-- Wir sprachen Alle viel. Einer oft a tout hasard: wel- ches er aber doch noch anders meinen muß; ich nur, wenn es mit mir durchlief, wegen damaligem Hustenkrampf. Die Rede kam auf Auswärtsstehen. Rike erwähnte die ägyptischen Bild- werke. Ich nahm ihre steifen Haltungen in größten Schutz: ein Strom ergoß sich aus mir -- ein längst zurückgedämm- ter -- ich erwies, die Natur im Vaguen, und alles, was die versucht und zu thun gezwungen ist, aus lauter nur für sie geltenden Gründen, nachahmen zu wollen, sei durchaus falsch, und daher unthunlich; in eine menschliche Schranke müssen Künste sich engen; in einen solchen, für den höchsten gehalte- nen Menschenzustand, in Beschränkung, in Gränze ihre Ein- willigung geben, das allein sei ihre Freiheit; und so seien der Ägyptier Stellungen eine Art Bild ihres geselligen Daseins; nicht arbeitend, nicht strebend, nicht noch bewegt. Der Ge- gensatz davon sei der Wiener Walzer; der oft so unsinnig angebracht schiene, nach jedem ernsten Kampf oft; mir aber immer guten Eindruck mache und gefalle -- ohne daß ich lange den Grund deutlich gewußt -- so wie ein Leid, ein Kampf, eine Verwirrung, ein Vollbrachtes geschehen sei: gewalzt! Was will der Mensch mehr. Schweben, Leben, Sein, Fertigsein! Heine schlug über die Fauteuil-Lehne, blutroth, ganz weg vor Lachen; er brach wider Willen aus. "Tollheit! schrie er, toll, ganz toll; o wie toll! Tollheit, nein, das ist rasend: solcher Unsinn ward noch nicht gesagt:" und so blieb er lachend. So wie er wieder zu sich war, war es reinster, lichter Neid. Ich sagte ihm auch: "Den Unsinn möchten Sie gemacht haben." Ich lachte auch. Die letzte Hälfte, die vom Walzer, mußte
— Wir ſprachen Alle viel. Einer oft à tout hasard: wel- ches er aber doch noch anders meinen muß; ich nur, wenn es mit mir durchlief, wegen damaligem Huſtenkrampf. Die Rede kam auf Auswärtsſtehen. Rike erwähnte die ägyptiſchen Bild- werke. Ich nahm ihre ſteifen Haltungen in größten Schutz: ein Strom ergoß ſich aus mir — ein längſt zurückgedämm- ter — ich erwies, die Natur im Vaguen, und alles, was die verſucht und zu thun gezwungen iſt, aus lauter nur für ſie geltenden Gründen, nachahmen zu wollen, ſei durchaus falſch, und daher unthunlich; in eine menſchliche Schranke müſſen Künſte ſich engen; in einen ſolchen, für den höchſten gehalte- nen Menſchenzuſtand, in Beſchränkung, in Gränze ihre Ein- willigung geben, das allein ſei ihre Freiheit; und ſo ſeien der Ägyptier Stellungen eine Art Bild ihres geſelligen Daſeins; nicht arbeitend, nicht ſtrebend, nicht noch bewegt. Der Ge- genſatz davon ſei der Wiener Walzer; der oft ſo unſinnig angebracht ſchiene, nach jedem ernſten Kampf oft; mir aber immer guten Eindruck mache und gefalle — ohne daß ich lange den Grund deutlich gewußt — ſo wie ein Leid, ein Kampf, eine Verwirrung, ein Vollbrachtes geſchehen ſei: gewalzt! Was will der Menſch mehr. Schweben, Leben, Sein, Fertigſein! Heine ſchlug über die Fauteuil-Lehne, blutroth, ganz weg vor Lachen; er brach wider Willen aus. „Tollheit! ſchrie er, toll, ganz toll; o wie toll! Tollheit, nein, das iſt raſend: ſolcher Unſinn ward noch nicht geſagt:“ und ſo blieb er lachend. So wie er wieder zu ſich war, war es reinſter, lichter Neid. Ich ſagte ihm auch: „Den Unſinn möchten Sie gemacht haben.“ Ich lachte auch. Die letzte Hälfte, die vom Walzer, mußte
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— Wir ſprachen Alle viel. Einer oft à tout hasard: wel-
ches er aber doch noch anders meinen muß; ich nur, wenn es
mit mir durchlief, wegen damaligem Huſtenkrampf. Die Rede
kam auf Auswärtsſtehen. Rike erwähnte die ägyptiſchen Bild-
werke. Ich nahm ihre ſteifen Haltungen in größten Schutz:
ein Strom ergoß ſich aus mir — ein längſt zurückgedämm-
ter — ich erwies, die Natur im Vaguen, und alles, was die
verſucht und zu thun gezwungen iſt, aus lauter nur für ſie
geltenden Gründen, nachahmen zu wollen, ſei durchaus falſch,
und daher unthunlich; in eine menſchliche Schranke müſſen
Künſte ſich engen; in einen ſolchen, für den höchſten gehalte-
nen Menſchenzuſtand, in Beſchränkung, in Gränze ihre Ein-
willigung geben, das allein ſei ihre Freiheit; und ſo ſeien der
Ägyptier Stellungen eine Art Bild ihres geſelligen Daſeins;
nicht arbeitend, nicht ſtrebend, nicht noch bewegt. Der Ge-
genſatz davon ſei der Wiener Walzer; der oft ſo unſinnig
angebracht ſchiene, nach jedem ernſten Kampf oft; mir aber
immer guten Eindruck mache und gefalle — ohne daß ich lange
den Grund deutlich gewußt — ſo wie ein Leid, ein Kampf,
eine Verwirrung, ein Vollbrachtes geſchehen ſei: gewalzt! Was
will der Menſch mehr. Schweben, Leben, Sein, Fertigſein!
Heine ſchlug über die Fauteuil-Lehne, blutroth, ganz weg vor
Lachen; er brach wider Willen aus. „Tollheit! ſchrie er, toll,
ganz toll; o wie toll! Tollheit, nein, das iſt raſend: ſolcher
Unſinn ward noch nicht geſagt:“ und ſo blieb er lachend. So
wie er wieder zu ſich war, war es reinſter, lichter Neid. Ich
ſagte ihm auch: „Den Unſinn möchten Sie gemacht haben.“
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/386>, abgerufen am 22.12.2024.
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