Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

stibitzte oder erflehte und nach dem Munde brachte, ganz
ängstlich sagte: "Werd' ich auch nicht träumen!" und im-
mer wieder; und auch: "Laß mich aber nicht träumen!" und
so immerfort, bis sie alles auf hatte, was ich nur irgend
nicht geschwinder aß. Das liebe Unschuldskind! glaubt
wirklich, wir, Große, ich, die treue Liebestante, können das
machen. So rührend; und es war so komisch; grad in
seinem ängstlichen Ernst. Sie träumt ängstlich, und das be-
nutzte die Mutter: auch kommt es von zu vielem Essen.
(In Friedrich Schlegels Philosophie des Lebens ist das eine
sehr schöne Stelle, wo er vom Gewissen spricht, und von
dem, was wir von Gott wissen können, welches wir eigent-
lich in Zusammenhang mit der Sprachfähigkeit erfahren; und
er sagt: ein Kind verstehe zuerst seine Mutter nicht: und
verstehe sie doch; etwas davon. Wunderschön. Saint-Mar-
tin'sch: heiter-fromm; klar eingesehen.) Drittens muß ich
dir sagen, daß Willisen ganz eingenommen von deinem Blü-
cher ist. Spricht oft und lange davon. -- Ich habe Friedrich
Schlegel mit Ranke'n über seine Philosophie des Lebens lang
geschrieben; alles was er wissen mußte: freudigstes Lob: und
offenen Tadel. Nichts Verletzliches: das nicht Zustimmende
mit größter Liebe, und auf das größte Geistergebiet hingestellt.
Siehst du ihn, so grüße ihn. Auch mit Willisen sprach ich
viel im höchsten also im besten Sinn von ihm. --



ſtibitzte oder erflehte und nach dem Munde brachte, ganz
ängſtlich ſagte: „Werd’ ich auch nicht träumen!“ und im-
mer wieder; und auch: „Laß mich aber nicht träumen!“ und
ſo immerfort, bis ſie alles auf hatte, was ich nur irgend
nicht geſchwinder aß. Das liebe Unſchuldskind! glaubt
wirklich, wir, Große, ich, die treue Liebestante, können das
machen. So rührend; und es war ſo komiſch; grad in
ſeinem ängſtlichen Ernſt. Sie träumt ängſtlich, und das be-
nutzte die Mutter: auch kommt es von zu vielem Eſſen.
(In Friedrich Schlegels Philoſophie des Lebens iſt das eine
ſehr ſchöne Stelle, wo er vom Gewiſſen ſpricht, und von
dem, was wir von Gott wiſſen können, welches wir eigent-
lich in Zuſammenhang mit der Sprachfähigkeit erfahren; und
er ſagt: ein Kind verſtehe zuerſt ſeine Mutter nicht: und
verſtehe ſie doch; etwas davon. Wunderſchön. Saint-Mar-
tin’ſch: heiter-fromm; klar eingeſehen.) Drittens muß ich
dir ſagen, daß Williſen ganz eingenommen von deinem Blü-
cher iſt. Spricht oft und lange davon. — Ich habe Friedrich
Schlegel mit Ranke’n über ſeine Philoſophie des Lebens lang
geſchrieben; alles was er wiſſen mußte: freudigſtes Lob: und
offenen Tadel. Nichts Verletzliches: das nicht Zuſtimmende
mit größter Liebe, und auf das größte Geiſtergebiet hingeſtellt.
Siehſt du ihn, ſo grüße ihn. Auch mit Williſen ſprach ich
viel im höchſten alſo im beſten Sinn von ihm. —



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0300" n="292"/>
&#x017F;tibitzte oder erflehte und nach dem Munde brachte, ganz<lb/>
äng&#x017F;tlich &#x017F;agte: &#x201E;Werd&#x2019; ich auch nicht träumen!&#x201C; und im-<lb/>
mer wieder; und auch: &#x201E;Laß mich aber nicht träumen!&#x201C; und<lb/>
&#x017F;o immerfort, bis &#x017F;ie alles auf hatte, was ich nur irgend<lb/>
nicht ge&#x017F;chwinder aß. Das liebe <hi rendition="#g">Un&#x017F;chuldskind</hi>! glaubt<lb/>
wirklich, wir, Große, ich, die treue Liebestante, können das<lb/><hi rendition="#g">machen. So</hi> rührend; und es war &#x017F;o komi&#x017F;ch; grad in<lb/>
&#x017F;einem äng&#x017F;tlichen Ern&#x017F;t. Sie träumt äng&#x017F;tlich, und das be-<lb/>
nutzte die Mutter: auch <hi rendition="#g">kommt</hi> es von zu vielem E&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
(In Friedrich Schlegels Philo&#x017F;ophie des Lebens i&#x017F;t das eine<lb/>
&#x017F;ehr &#x017F;chöne Stelle, wo er vom Gewi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;pricht, und von<lb/>
dem, was wir von Gott wi&#x017F;&#x017F;en können, welches wir eigent-<lb/>
lich in Zu&#x017F;ammenhang mit der Sprachfähigkeit erfahren; und<lb/>
er &#x017F;agt: ein Kind ver&#x017F;tehe zuer&#x017F;t &#x017F;eine Mutter <hi rendition="#g">nicht</hi>: und<lb/>
ver&#x017F;tehe &#x017F;ie doch; etwas davon. Wunder&#x017F;chön. Saint-Mar-<lb/>
tin&#x2019;&#x017F;ch: heiter-fromm; klar <hi rendition="#g">eing</hi>e&#x017F;ehen.) Drittens muß ich<lb/>
dir &#x017F;agen, daß Willi&#x017F;en ganz eingenommen von deinem Blü-<lb/>
cher i&#x017F;t. Spricht oft und lange davon. &#x2014; Ich habe Friedrich<lb/>
Schlegel mit Ranke&#x2019;n über &#x017F;eine Philo&#x017F;ophie des Lebens lang<lb/>
ge&#x017F;chrieben; alles was er wi&#x017F;&#x017F;en mußte: freudig&#x017F;tes Lob: und<lb/>
offenen Tadel. Nichts Verletzliches: das nicht Zu&#x017F;timmende<lb/>
mit größter Liebe, und auf das größte Gei&#x017F;tergebiet hinge&#x017F;tellt.<lb/>
Sieh&#x017F;t du ihn, &#x017F;o grüße ihn. Auch mit Willi&#x017F;en &#x017F;prach ich<lb/>
viel im höch&#x017F;ten al&#x017F;o im be&#x017F;ten Sinn von ihm. &#x2014;</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[292/0300] ſtibitzte oder erflehte und nach dem Munde brachte, ganz ängſtlich ſagte: „Werd’ ich auch nicht träumen!“ und im- mer wieder; und auch: „Laß mich aber nicht träumen!“ und ſo immerfort, bis ſie alles auf hatte, was ich nur irgend nicht geſchwinder aß. Das liebe Unſchuldskind! glaubt wirklich, wir, Große, ich, die treue Liebestante, können das machen. So rührend; und es war ſo komiſch; grad in ſeinem ängſtlichen Ernſt. Sie träumt ängſtlich, und das be- nutzte die Mutter: auch kommt es von zu vielem Eſſen. (In Friedrich Schlegels Philoſophie des Lebens iſt das eine ſehr ſchöne Stelle, wo er vom Gewiſſen ſpricht, und von dem, was wir von Gott wiſſen können, welches wir eigent- lich in Zuſammenhang mit der Sprachfähigkeit erfahren; und er ſagt: ein Kind verſtehe zuerſt ſeine Mutter nicht: und verſtehe ſie doch; etwas davon. Wunderſchön. Saint-Mar- tin’ſch: heiter-fromm; klar eingeſehen.) Drittens muß ich dir ſagen, daß Williſen ganz eingenommen von deinem Blü- cher iſt. Spricht oft und lange davon. — Ich habe Friedrich Schlegel mit Ranke’n über ſeine Philoſophie des Lebens lang geſchrieben; alles was er wiſſen mußte: freudigſtes Lob: und offenen Tadel. Nichts Verletzliches: das nicht Zuſtimmende mit größter Liebe, und auf das größte Geiſtergebiet hingeſtellt. Siehſt du ihn, ſo grüße ihn. Auch mit Williſen ſprach ich viel im höchſten alſo im beſten Sinn von ihm. —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/300
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/300>, abgerufen am 04.06.2024.