sich der gräuliche Schmerz erst nach und nach, mit jedem Tage stärker, mit allem was er vermissen ließ, und von Thätigkeit forderte, die sich auf keine erwünschte Gegen- und Zustände bezog, herber und zerstörender ein. Ein liebes Leben hatte ich verloren; und konnte mir das alte hiesige nicht wieder aneig- nen, weil es nicht mehr da war, ich dem neuen fremd, das Klima, die Kälte widersprach mir, ich ward leidend. Weil ich doch nicht zu bleiben hatte, fand ich mich auch nicht heimisch: kurz, unbehaglich: vollerregrets und souvenirs. So wollte ich durchaus nicht schreiben, bis ich etwas besseres zu melden hätte; wenigstens eine neue Bestimmung. Vergeblich: der Kongreß hielt alles in beschlußloser Ungewißheit, und noch heute -- --, bloß damit ich auch mitten im Sommer noch nicht wissen soll wohin! und ihn hier verprassen muß. Je- doch ist er schön hier bis jetzt. Unendlich viel Grün, und na- menlose Blumen in der Stadt: bis jetzt wegen passendem Re- gen kein Staub. Auch muß ich der Stadt im Winter ihre Gerechtigkeit widerfahren lassen: es ist gewiß die reichste, viel- fältigste und vielhaltigste deutsche Stadt, in Rücksicht des ge- selligen Umgangs. Mehr Frauen, die häuslich empfangen, findet man wohl außer in Paris nirgend; mehr Streben zum Wissen und Sein wohl auch schwerlich, trotz der allgemeinen Zerstörung, und neuen Aufbauung der Gesellschaft, die allent- halben zu verspüren, und auch hier nicht ohne Wirkung ist, Es war vieles hier sehr schön. Ich aber mit meinem Sinn auf's Badener Land, auf Karlsruhe, auf meine Dortigen, und die ganze Lage und Umgegend gestellt! Und nur denn sproßt Glück in der Seele, wenn wir sie nicht umzustellen ge-
ſich der gräuliche Schmerz erſt nach und nach, mit jedem Tage ſtärker, mit allem was er vermiſſen ließ, und von Thätigkeit forderte, die ſich auf keine erwünſchte Gegen- und Zuſtände bezog, herber und zerſtörender ein. Ein liebes Leben hatte ich verloren; und konnte mir das alte hieſige nicht wieder aneig- nen, weil es nicht mehr da war, ich dem neuen fremd, das Klima, die Kälte widerſprach mir, ich ward leidend. Weil ich doch nicht zu bleiben hatte, fand ich mich auch nicht heimiſch: kurz, unbehaglich: vollerregrets und souvenirs. So wollte ich durchaus nicht ſchreiben, bis ich etwas beſſeres zu melden hätte; wenigſtens eine neue Beſtimmung. Vergeblich: der Kongreß hielt alles in beſchlußloſer Ungewißheit, und noch heute — —, bloß damit ich auch mitten im Sommer noch nicht wiſſen ſoll wohin! und ihn hier verpraſſen muß. Je- doch iſt er ſchön hier bis jetzt. Unendlich viel Grün, und na- menloſe Blumen in der Stadt: bis jetzt wegen paſſendem Re- gen kein Staub. Auch muß ich der Stadt im Winter ihre Gerechtigkeit widerfahren laſſen: es iſt gewiß die reichſte, viel- fältigſte und vielhaltigſte deutſche Stadt, in Rückſicht des ge- ſelligen Umgangs. Mehr Frauen, die häuslich empfangen, findet man wohl außer in Paris nirgend; mehr Streben zum Wiſſen und Sein wohl auch ſchwerlich, trotz der allgemeinen Zerſtörung, und neuen Aufbauung der Geſellſchaft, die allent- halben zu verſpüren, und auch hier nicht ohne Wirkung iſt, Es war vieles hier ſehr ſchön. Ich aber mit meinem Sinn auf’s Badener Land, auf Karlsruhe, auf meine Dortigen, und die ganze Lage und Umgegend geſtellt! Und nur denn ſproßt Glück in der Seele, wenn wir ſie nicht umzuſtellen ge-
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ſich der gräuliche Schmerz erſt nach und nach, mit jedem Tage
ſtärker, mit allem was er vermiſſen ließ, und von Thätigkeit
forderte, die ſich auf keine erwünſchte Gegen- und Zuſtände
bezog, herber und zerſtörender ein. Ein liebes Leben hatte ich
verloren; und konnte mir das alte hieſige nicht wieder aneig-
nen, weil es nicht mehr da war, ich dem neuen fremd, das
Klima, die Kälte widerſprach mir, ich ward leidend. Weil ich
doch nicht zu bleiben hatte, fand ich mich auch nicht heimiſch:
kurz, unbehaglich: voller regrets und souvenirs. So wollte
ich durchaus nicht ſchreiben, bis ich etwas beſſeres zu melden
hätte; wenigſtens eine neue Beſtimmung. Vergeblich: der
Kongreß hielt alles in beſchlußloſer Ungewißheit, und noch
heute — —, bloß damit ich auch mitten im Sommer noch
nicht wiſſen ſoll wohin! und ihn hier verpraſſen muß. Je-
doch iſt er ſchön hier bis jetzt. Unendlich viel Grün, und na-
menloſe Blumen in der Stadt: bis jetzt wegen paſſendem Re-
gen kein Staub. Auch muß ich der Stadt im Winter ihre
Gerechtigkeit widerfahren laſſen: es iſt gewiß die reichſte, viel-
fältigſte und vielhaltigſte deutſche Stadt, in Rückſicht des ge-
ſelligen Umgangs. Mehr Frauen, die häuslich empfangen,
findet man wohl außer in Paris nirgend; mehr Streben zum
Wiſſen und Sein wohl auch ſchwerlich, trotz der allgemeinen
Zerſtörung, und neuen Aufbauung der Geſellſchaft, die allent-
halben zu verſpüren, und auch hier nicht ohne Wirkung iſt,
Es war vieles hier ſehr ſchön. Ich aber mit meinem Sinn
auf’s Badener Land, auf Karlsruhe, auf meine Dortigen,
und die ganze Lage und Umgegend geſtellt! Und nur denn
ſproßt Glück in der Seele, wenn wir ſie nicht umzuſtellen ge-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/30>, abgerufen am 27.11.2024.
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