Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Wiederkunft vor den vierzehn Vakant-Tagen; grüßt, wie
alle Freunde! und ich. --


Guten Morgen, Augustchen! Halb 8. Sonnenschein.
Gut geschlafen; oft gewacht; Gassenhunde, Wärme; schöne
Mondnacht, übrigens ist Donnerstag. Ich vergaß dir noch
von der Kinder-Gartenscene zu sagen, daß ich mir ein But-
terbrot geben ließ: sie hatten dies eben oben gehabt, Feigen,
Birne, und sollten nun endlich durchaus nichts mehr. "Ein
Stückchen!" Ich gebe es jedem; geschwind auf. "Noch ein
Stückchen!" Ich schlag' es ab: "Aber ich hab's so gerne!"
Ich geb's: der Junge immer auch. "Tante, liebes Tantche,
aber es schmeckt so gut!" sie lassen mir in der That beinah
nichts; so bekamen sie an sechs kleine Portionen: das letzte
Stückchen nahm ich geschwind in den Mund, Elise sah dies
nicht. "Noch was!" Ganz schnell. Es ist nicht mehr da,
zeige ich ihr, kauend; "Ja! in deinem Mund!" sagt sie,
"gieb mir!" und will es daher. War aber ganz zufrieden,
als sie nichts bekam, und mich lachen hörte. -- Was ich lese,
August? Schande! Nichts, als deine Briefe und die Zeitung.
Lesen und schreiben geht bei mir nicht mehr. Alle Tage will
ich Hegel weiter lesen, und komme nicht dazu. Von Schiller
hab' ich einen Theil, den ich von Ferdinand geliehen, eine
Lebensskizze dieses lieben Mannes von Körners Vater entwor-
sen, mit Auszügen von Schillers Briefen verherrlicht, und am
Ende desselben mit sechszehn Zeilen von Goethen. Heiliger
Gott! Welche bronzene Worte! "Es glühte seine Wange
roth und röther von jener Jugend, die uns nie verfliegt."

Wiederkunft vor den vierzehn Vakant-Tagen; grüßt, wie
alle Freunde! und ich. —


Guten Morgen, Auguſtchen! Halb 8. Sonnenſchein.
Gut geſchlafen; oft gewacht; Gaſſenhunde, Wärme; ſchöne
Mondnacht, übrigens iſt Donnerstag. Ich vergaß dir noch
von der Kinder-Gartenſcene zu ſagen, daß ich mir ein But-
terbrot geben ließ: ſie hatten dies eben oben gehabt, Feigen,
Birne, und ſollten nun endlich durchaus nichts mehr. „Ein
Stückchen!“ Ich gebe es jedem; geſchwind auf. „Noch ein
Stückchen!“ Ich ſchlag’ es ab: „Aber ich hab’s ſo gerne!“
Ich geb’s: der Junge immer auch. „Tante, liebes Tantche,
aber es ſchmeckt ſo gut!“ ſie laſſen mir in der That beinah
nichts; ſo bekamen ſie an ſechs kleine Portionen: das letzte
Stückchen nahm ich geſchwind in den Mund, Eliſe ſah dies
nicht. „Noch was!“ Ganz ſchnell. Es iſt nicht mehr da,
zeige ich ihr, kauend; „Ja! in deinem Mund!“ ſagt ſie,
„gieb mir!“ und will es daher. War aber ganz zufrieden,
als ſie nichts bekam, und mich lachen hörte. — Was ich leſe,
Auguſt? Schande! Nichts, als deine Briefe und die Zeitung.
Leſen und ſchreiben geht bei mir nicht mehr. Alle Tage will
ich Hegel weiter leſen, und komme nicht dazu. Von Schiller
hab’ ich einen Theil, den ich von Ferdinand geliehen, eine
Lebensſkizze dieſes lieben Mannes von Körners Vater entwor-
ſen, mit Auszügen von Schillers Briefen verherrlicht, und am
Ende deſſelben mit ſechszehn Zeilen von Goethen. Heiliger
Gott! Welche bronzene Worte! „Es glühte ſeine Wange
roth und röther von jener Jugend, die uns nie verfliegt.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0307" n="299"/>
Wiederkunft vor den vierzehn Vakant-Tagen; grüßt, wie<lb/>
alle Freunde! und <hi rendition="#g">ich</hi>. &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Den 13. September.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Guten Morgen, <hi rendition="#g">Augu&#x017F;tchen</hi>! Halb 8. Sonnen&#x017F;chein.<lb/>
Gut ge&#x017F;chlafen; oft gewacht; Ga&#x017F;&#x017F;enhunde, Wärme; <hi rendition="#g">&#x017F;chöne</hi><lb/>
Mondnacht, übrigens i&#x017F;t Donnerstag. Ich vergaß dir noch<lb/>
von der Kinder-Garten&#x017F;cene zu &#x017F;agen, daß ich mir ein But-<lb/>
terbrot geben ließ: &#x017F;ie hatten dies eben oben gehabt, Feigen,<lb/>
Birne, und &#x017F;ollten nun endlich durchaus nichts mehr. &#x201E;<hi rendition="#g">Ein</hi><lb/>
Stückchen!&#x201C; Ich gebe es jedem; ge&#x017F;chwind auf. &#x201E;Noch <hi rendition="#g">ein</hi><lb/>
Stückchen!&#x201C; Ich &#x017F;chlag&#x2019; es ab: &#x201E;Aber ich <hi rendition="#g">hab&#x2019;s</hi> &#x017F;o gerne!&#x201C;<lb/>
Ich geb&#x2019;s: der Junge immer auch. &#x201E;Ta<hi rendition="#g">nte</hi>, liebes Tan<hi rendition="#g">tche</hi>,<lb/>
aber es &#x017F;chmeckt &#x017F;o gut!&#x201C; &#x017F;ie la&#x017F;&#x017F;en mir in der That beinah<lb/>
nichts; &#x017F;o bekamen &#x017F;ie an &#x017F;echs kleine Portionen: das letzte<lb/>
Stückchen nahm ich ge&#x017F;chwind in den Mund, Eli&#x017F;e &#x017F;ah dies<lb/>
nicht. &#x201E;Noch was!&#x201C; Ganz &#x017F;chnell. Es i&#x017F;t nicht mehr da,<lb/>
zeige ich ihr, kauend; &#x201E;Ja! in <hi rendition="#g">deinem Mund</hi>!&#x201C; &#x017F;agt &#x017F;ie,<lb/>
&#x201E;gieb mir!&#x201C; und will es <hi rendition="#g">dah</hi>er. War aber ganz zufrieden,<lb/>
als &#x017F;ie nichts bekam, und mich lachen hörte. &#x2014; Was ich le&#x017F;e,<lb/>
Augu&#x017F;t? Schande! <hi rendition="#g">Nichts</hi>, als deine Briefe und die Zeitung.<lb/>
Le&#x017F;en <hi rendition="#g">und</hi> &#x017F;chreiben geht bei mir nicht mehr. Alle <hi rendition="#g">Tage</hi> will<lb/>
ich Hegel weiter le&#x017F;en, und komme nicht dazu. Von Schiller<lb/>
hab&#x2019; ich einen Theil, den ich von Ferdinand geliehen, eine<lb/>
Lebens&#x017F;kizze die&#x017F;es lieben Mannes von Körners Vater entwor-<lb/>
&#x017F;en, mit Auszügen von Schillers Briefen verherrlicht, und am<lb/>
Ende de&#x017F;&#x017F;elben mit &#x017F;echszehn Zeilen von Goethen. Heiliger<lb/>
Gott! Welche bronzene Worte! &#x201E;Es glühte &#x017F;eine Wange<lb/>
roth und röther von jener Jugend, die uns nie verfliegt.&#x201C;<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[299/0307] Wiederkunft vor den vierzehn Vakant-Tagen; grüßt, wie alle Freunde! und ich. — Den 13. September. Guten Morgen, Auguſtchen! Halb 8. Sonnenſchein. Gut geſchlafen; oft gewacht; Gaſſenhunde, Wärme; ſchöne Mondnacht, übrigens iſt Donnerstag. Ich vergaß dir noch von der Kinder-Gartenſcene zu ſagen, daß ich mir ein But- terbrot geben ließ: ſie hatten dies eben oben gehabt, Feigen, Birne, und ſollten nun endlich durchaus nichts mehr. „Ein Stückchen!“ Ich gebe es jedem; geſchwind auf. „Noch ein Stückchen!“ Ich ſchlag’ es ab: „Aber ich hab’s ſo gerne!“ Ich geb’s: der Junge immer auch. „Tante, liebes Tantche, aber es ſchmeckt ſo gut!“ ſie laſſen mir in der That beinah nichts; ſo bekamen ſie an ſechs kleine Portionen: das letzte Stückchen nahm ich geſchwind in den Mund, Eliſe ſah dies nicht. „Noch was!“ Ganz ſchnell. Es iſt nicht mehr da, zeige ich ihr, kauend; „Ja! in deinem Mund!“ ſagt ſie, „gieb mir!“ und will es daher. War aber ganz zufrieden, als ſie nichts bekam, und mich lachen hörte. — Was ich leſe, Auguſt? Schande! Nichts, als deine Briefe und die Zeitung. Leſen und ſchreiben geht bei mir nicht mehr. Alle Tage will ich Hegel weiter leſen, und komme nicht dazu. Von Schiller hab’ ich einen Theil, den ich von Ferdinand geliehen, eine Lebensſkizze dieſes lieben Mannes von Körners Vater entwor- ſen, mit Auszügen von Schillers Briefen verherrlicht, und am Ende deſſelben mit ſechszehn Zeilen von Goethen. Heiliger Gott! Welche bronzene Worte! „Es glühte ſeine Wange roth und röther von jener Jugend, die uns nie verfliegt.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/307
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/307>, abgerufen am 25.11.2024.