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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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wollen." Beugt euch, Menschen, tief: dann könnt ihr euch
erheben. August, ich prahle hier nicht: ich sträube mich alle
Tage unartigst
im Einzelnen. Was heißt das aber? Ich
sträube mich in den Momenten des Lebens, wo aus Zorn oder
Einzelwunsch mein Auge, erhitzt, oder verblindert, das Ganze
nicht erfaßt; aber -- wenn wir an's Ganze denken, das vor
unsern Sinn gebracht haben, und dann uns nicht beugen,
nicht rein werden, nicht verzweiflen wollen, nicht unterwürfig
sind; in der eigenen Brust, und in dem Drang nach Vernunft,
Recht, und Richtigkeit, keine Bürgen finden, dann müssen wir
erst noch recht leiden -- und werden. (Jetzt war Frau von
Cotta eine sehr intime, interessante Stunde bei mir. --)
Nun bin ich au pied de la lettre aus meinem Konzept. --
Frau von Humboldt war Sonntag schon sterbend; schlug die
Augen auf, sagte zum Mann: "Es ist ein Mensch fertig!"
selbst den Tod erwartend. Vergebens; sie lebt wieder; nimmt
Antheil. Alexander erzählte dies. Schönes Wort. Gott sei
bei ihr! Sie soll viel gebetet haben. Ganz recht. Das heißt
mit Gott sprechen. Anderes haben wir ihm nicht zu sagen.
Wie die Kinder uns, müssen wir ihn ennuyiren. --

Unser König begegnet vor ein paar Tagen einem Mann
im Thiergarten, steht vor ihm still: "Ich kenne Sie! wie hei-
ßen Sie?" -- Ja, Ew. Majestät! ich heiße S. aus Königs-
berg. -- "Ganz recht, da wohnt' ich bei Ihnen." Kurz, es
war grade den Abend französisch Theater, Ballet und Ball
im kleinen Palais; der König lud den Mann mit Frau, Toch-
ter und einer Verwandtin ein. "Sie werden abgeholt werden."
Er wurde es. Frau von Cotta, der ich die Geschichte erzählte,

wollen.“ Beugt euch, Menſchen, tief: dann könnt ihr euch
erheben. Auguſt, ich prahle hier nicht: ich ſträube mich alle
Tage unartigſt
im Einzelnen. Was heißt das aber? Ich
ſträube mich in den Momenten des Lebens, wo aus Zorn oder
Einzelwunſch mein Auge, erhitzt, oder verblindert, das Ganze
nicht erfaßt; aber — wenn wir an’s Ganze denken, das vor
unſern Sinn gebracht haben, und dann uns nicht beugen,
nicht rein werden, nicht verzweiflen wollen, nicht unterwürfig
ſind; in der eigenen Bruſt, und in dem Drang nach Vernunft,
Recht, und Richtigkeit, keine Bürgen finden, dann müſſen wir
erſt noch recht leiden — und werden. (Jetzt war Frau von
Cotta eine ſehr intime, intereſſante Stunde bei mir. —)
Nun bin ich au pied de la lettre aus meinem Konzept. —
Frau von Humboldt war Sonntag ſchon ſterbend; ſchlug die
Augen auf, ſagte zum Mann: „Es iſt ein Menſch fertig!“
ſelbſt den Tod erwartend. Vergebens; ſie lebt wieder; nimmt
Antheil. Alexander erzählte dies. Schönes Wort. Gott ſei
bei ihr! Sie ſoll viel gebetet haben. Ganz recht. Das heißt
mit Gott ſprechen. Anderes haben wir ihm nicht zu ſagen.
Wie die Kinder uns, müſſen wir ihn ennuyiren. —

Unſer König begegnet vor ein paar Tagen einem Mann
im Thiergarten, ſteht vor ihm ſtill: „Ich kenne Sie! wie hei-
ßen Sie?“ — Ja, Ew. Majeſtät! ich heiße S. aus Königs-
berg. — „Ganz recht, da wohnt’ ich bei Ihnen.“ Kurz, es
war grade den Abend franzöſiſch Theater, Ballet und Ball
im kleinen Palais; der König lud den Mann mit Frau, Toch-
ter und einer Verwandtin ein. „Sie werden abgeholt werden.“
Er wurde es. Frau von Cotta, der ich die Geſchichte erzählte,

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[383/0391] wollen.“ Beugt euch, Menſchen, tief: dann könnt ihr euch erheben. Auguſt, ich prahle hier nicht: ich ſträube mich alle Tage unartigſt im Einzelnen. Was heißt das aber? Ich ſträube mich in den Momenten des Lebens, wo aus Zorn oder Einzelwunſch mein Auge, erhitzt, oder verblindert, das Ganze nicht erfaßt; aber — wenn wir an’s Ganze denken, das vor unſern Sinn gebracht haben, und dann uns nicht beugen, nicht rein werden, nicht verzweiflen wollen, nicht unterwürfig ſind; in der eigenen Bruſt, und in dem Drang nach Vernunft, Recht, und Richtigkeit, keine Bürgen finden, dann müſſen wir erſt noch recht leiden — und werden. (Jetzt war Frau von Cotta eine ſehr intime, intereſſante Stunde bei mir. —) Nun bin ich au pied de la lettre aus meinem Konzept. — Frau von Humboldt war Sonntag ſchon ſterbend; ſchlug die Augen auf, ſagte zum Mann: „Es iſt ein Menſch fertig!“ ſelbſt den Tod erwartend. Vergebens; ſie lebt wieder; nimmt Antheil. Alexander erzählte dies. Schönes Wort. Gott ſei bei ihr! Sie ſoll viel gebetet haben. Ganz recht. Das heißt mit Gott ſprechen. Anderes haben wir ihm nicht zu ſagen. Wie die Kinder uns, müſſen wir ihn ennuyiren. — Unſer König begegnet vor ein paar Tagen einem Mann im Thiergarten, ſteht vor ihm ſtill: „Ich kenne Sie! wie hei- ßen Sie?“ — Ja, Ew. Majeſtät! ich heiße S. aus Königs- berg. — „Ganz recht, da wohnt’ ich bei Ihnen.“ Kurz, es war grade den Abend franzöſiſch Theater, Ballet und Ball im kleinen Palais; der König lud den Mann mit Frau, Toch- ter und einer Verwandtin ein. „Sie werden abgeholt werden.“ Er wurde es. Frau von Cotta, der ich die Geſchichte erzählte,

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/391>, abgerufen am 22.12.2024.