Mühle ist in der größten Detresse, und hat mehrere tausend Thaler Schulden. Er redet den König an: und stottert und fleht, Majestät möchte ihn von Verzweiflung retten, seinen Kindern aus der Noth helfen, und die Gnade haben, die Mühle zu kaufen! Der König sagt, das geht nicht. Der Müller kommt schriftlich ein, und giebt noch nähere Details über seine Lage. Er bekommt den schriftlichen Bescheid ab- seiten des Königs: Diese Mühle hätte Friedrich II., sein ho- her Ahnherr, schon nicht haben können, und er selbst könne sie auch nicht kaufen, weil sie der Geschichte gehöre; aus sei- ner Noth wolle er ihm aber helfen, damit er in seiner Mühle bleiben könne; und schickte ihm dazu die nöthige Geldsumme. He!? Gestern, als bei meiner Abendgesellschaft die Rede da- von war, sagte ich, was du auch wissen sollst. Als unser großer Friedrich so schön die Mühle aufgab, mußte man glau- ben, Schöneres könne nun mit dieser Mühle nicht vorgehn: nun aber müssen wir glauben, jeder künftige König könne eben so etwas Unerwartetes, wieder Neues, aus dem Herzen erfin- den. Ich weine. Höre noch eine liebenswürdige Anekdote! Nach Beendigung der Königlichen Tafel ertappt ein Tafel- aufseher -- den Titel weiß ich nicht: Fourier? -- einen La- kaien, der eine Flasche Burgunder vor dem Kopf hat, und sie einklucken läßt, und sich aus Schreck ganz begießt; der Mann will sich etwas zeigen, und beginnt einen zu starken, und über- lauten, schimpfenden Lärm; "gleich wegjagen," "unerhört" u. s. w. Längere Zeit hört der König den Lärm, als es aber gar nicht aufhören will und nur immer stärker wird, tritt er in's Tafelzimmer, der Lakai will zu Füßen fallen, der Uner-
bittliche
Mühle iſt in der größten Detreſſe, und hat mehrere tauſend Thaler Schulden. Er redet den König an: und ſtottert und fleht, Majeſtät möchte ihn von Verzweiflung retten, ſeinen Kindern aus der Noth helfen, und die Gnade haben, die Mühle zu kaufen! Der König ſagt, das geht nicht. Der Müller kommt ſchriftlich ein, und giebt noch nähere Details über ſeine Lage. Er bekommt den ſchriftlichen Beſcheid ab- ſeiten des Königs: Dieſe Mühle hätte Friedrich II., ſein ho- her Ahnherr, ſchon nicht haben können, und er ſelbſt könne ſie auch nicht kaufen, weil ſie der Geſchichte gehöre; aus ſei- ner Noth wolle er ihm aber helfen, damit er in ſeiner Mühle bleiben könne; und ſchickte ihm dazu die nöthige Geldſumme. He!? Geſtern, als bei meiner Abendgeſellſchaft die Rede da- von war, ſagte ich, was du auch wiſſen ſollſt. Als unſer großer Friedrich ſo ſchön die Mühle aufgab, mußte man glau- ben, Schöneres könne nun mit dieſer Mühle nicht vorgehn: nun aber müſſen wir glauben, jeder künftige König könne eben ſo etwas Unerwartetes, wieder Neues, aus dem Herzen erfin- den. Ich weine. Höre noch eine liebenswürdige Anekdote! Nach Beendigung der Königlichen Tafel ertappt ein Tafel- aufſeher — den Titel weiß ich nicht: Fourier? — einen La- kaien, der eine Flaſche Burgunder vor dem Kopf hat, und ſie einklucken läßt, und ſich aus Schreck ganz begießt; der Mann will ſich etwas zeigen, und beginnt einen zu ſtarken, und über- lauten, ſchimpfenden Lärm; „gleich wegjagen,“ „unerhört“ u. ſ. w. Längere Zeit hört der König den Lärm, als es aber gar nicht aufhören will und nur immer ſtärker wird, tritt er in’s Tafelzimmer, der Lakai will zu Füßen fallen, der Uner-
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Mühle iſt in der größten Detreſſe, und hat mehrere tauſend
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fleht, Majeſtät möchte ihn von Verzweiflung retten, ſeinen
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Mühle zu kaufen! Der König ſagt, das geht nicht. Der
Müller kommt ſchriftlich ein, und giebt noch nähere Details
über ſeine Lage. Er bekommt den ſchriftlichen Beſcheid ab-
ſeiten des Königs: Dieſe Mühle hätte Friedrich II., ſein ho-
her Ahnherr, ſchon nicht haben können, und er ſelbſt könne
ſie auch nicht kaufen, weil ſie der Geſchichte gehöre; aus ſei-
ner Noth wolle er ihm aber helfen, damit er in ſeiner Mühle
bleiben könne; und ſchickte ihm dazu die nöthige Geldſumme.
He!? Geſtern, als bei meiner Abendgeſellſchaft die Rede da-
von war, ſagte ich, was du auch wiſſen ſollſt. Als unſer
großer Friedrich ſo ſchön die Mühle aufgab, mußte man glau-
ben, Schöneres könne nun mit dieſer Mühle nicht vorgehn:
nun aber müſſen wir glauben, jeder künftige König könne eben ſo
etwas Unerwartetes, wieder Neues, aus dem Herzen erfin-
den. Ich weine. Höre noch eine liebenswürdige Anekdote!
Nach Beendigung der Königlichen Tafel ertappt ein Tafel-
aufſeher — den Titel weiß ich nicht: Fourier? — einen La-
kaien, der eine Flaſche Burgunder vor dem Kopf hat, und ſie
einklucken läßt, und ſich aus Schreck ganz begießt; der Mann
will ſich etwas zeigen, und beginnt einen zu ſtarken, und über-
lauten, ſchimpfenden Lärm; „gleich wegjagen,“ „unerhört“
u. ſ. w. Längere Zeit hört der König den Lärm, als es aber
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/376>, abgerufen am 22.12.2024.
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