ein halbes Jahrhundert aus
einer sturmbewegten Menschenseele warf, Schätze, die sie wie
das große Meer enthält: wenn sie sich nicht zum affektirten
Gartenteich einsperrt, wo ihr Schicksal Stagniren wird:
unfehlbar: wenn auch nicht bald bemerkt, und von Unkun-
digen bewundert, (wie so viele Figura zeigen!) Das Meer
ist oft stürmisch, graulich, häßlich; besonders fügt sich's nicht.
-- Und lang wurde ich gescholten, und getadelt: ich meint'
es müßt' so sein. Konnt's nicht beachten; nur gestreichelt
fühlt' ich mich nicht: obgleich viele auf mir herumfuhren; zur
Lust, und Bequemlichkeit, wie auf einem wirklichen Meere;
auch ohne Dank. --

Als die Sprüche und Auszüge nun gesammelt waren,
freute es mich, daß doch etwas Sichtbares, Faßbares, zur
Mittheilung Taugliches, außer ich selbst, von so reicher, ein-
träglicher Zeit übrig geblieben sei; ich ermaß die Freude, den

und redlich belebte; — der Kopf war für tieferes Bedenken
und Auffaſſen gut; — beinah keine Grazie nach außen. Da
konnte es denn nicht fehlen, daß ich alle Kelchchen und Kelche,
bitter und ſcharf gefüllt, austrinken mußte; kein Keulenſchlag,
kein Nadelſtich, kein Nagel, kein Haken, wurde mir erſpart;
nichts Verkehrtes verſäumt mir zu reichen; doppelt verkehrt,
weil ich’s nicht immer dafür nahm; und erkannt’ ich es, nicht
immer abwies. Kurz, ich machte die Univerſität durch; und
dieſe Sprüche, aus einer Unzahl Briefen genommen, und aus
wenig Merkbüchern — von Varnh. geſammelt — ſind der
Ertrag von ſtummen, langjährigen, ignorirten Schmerzen,
Thränen, Leiden, Denken; Freuden der Einſamkeit, und Lange-
weile der Störung. Perlen, die ein halbes Jahrhundert aus
einer ſturmbewegten Menſchenſeele warf, Schätze, die ſie wie
das große Meer enthält: wenn ſie ſich nicht zum affektirten
Gartenteich einſperrt, wo ihr Schickſal Stagniren wird:
unfehlbar: wenn auch nicht bald bemerkt, und von Unkun-
digen bewundert, (wie ſo viele Figura zeigen!) Das Meer
iſt oft ſtürmiſch, graulich, häßlich; beſonders fügt ſich’s nicht.
— Und lang wurde ich geſcholten, und getadelt: ich meint’
es müßt’ ſo ſein. Konnt’s nicht beachten; nur geſtreichelt
fühlt’ ich mich nicht: obgleich viele auf mir herumfuhren; zur
Luſt, und Bequemlichkeit, wie auf einem wirklichen Meere;
auch ohne Dank. —

Als die Sprüche und Auszüge nun geſammelt waren,
freute es mich, daß doch etwas Sichtbares, Faßbares, zur
Mittheilung Taugliches, außer ich ſelbſt, von ſo reicher, ein-
träglicher Zeit übrig geblieben ſei; ich ermaß die Freude, den

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[397/0405] und redlich belebte; — der Kopf war für tieferes Bedenken und Auffaſſen gut; — beinah keine Grazie nach außen. Da konnte es denn nicht fehlen, daß ich alle Kelchchen und Kelche, bitter und ſcharf gefüllt, austrinken mußte; kein Keulenſchlag, kein Nadelſtich, kein Nagel, kein Haken, wurde mir erſpart; nichts Verkehrtes verſäumt mir zu reichen; doppelt verkehrt, weil ich’s nicht immer dafür nahm; und erkannt’ ich es, nicht immer abwies. Kurz, ich machte die Univerſität durch; und dieſe Sprüche, aus einer Unzahl Briefen genommen, und aus wenig Merkbüchern — von Varnh. geſammelt — ſind der Ertrag von ſtummen, langjährigen, ignorirten Schmerzen, Thränen, Leiden, Denken; Freuden der Einſamkeit, und Lange- weile der Störung. Perlen, die ein halbes Jahrhundert aus einer ſturmbewegten Menſchenſeele warf, Schätze, die ſie wie das große Meer enthält: wenn ſie ſich nicht zum affektirten Gartenteich einſperrt, wo ihr Schickſal Stagniren wird: unfehlbar: wenn auch nicht bald bemerkt, und von Unkun- digen bewundert, (wie ſo viele Figura zeigen!) Das Meer iſt oft ſtürmiſch, graulich, häßlich; beſonders fügt ſich’s nicht. — Und lang wurde ich geſcholten, und getadelt: ich meint’ es müßt’ ſo ſein. Konnt’s nicht beachten; nur geſtreichelt fühlt’ ich mich nicht: obgleich viele auf mir herumfuhren; zur Luſt, und Bequemlichkeit, wie auf einem wirklichen Meere; auch ohne Dank. — Als die Sprüche und Auszüge nun geſammelt waren, freute es mich, daß doch etwas Sichtbares, Faßbares, zur Mittheilung Taugliches, außer ich ſelbſt, von ſo reicher, ein- träglicher Zeit übrig geblieben ſei; ich ermaß die Freude, den

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/405>, abgerufen am 22.12.2024.