Schmerzen, deuten. Elemente und ihre Modifikationen kön- nen nicht in's Organische kommen: physische Schmerzen; die Leiden, der Mangel, nicht richtig vertheilt werden: Seelen- schmerzen. Sie mit dieser Einsicht einwilligend tragen, mil- dert sie. Ich übernehme etwas in Gottes Natur, wenn ich leide: es wird wohl richtig sein; am besten, mildesten so: lin- dert sehr.
An Henrich Steffens, in Breslau.
Mittwoch, den 7. März 1827. 11 Uhr Morgens.
Sonnenschein; ja, aber melancholisch ist er, so hell er auch macht: er erregt Vorstellungen, Erinnerungen, die er nicht erfüllt: durch die Scheiben die angedunkelten Dächer ge- gen erhelltes Blau zu sehen, ist schön; und das Ganze der Luft, der Helligkeit, zieht wie Lichter und Lüfte des erlösten Frühlings durchs Herz; denn, jede Jahr- Monat- und Ta- geszeit hat ihre eigene Proportion von Licht und Luft. Aber dies alles geht in unorganisirtem, formlosen, krampfvollen Wetter vor sich, wo eine Art Wind, wie ein toller böser Hund, bis tief unten gekommen ist, und die Erde mit seiner Schnauze gepackt hat und zaust. So ist er -- hat man so etwas er- lebt! -- seit längerer Zeit, jetzt heftig kalt, wenn er aus Süden kommt. Seit mehreren Jahren giebt es nur noch er- löste Augenblicke, wo eine Jahrszeit herrscht, und frei ist, ohne bis in Minuten hinein mit -- beinah allen -- an- dern gemischt da zu sein, zu wirken und zu kämpfen. Ich
Schmerzen, deuten. Elemente und ihre Modifikationen kön- nen nicht in’s Organiſche kommen: phyſiſche Schmerzen; die Leiden, der Mangel, nicht richtig vertheilt werden: Seelen- ſchmerzen. Sie mit dieſer Einſicht einwilligend tragen, mil- dert ſie. Ich übernehme etwas in Gottes Natur, wenn ich leide: es wird wohl richtig ſein; am beſten, mildeſten ſo: lin- dert ſehr.
An Henrich Steffens, in Breslau.
Mittwoch, den 7. März 1827. 11 Uhr Morgens.
Sonnenſchein; ja, aber melancholiſch iſt er, ſo hell er auch macht: er erregt Vorſtellungen, Erinnerungen, die er nicht erfüllt: durch die Scheiben die angedunkelten Dächer ge- gen erhelltes Blau zu ſehen, iſt ſchön; und das Ganze der Luft, der Helligkeit, zieht wie Lichter und Lüfte des erlöſten Frühlings durchs Herz; denn, jede Jahr- Monat- und Ta- geszeit hat ihre eigene Proportion von Licht und Luft. Aber dies alles geht in unorganiſirtem, formloſen, krampfvollen Wetter vor ſich, wo eine Art Wind, wie ein toller böſer Hund, bis tief unten gekommen iſt, und die Erde mit ſeiner Schnauze gepackt hat und zauſt. So iſt er — hat man ſo etwas er- lebt! — ſeit längerer Zeit, jetzt heftig kalt, wenn er aus Süden kommt. Seit mehreren Jahren giebt es nur noch er- löſte Augenblicke, wo eine Jahrszeit herrſcht, und frei iſt, ohne bis in Minuten hinein mit — beinah allen — an- dern gemiſcht da zu ſein, zu wirken und zu kämpfen. Ich
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Schmerzen, deuten. Elemente und ihre Modifikationen kön-
nen nicht in’s Organiſche kommen: phyſiſche Schmerzen; die
Leiden, der Mangel, nicht richtig vertheilt werden: Seelen-
ſchmerzen. Sie mit dieſer Einſicht einwilligend tragen, mil-
dert ſie. Ich übernehme etwas in Gottes Natur, wenn ich
leide: es wird wohl richtig ſein; am beſten, mildeſten ſo: lin-
dert ſehr.
An Henrich Steffens, in Breslau.
Mittwoch, den 7. März 1827. 11 Uhr Morgens.
Sonnenſchein; ja, aber melancholiſch iſt er, ſo hell er
auch macht: er erregt Vorſtellungen, Erinnerungen, die er
nicht erfüllt: durch die Scheiben die angedunkelten Dächer ge-
gen erhelltes Blau zu ſehen, iſt ſchön; und das Ganze der
Luft, der Helligkeit, zieht wie Lichter und Lüfte des erlöſten
Frühlings durchs Herz; denn, jede Jahr- Monat- und Ta-
geszeit hat ihre eigene Proportion von Licht und Luft. Aber
dies alles geht in unorganiſirtem, formloſen, krampfvollen
Wetter vor ſich, wo eine Art Wind, wie ein toller böſer Hund,
bis tief unten gekommen iſt, und die Erde mit ſeiner Schnauze
gepackt hat und zauſt. So iſt er — hat man ſo etwas er-
lebt! — ſeit längerer Zeit, jetzt heftig kalt, wenn er aus
Süden kommt. Seit mehreren Jahren giebt es nur noch er-
löſte Augenblicke, wo eine Jahrszeit herrſcht, und frei iſt,
ohne bis in Minuten hinein mit — beinah allen — an-
dern gemiſcht da zu ſein, zu wirken und zu kämpfen. Ich
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/276>, abgerufen am 22.11.2024.
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