hergebrachten Meinungen. Vorurtheilen, beliebten, herrschen- den Formen des Seins und Denkens hin: sie kann doch lachen und vergnügt sein. Ein wenig lüftet sie die Flügel: und die leere Last sinkt zu ihren Füßen, an den Boden: und die edlen Gedanken nehmen ihren Flug.
Frau von Arnim ist von allen, die ich kannte, die geistreichste Frau. Man möchte sagen: ihr Geist hat die meisten Wen- dungen. Ihr Geist hat sie, nicht sie ihn. Was wir Ich nennen können, ist nur der Zusammenhang unsrer Gaben, und die Regierung derselben, die Direktion darüber. So wie Frau von K. jeden Gesichtskreis als solchen verlassen und in der Gewißheit, einen neuen zu finden, freudig sein kann; so leuchtet, oder blitzt wenigstens, bei Frau von A. Mißvergnügen gegen das eben Gefundene hervor, und dieses spornt sie an, um jeden Preis Neues hervorzufinden; -- dies Verfahren aber kann nicht immer ohne Störung vorgehen.
Den größten weiblichen Karakter, den ich je gekannt, hat Gräfin Josephine Pachta. Nichts hat sie abgehalten, nach ihrer Überzeugung zu handeln; und nie war sie darin gestört. Auch die ist freudig: und durchaus ehrwürdig.
Der einzige metaphysische Kopf, den ich je unter Wei- bern kennen lernte, ist die Großherzogin Stephanie von Ba- den. Unter allen Umständen zum Denken aufgelegt, und fähig. Unwillkürlich in jedem Gespräch darauf hinarbeitend. Und auch, wie die andern Hoheu, nur störungsweise nicht immer in den höchsten, heitersten Geistesregionen; in jedem Augen- blick aber dahin zu versetzen.
Alle diese Frauen haben noch tausend angenehme, liebe
hergebrachten Meinungen. Vorurtheilen, beliebten, herrſchen- den Formen des Seins und Denkens hin: ſie kann doch lachen und vergnügt ſein. Ein wenig lüftet ſie die Flügel: und die leere Laſt ſinkt zu ihren Füßen, an den Boden: und die edlen Gedanken nehmen ihren Flug.
Frau von Arnim iſt von allen, die ich kannte, die geiſtreichſte Frau. Man möchte ſagen: ihr Geiſt hat die meiſten Wen- dungen. Ihr Geiſt hat ſie, nicht ſie ihn. Was wir Ich nennen können, iſt nur der Zuſammenhang unſrer Gaben, und die Regierung derſelben, die Direktion darüber. So wie Frau von K. jeden Geſichtskreis als ſolchen verlaſſen und in der Gewißheit, einen neuen zu finden, freudig ſein kann; ſo leuchtet, oder blitzt wenigſtens, bei Frau von A. Mißvergnügen gegen das eben Gefundene hervor, und dieſes ſpornt ſie an, um jeden Preis Neues hervorzufinden; — dies Verfahren aber kann nicht immer ohne Störung vorgehen.
Den größten weiblichen Karakter, den ich je gekannt, hat Gräfin Joſephine Pachta. Nichts hat ſie abgehalten, nach ihrer Überzeugung zu handeln; und nie war ſie darin geſtört. Auch die iſt freudig: und durchaus ehrwürdig.
Der einzige metaphyſiſche Kopf, den ich je unter Wei- bern kennen lernte, iſt die Großherzogin Stephanie von Ba- den. Unter allen Umſtänden zum Denken aufgelegt, und fähig. Unwillkürlich in jedem Geſpräch darauf hinarbeitend. Und auch, wie die andern Hoheu, nur ſtörungsweiſe nicht immer in den höchſten, heiterſten Geiſtesregionen; in jedem Augen- blick aber dahin zu verſetzen.
Alle dieſe Frauen haben noch tauſend angenehme, liebe
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hergebrachten Meinungen. Vorurtheilen, beliebten, herrſchen-
den Formen des Seins und Denkens hin: ſie kann doch
lachen und vergnügt ſein. Ein wenig lüftet ſie die Flügel:
und die leere Laſt ſinkt zu ihren Füßen, an den Boden: und
die edlen Gedanken nehmen ihren Flug.
Frau von Arnim iſt von allen, die ich kannte, die geiſtreichſte
Frau. Man möchte ſagen: ihr Geiſt hat die meiſten Wen-
dungen. Ihr Geiſt hat ſie, nicht ſie ihn. Was wir Ich
nennen können, iſt nur der Zuſammenhang unſrer Gaben,
und die Regierung derſelben, die Direktion darüber. So
wie Frau von K. jeden Geſichtskreis als ſolchen verlaſſen
und in der Gewißheit, einen neuen zu finden, freudig ſein
kann; ſo leuchtet, oder blitzt wenigſtens, bei Frau von A.
Mißvergnügen gegen das eben Gefundene hervor, und dieſes
ſpornt ſie an, um jeden Preis Neues hervorzufinden; — dies
Verfahren aber kann nicht immer ohne Störung vorgehen.
Den größten weiblichen Karakter, den ich je gekannt, hat
Gräfin Joſephine Pachta. Nichts hat ſie abgehalten, nach
ihrer Überzeugung zu handeln; und nie war ſie darin geſtört.
Auch die iſt freudig: und durchaus ehrwürdig.
Der einzige metaphyſiſche Kopf, den ich je unter Wei-
bern kennen lernte, iſt die Großherzogin Stephanie von Ba-
den. Unter allen Umſtänden zum Denken aufgelegt, und fähig.
Unwillkürlich in jedem Geſpräch darauf hinarbeitend. Und
auch, wie die andern Hoheu, nur ſtörungsweiſe nicht immer
in den höchſten, heiterſten Geiſtesregionen; in jedem Augen-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/338>, abgerufen am 25.11.2024.
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