Berlin, Montag 10 Uhr Morgens, den 11. September 1827.
Wunderschönes Wetter, nach solchem rauhen Wetter, wie es in den Zeitungen von allen Orten steht.
Ein angenehmes Ereigniß habe ich Ihnen zu melden: Varnh. ist auf einer sehr angenehmen Spazirreise begriffen: und ich habe schon den vierten sehr vergnügten Brief aus München von ihm; einen von Leipzig, Nürnberg, Regensburg: so nahm er seinen Weg. Wir beschlossen diese Reise mit einer Art von Gewalt, für ihn allein: die Gewalt lag darin, liebe Rosa! daß ich durchaus nicht mit wollte. Sonst wäre es wie- der eine Verweichlichungsreise geworden. Ich bin rheumatisch nervös, und muß mich, fast unbewußt, durch den Tag durch- laviren: das thut denn August mit: oder, wird einmal är- gerlich, oder kann es nicht beachten: er sollte durchaus Ein- mal ohne Beziehung auf mich existiren; sich durchstuckren lassen: und schnell, viel äußere Berührungen haben. Es war ihm äußerst nöthig, sah er sehr gut ein. Liebe Rosa! ich wünschte Ihnen die theuren Briefe zeigen zu können, die mir mein einziger Freund, mein Geliebter schreibt: zu erfahren was solche Trennung ist, was sie fruchtet, ist allein schon werth, sich ihr auszusetzen; sie über sich zu nehmen. Auch ohne diese einzige Liebe und Freundschaft sind sie so vortreff- lich, daß sich jedes Journal, wenn man sie ihm gäbe, daran erholen könnte. Er hat eine Menge alter und ganz neuer bedeutenden Menschen gefunden und gesehen: und herrlichste Kunstsachen. Bleibt wohl noch vierzehn Tage aus. Es war
An D. Aſſing, in Hamburg.
Berlin, Montag 10 Uhr Morgens, den 11. September 1827.
Wunderſchönes Wetter, nach ſolchem rauhen Wetter, wie es in den Zeitungen von allen Orten ſteht.
Ein angenehmes Ereigniß habe ich Ihnen zu melden: Varnh. iſt auf einer ſehr angenehmen Spazirreiſe begriffen: und ich habe ſchon den vierten ſehr vergnügten Brief aus München von ihm; einen von Leipzig, Nürnberg, Regensburg: ſo nahm er ſeinen Weg. Wir beſchloſſen dieſe Reiſe mit einer Art von Gewalt, für ihn allein: die Gewalt lag darin, liebe Roſa! daß ich durchaus nicht mit wollte. Sonſt wäre es wie- der eine Verweichlichungsreiſe geworden. Ich bin rheumatiſch nervös, und muß mich, faſt unbewußt, durch den Tag durch- laviren: das thut denn Auguſt mit: oder, wird einmal är- gerlich, oder kann es nicht beachten: er ſollte durchaus Ein- mal ohne Beziehung auf mich exiſtiren; ſich durchſtuckren laſſen: und ſchnell, viel äußere Berührungen haben. Es war ihm äußerſt nöthig, ſah er ſehr gut ein. Liebe Roſa! ich wünſchte Ihnen die theuren Briefe zeigen zu können, die mir mein einziger Freund, mein Geliebter ſchreibt: zu erfahren was ſolche Trennung iſt, was ſie fruchtet, iſt allein ſchon werth, ſich ihr auszuſetzen; ſie über ſich zu nehmen. Auch ohne dieſe einzige Liebe und Freundſchaft ſind ſie ſo vortreff- lich, daß ſich jedes Journal, wenn man ſie ihm gäbe, daran erholen könnte. Er hat eine Menge alter und ganz neuer bedeutenden Menſchen gefunden und geſehen: und herrlichſte Kunſtſachen. Bleibt wohl noch vierzehn Tage aus. Es war
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0301"n="293"/><divn="2"><head>An D. Aſſing, in Hamburg.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Berlin, Montag 10 Uhr Morgens, den 11. September 1827.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#et">Wunderſchönes Wetter, nach ſolchem rauhen Wetter, wie es in<lb/>
den Zeitungen von allen Orten ſteht.</hi></p><lb/><p>Ein angenehmes Ereigniß habe ich Ihnen zu melden:<lb/>
Varnh. iſt auf einer ſehr angenehmen Spazirreiſe begriffen:<lb/>
und ich habe ſchon den vierten ſehr vergnügten Brief aus<lb/>
München von ihm; einen von Leipzig, Nürnberg, Regensburg:<lb/>ſo nahm er ſeinen Weg. Wir beſchloſſen dieſe Reiſe mit einer<lb/>
Art von Gewalt, für ihn allein: die Gewalt lag darin, liebe<lb/>
Roſa! daß ich durchaus nicht mit wollte. Sonſt wäre es wie-<lb/>
der eine Verweichlichungsreiſe geworden. Ich bin rheumatiſch<lb/>
nervös, und muß mich, faſt unbewußt, durch den Tag durch-<lb/>
laviren: das thut denn Auguſt <hirendition="#g">mit: oder</hi>, wird einmal är-<lb/>
gerlich, oder kann es nicht beachten: er ſollte durchaus Ein-<lb/>
mal ohne Beziehung auf mich exiſtiren; ſich <hirendition="#g">durchſtuckren</hi><lb/>
laſſen: und <hirendition="#g">ſchnell, viel</hi> äußere Berührungen haben. Es<lb/>
war ihm äußerſt nöthig, ſah er ſehr gut ein. <hirendition="#g">Liebe</hi> Roſa!<lb/>
ich wünſchte Ihnen die theuren Briefe zeigen zu können, die<lb/>
mir mein einziger Freund, mein Geliebter ſchreibt: zu erfahren<lb/>
was ſolche Trennung <hirendition="#g">iſt</hi>, was ſie fruchtet, iſt allein ſchon<lb/>
werth, ſich ihr auszuſetzen; ſie über ſich zu nehmen. Auch<lb/>
ohne dieſe einzige Liebe und Freundſchaft ſind ſie ſo vortreff-<lb/>
lich, daß ſich jedes Journal, wenn man ſie ihm gäbe, daran<lb/>
erholen könnte. Er hat eine Menge alter und ganz neuer<lb/>
bedeutenden Menſchen gefunden und geſehen: und herrlichſte<lb/>
Kunſtſachen. Bleibt wohl noch vierzehn Tage aus. Es war<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[293/0301]
An D. Aſſing, in Hamburg.
Berlin, Montag 10 Uhr Morgens, den 11. September 1827.
Wunderſchönes Wetter, nach ſolchem rauhen Wetter, wie es in
den Zeitungen von allen Orten ſteht.
Ein angenehmes Ereigniß habe ich Ihnen zu melden:
Varnh. iſt auf einer ſehr angenehmen Spazirreiſe begriffen:
und ich habe ſchon den vierten ſehr vergnügten Brief aus
München von ihm; einen von Leipzig, Nürnberg, Regensburg:
ſo nahm er ſeinen Weg. Wir beſchloſſen dieſe Reiſe mit einer
Art von Gewalt, für ihn allein: die Gewalt lag darin, liebe
Roſa! daß ich durchaus nicht mit wollte. Sonſt wäre es wie-
der eine Verweichlichungsreiſe geworden. Ich bin rheumatiſch
nervös, und muß mich, faſt unbewußt, durch den Tag durch-
laviren: das thut denn Auguſt mit: oder, wird einmal är-
gerlich, oder kann es nicht beachten: er ſollte durchaus Ein-
mal ohne Beziehung auf mich exiſtiren; ſich durchſtuckren
laſſen: und ſchnell, viel äußere Berührungen haben. Es
war ihm äußerſt nöthig, ſah er ſehr gut ein. Liebe Roſa!
ich wünſchte Ihnen die theuren Briefe zeigen zu können, die
mir mein einziger Freund, mein Geliebter ſchreibt: zu erfahren
was ſolche Trennung iſt, was ſie fruchtet, iſt allein ſchon
werth, ſich ihr auszuſetzen; ſie über ſich zu nehmen. Auch
ohne dieſe einzige Liebe und Freundſchaft ſind ſie ſo vortreff-
lich, daß ſich jedes Journal, wenn man ſie ihm gäbe, daran
erholen könnte. Er hat eine Menge alter und ganz neuer
bedeutenden Menſchen gefunden und geſehen: und herrlichſte
Kunſtſachen. Bleibt wohl noch vierzehn Tage aus. Es war
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/301>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.