Wiederkunft vor den vierzehn Vakant-Tagen; grüßt, wie alle Freunde! und ich. --
Den 13. September.
Guten Morgen, Augustchen! Halb 8. Sonnenschein. Gut geschlafen; oft gewacht; Gassenhunde, Wärme; schöne Mondnacht, übrigens ist Donnerstag. Ich vergaß dir noch von der Kinder-Gartenscene zu sagen, daß ich mir ein But- terbrot geben ließ: sie hatten dies eben oben gehabt, Feigen, Birne, und sollten nun endlich durchaus nichts mehr. "Ein Stückchen!" Ich gebe es jedem; geschwind auf. "Noch ein Stückchen!" Ich schlag' es ab: "Aber ich hab's so gerne!" Ich geb's: der Junge immer auch. "Tante, liebes Tantche, aber es schmeckt so gut!" sie lassen mir in der That beinah nichts; so bekamen sie an sechs kleine Portionen: das letzte Stückchen nahm ich geschwind in den Mund, Elise sah dies nicht. "Noch was!" Ganz schnell. Es ist nicht mehr da, zeige ich ihr, kauend; "Ja! in deinem Mund!" sagt sie, "gieb mir!" und will es daher. War aber ganz zufrieden, als sie nichts bekam, und mich lachen hörte. -- Was ich lese, August? Schande! Nichts, als deine Briefe und die Zeitung. Lesen und schreiben geht bei mir nicht mehr. Alle Tage will ich Hegel weiter lesen, und komme nicht dazu. Von Schiller hab' ich einen Theil, den ich von Ferdinand geliehen, eine Lebensskizze dieses lieben Mannes von Körners Vater entwor- sen, mit Auszügen von Schillers Briefen verherrlicht, und am Ende desselben mit sechszehn Zeilen von Goethen. Heiliger Gott! Welche bronzene Worte! "Es glühte seine Wange roth und röther von jener Jugend, die uns nie verfliegt."
Wiederkunft vor den vierzehn Vakant-Tagen; grüßt, wie alle Freunde! und ich. —
Den 13. September.
Guten Morgen, Auguſtchen! Halb 8. Sonnenſchein. Gut geſchlafen; oft gewacht; Gaſſenhunde, Wärme; ſchöne Mondnacht, übrigens iſt Donnerstag. Ich vergaß dir noch von der Kinder-Gartenſcene zu ſagen, daß ich mir ein But- terbrot geben ließ: ſie hatten dies eben oben gehabt, Feigen, Birne, und ſollten nun endlich durchaus nichts mehr. „Ein Stückchen!“ Ich gebe es jedem; geſchwind auf. „Noch ein Stückchen!“ Ich ſchlag’ es ab: „Aber ich hab’s ſo gerne!“ Ich geb’s: der Junge immer auch. „Tante, liebes Tantche, aber es ſchmeckt ſo gut!“ ſie laſſen mir in der That beinah nichts; ſo bekamen ſie an ſechs kleine Portionen: das letzte Stückchen nahm ich geſchwind in den Mund, Eliſe ſah dies nicht. „Noch was!“ Ganz ſchnell. Es iſt nicht mehr da, zeige ich ihr, kauend; „Ja! in deinem Mund!“ ſagt ſie, „gieb mir!“ und will es daher. War aber ganz zufrieden, als ſie nichts bekam, und mich lachen hörte. — Was ich leſe, Auguſt? Schande! Nichts, als deine Briefe und die Zeitung. Leſen und ſchreiben geht bei mir nicht mehr. Alle Tage will ich Hegel weiter leſen, und komme nicht dazu. Von Schiller hab’ ich einen Theil, den ich von Ferdinand geliehen, eine Lebensſkizze dieſes lieben Mannes von Körners Vater entwor- ſen, mit Auszügen von Schillers Briefen verherrlicht, und am Ende deſſelben mit ſechszehn Zeilen von Goethen. Heiliger Gott! Welche bronzene Worte! „Es glühte ſeine Wange roth und röther von jener Jugend, die uns nie verfliegt.“
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0307"n="299"/>
Wiederkunft vor den vierzehn Vakant-Tagen; grüßt, wie<lb/>
alle Freunde! und <hirendition="#g">ich</hi>. —</p></div><lb/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Den 13. September.</hi></dateline><lb/><p>Guten Morgen, <hirendition="#g">Auguſtchen</hi>! Halb 8. Sonnenſchein.<lb/>
Gut geſchlafen; oft gewacht; Gaſſenhunde, Wärme; <hirendition="#g">ſchöne</hi><lb/>
Mondnacht, übrigens iſt Donnerstag. Ich vergaß dir noch<lb/>
von der Kinder-Gartenſcene zu ſagen, daß ich mir ein But-<lb/>
terbrot geben ließ: ſie hatten dies eben oben gehabt, Feigen,<lb/>
Birne, und ſollten nun endlich durchaus nichts mehr. „<hirendition="#g">Ein</hi><lb/>
Stückchen!“ Ich gebe es jedem; geſchwind auf. „Noch <hirendition="#g">ein</hi><lb/>
Stückchen!“ Ich ſchlag’ es ab: „Aber ich <hirendition="#g">hab’s</hi>ſo gerne!“<lb/>
Ich geb’s: der Junge immer auch. „Ta<hirendition="#g">nte</hi>, liebes Tan<hirendition="#g">tche</hi>,<lb/>
aber es ſchmeckt ſo gut!“ſie laſſen mir in der That beinah<lb/>
nichts; ſo bekamen ſie an ſechs kleine Portionen: das letzte<lb/>
Stückchen nahm ich geſchwind in den Mund, Eliſe ſah dies<lb/>
nicht. „Noch was!“ Ganz ſchnell. Es iſt nicht mehr da,<lb/>
zeige ich ihr, kauend; „Ja! in <hirendition="#g">deinem Mund</hi>!“ſagt ſie,<lb/>„gieb mir!“ und will es <hirendition="#g">dah</hi>er. War aber ganz zufrieden,<lb/>
als ſie nichts bekam, und mich lachen hörte. — Was ich leſe,<lb/>
Auguſt? Schande! <hirendition="#g">Nichts</hi>, als deine Briefe und die Zeitung.<lb/>
Leſen <hirendition="#g">und</hi>ſchreiben geht bei mir nicht mehr. Alle <hirendition="#g">Tage</hi> will<lb/>
ich Hegel weiter leſen, und komme nicht dazu. Von Schiller<lb/>
hab’ ich einen Theil, den ich von Ferdinand geliehen, eine<lb/>
Lebensſkizze dieſes lieben Mannes von Körners Vater entwor-<lb/>ſen, mit Auszügen von Schillers Briefen verherrlicht, und am<lb/>
Ende deſſelben mit ſechszehn Zeilen von Goethen. Heiliger<lb/>
Gott! Welche bronzene Worte! „Es glühte ſeine Wange<lb/>
roth und röther von jener Jugend, die uns nie verfliegt.“<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[299/0307]
Wiederkunft vor den vierzehn Vakant-Tagen; grüßt, wie
alle Freunde! und ich. —
Den 13. September.
Guten Morgen, Auguſtchen! Halb 8. Sonnenſchein.
Gut geſchlafen; oft gewacht; Gaſſenhunde, Wärme; ſchöne
Mondnacht, übrigens iſt Donnerstag. Ich vergaß dir noch
von der Kinder-Gartenſcene zu ſagen, daß ich mir ein But-
terbrot geben ließ: ſie hatten dies eben oben gehabt, Feigen,
Birne, und ſollten nun endlich durchaus nichts mehr. „Ein
Stückchen!“ Ich gebe es jedem; geſchwind auf. „Noch ein
Stückchen!“ Ich ſchlag’ es ab: „Aber ich hab’s ſo gerne!“
Ich geb’s: der Junge immer auch. „Tante, liebes Tantche,
aber es ſchmeckt ſo gut!“ ſie laſſen mir in der That beinah
nichts; ſo bekamen ſie an ſechs kleine Portionen: das letzte
Stückchen nahm ich geſchwind in den Mund, Eliſe ſah dies
nicht. „Noch was!“ Ganz ſchnell. Es iſt nicht mehr da,
zeige ich ihr, kauend; „Ja! in deinem Mund!“ ſagt ſie,
„gieb mir!“ und will es daher. War aber ganz zufrieden,
als ſie nichts bekam, und mich lachen hörte. — Was ich leſe,
Auguſt? Schande! Nichts, als deine Briefe und die Zeitung.
Leſen und ſchreiben geht bei mir nicht mehr. Alle Tage will
ich Hegel weiter leſen, und komme nicht dazu. Von Schiller
hab’ ich einen Theil, den ich von Ferdinand geliehen, eine
Lebensſkizze dieſes lieben Mannes von Körners Vater entwor-
ſen, mit Auszügen von Schillers Briefen verherrlicht, und am
Ende deſſelben mit ſechszehn Zeilen von Goethen. Heiliger
Gott! Welche bronzene Worte! „Es glühte ſeine Wange
roth und röther von jener Jugend, die uns nie verfliegt.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/307>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.