bild, die lähmende Wirkung meiner Versäumniß hielt ich mir gleich in den ersten Tagen derselben vor den Augen. Ich bin eine Frau ohne Kinder; die nicht mahlt, nicht singt, nicht stickt, nichts verfertigt: und alle meine Stunden werden mir geraubt -- mit Gewalt -- gestohlen, zerrissen, entwandt, ver- stümmelt, verdorben. Dies ist ganz mein Fehler; ich ver- hehle es mir nicht, und keinem. Aber dieser Fehler ist so gründlich, so aus meinen besten Kräften, und Säften, und aus meinen schlechtesten gewurzelt, daß ich nichts dran ändern kann; nur daran rütteln, und schütteln; und alles noch mehr verderben kann. Der Tagesanfang ist Krankheit: die sich je- desmal nach dem Schlaf äußert. Mehr, als oft, müssen die Morgenstunden erst, den Schlaf liefern; und, dann ihn ver- dauen, so zu sagen. Ist das geschehen; ist bei Jung und Alt schon Ausruhestunde. Kinder, Große, Nichten, Neffen, Herren, Damen, Rechnungen, Briefe, Bitten, Billets, Einladungen -- sich widersprechende -- Wirthschaft; alles tobt und wogt -- wulgt, sagt das Volk hier ausdrucksvoll -- unter einander, und macht mich krank für den folgenden Tag! -- Dies wäre etwas für Frau von Wißmann!!!! -- deren Sinn und Gemüth bildet eine andere! eine entgegengesetzte Ordnung um sich her! Die Erzählung davon muß ihr schon hassens- werth, und verwirrend sein; denk' ich mir. -- Jeder will nur einen kleinen Moment, eine Viertelstunde, einen Abend: und ich?! enkouragire Alle dazu. Wie, und wieso: das einmal in einer lustigen Viertelstunde mündlich. Liebe Ver- nunft! was habe ich gemacht! Sie werden in mein so geschil- dertes Hauswesen nicht eintreten wollen! aber Sie haben es
bild, die lähmende Wirkung meiner Verſäumniß hielt ich mir gleich in den erſten Tagen derſelben vor den Augen. Ich bin eine Frau ohne Kinder; die nicht mahlt, nicht ſingt, nicht ſtickt, nichts verfertigt: und alle meine Stunden werden mir geraubt — mit Gewalt — geſtohlen, zerriſſen, entwandt, ver- ſtümmelt, verdorben. Dies iſt ganz mein Fehler; ich ver- hehle es mir nicht, und keinem. Aber dieſer Fehler iſt ſo gründlich, ſo aus meinen beſten Kräften, und Säften, und aus meinen ſchlechteſten gewurzelt, daß ich nichts dran ändern kann; nur daran rütteln, und ſchütteln; und alles noch mehr verderben kann. Der Tagesanfang iſt Krankheit: die ſich je- desmal nach dem Schlaf äußert. Mehr, als oft, müſſen die Morgenſtunden erſt, den Schlaf liefern; und, dann ihn ver- dauen, ſo zu ſagen. Iſt das geſchehen; iſt bei Jung und Alt ſchon Ausruheſtunde. Kinder, Große, Nichten, Neffen, Herren, Damen, Rechnungen, Briefe, Bitten, Billets, Einladungen — ſich widerſprechende — Wirthſchaft; alles tobt und wogt — wulgt, ſagt das Volk hier ausdrucksvoll — unter einander, und macht mich krank für den folgenden Tag! — Dies wäre etwas für Frau von Wißmann!!!! — deren Sinn und Gemüth bildet eine andere! eine entgegengeſetzte Ordnung um ſich her! Die Erzählung davon muß ihr ſchon haſſens- werth, und verwirrend ſein; denk’ ich mir. — Jeder will nur einen kleinen Moment, eine Viertelſtunde, einen Abend: und ich?! enkouragire Alle dazu. Wie, und wieſo: das einmal in einer luſtigen Viertelſtunde mündlich. Liebe Ver- nunft! was habe ich gemacht! Sie werden in mein ſo geſchil- dertes Hausweſen nicht eintreten wollen! aber Sie haben es
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0334"n="326"/>
bild, <hirendition="#g">die</hi> lähmende Wirkung meiner Verſäumniß hielt ich mir<lb/>
gleich in den erſten Tagen derſelben vor den Augen. Ich <hirendition="#g">bin</hi><lb/>
eine Frau ohne Kinder; die nicht mahlt, nicht ſingt, nicht<lb/>ſtickt, nichts verfertigt: und alle meine Stunden werden mir<lb/>
geraubt — mit Gewalt — geſtohlen, zerriſſen, entwandt, ver-<lb/>ſtümmelt, verdorben. Dies iſt <hirendition="#g">ganz mein Fehler</hi>; ich ver-<lb/>
hehle es mir nicht, und keinem. Aber dieſer Fehler iſt ſo<lb/>
gründlich, ſo aus meinen beſten Kräften, und Säften, und<lb/>
aus meinen ſchlechteſten gewurzelt, daß ich nichts dran ändern<lb/>
kann; nur daran rütteln, und ſchütteln; und alles noch mehr<lb/>
verderben kann. Der Tagesanfang iſt Krankheit: die ſich je-<lb/>
desmal nach dem Schlaf äußert. Mehr, als oft, müſſen die<lb/>
Morgenſtunden erſt, den Schlaf liefern; und, dann ihn ver-<lb/>
dauen, ſo zu ſagen. Iſt das geſchehen; iſt bei Jung und Alt<lb/>ſchon Ausruheſtunde. Kinder, Große, Nichten, Neffen, Herren,<lb/>
Damen, Rechnungen, Briefe, Bitten, Billets, Einladungen —<lb/>ſich widerſprechende — Wirthſchaft; alles tobt und wogt —<lb/>
wulgt, ſagt das Volk hier ausdrucksvoll — unter einander,<lb/>
und macht mich krank für den <hirendition="#g">folgenden</hi> Tag! — Dies<lb/>
wäre etwas für Frau von Wißmann!!!! — deren Sinn und<lb/>
Gemüth bildet eine <hirendition="#g">andere</hi>! eine entgegengeſetzte Ordnung<lb/>
um ſich her! Die <hirendition="#g">Erzählung</hi> davon muß ihr ſchon haſſens-<lb/>
werth, und verwirrend ſein; denk’ ich mir. — Jeder will nur<lb/>
einen kleinen Moment, eine Viertelſtunde, <hirendition="#g">einen</hi> Abend: und<lb/>
ich?! enkouragire Alle dazu. Wie, und wieſo: das einmal in<lb/>
einer <hirendition="#g">luſtigen Viertelſtunde mündlich</hi>. Liebe Ver-<lb/>
nunft! was habe ich gemacht! Sie werden in mein ſo geſchil-<lb/>
dertes Hausweſen nicht eintreten wollen! aber Sie haben es<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[326/0334]
bild, die lähmende Wirkung meiner Verſäumniß hielt ich mir
gleich in den erſten Tagen derſelben vor den Augen. Ich bin
eine Frau ohne Kinder; die nicht mahlt, nicht ſingt, nicht
ſtickt, nichts verfertigt: und alle meine Stunden werden mir
geraubt — mit Gewalt — geſtohlen, zerriſſen, entwandt, ver-
ſtümmelt, verdorben. Dies iſt ganz mein Fehler; ich ver-
hehle es mir nicht, und keinem. Aber dieſer Fehler iſt ſo
gründlich, ſo aus meinen beſten Kräften, und Säften, und
aus meinen ſchlechteſten gewurzelt, daß ich nichts dran ändern
kann; nur daran rütteln, und ſchütteln; und alles noch mehr
verderben kann. Der Tagesanfang iſt Krankheit: die ſich je-
desmal nach dem Schlaf äußert. Mehr, als oft, müſſen die
Morgenſtunden erſt, den Schlaf liefern; und, dann ihn ver-
dauen, ſo zu ſagen. Iſt das geſchehen; iſt bei Jung und Alt
ſchon Ausruheſtunde. Kinder, Große, Nichten, Neffen, Herren,
Damen, Rechnungen, Briefe, Bitten, Billets, Einladungen —
ſich widerſprechende — Wirthſchaft; alles tobt und wogt —
wulgt, ſagt das Volk hier ausdrucksvoll — unter einander,
und macht mich krank für den folgenden Tag! — Dies
wäre etwas für Frau von Wißmann!!!! — deren Sinn und
Gemüth bildet eine andere! eine entgegengeſetzte Ordnung
um ſich her! Die Erzählung davon muß ihr ſchon haſſens-
werth, und verwirrend ſein; denk’ ich mir. — Jeder will nur
einen kleinen Moment, eine Viertelſtunde, einen Abend: und
ich?! enkouragire Alle dazu. Wie, und wieſo: das einmal in
einer luſtigen Viertelſtunde mündlich. Liebe Ver-
nunft! was habe ich gemacht! Sie werden in mein ſo geſchil-
dertes Hausweſen nicht eintreten wollen! aber Sie haben es
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/334>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.