schon in der hiesigen Natur wie aus einer andern Welt nie- dergelegt sind, und das richtigste Spielwerk -- dies Wort im buchstäblichsten und edelsten Sinn -- für uns sind und bleiben: Werkeltagsnaturen geht der Sinn dafür ab: ja, er ist das Maß, wonach sie auf- und abwärts geschätzt werden können. Mich entzücken, und beschäftigen sie ewig. Dieses indische Gedicht hat im genauesten Sinn einen Gedanken in mir erweckt, über dem nur noch ein Schlummer waltete; es ist einer über Geschichte -- und was wäre nicht Geschichte am Ende, -- ich denke nämlich, es giebt zwei Arten Natio- nen, vornehme und andere. Vornehm sind alle die, deren Entwickelung auf einem Wahn beruht; einem mythologischen, religiösen, selbsterfundenen, dichterischen. Seien auch solche Nationen in noch so befestigten Kasten abgetheilt; die letzte, niedrigste, schaut doch durch alle über ihr hindurch nach der höchsten, und partizipirt davon in ihrem Unglück, in der nie- drigsten geboren zu sein. Das Leben solcher Nation bezieht sich nicht mehr auf die Nothdurft, deren vernünftiges Produkt Nützlichkeit ist; und auf Vernünftigkeit, die uns ergeben macht, die Schranken anzuerkennen. Ist es nicht besser, in Spiel und Wahn hier zu leben, da wir keins und keinen zu erfin- den vermögen, der ganz vernunftlos wäre, und so der Ver- nunft näher zu kommen; als in lauter Nutzen und Zweck uns zu bergen, und dadurch zum Wahn und Spiel zu ge- langen? Das darf man natürlich keinem Narren weiß machen: aber die Nationen sehe ich so an: die nie als solche über sich klar wissen, und sich ihren Platz anweisen können. Welch herrlich Spiel in dem Gedicht! unter Blumen, Steinen,
ſchon in der hieſigen Natur wie aus einer andern Welt nie- dergelegt ſind, und das richtigſte Spielwerk — dies Wort im buchſtäblichſten und edelſten Sinn — für uns ſind und bleiben: Werkeltagsnaturen geht der Sinn dafür ab: ja, er iſt das Maß, wonach ſie auf- und abwärts geſchätzt werden können. Mich entzücken, und beſchäftigen ſie ewig. Dieſes indiſche Gedicht hat im genaueſten Sinn einen Gedanken in mir erweckt, über dem nur noch ein Schlummer waltete; es iſt einer über Geſchichte — und was wäre nicht Geſchichte am Ende, — ich denke nämlich, es giebt zwei Arten Natio- nen, vornehme und andere. Vornehm ſind alle die, deren Entwickelung auf einem Wahn beruht; einem mythologiſchen, religiöſen, ſelbſterfundenen, dichteriſchen. Seien auch ſolche Nationen in noch ſo befeſtigten Kaſten abgetheilt; die letzte, niedrigſte, ſchaut doch durch alle über ihr hindurch nach der höchſten, und partizipirt davon in ihrem Unglück, in der nie- drigſten geboren zu ſein. Das Leben ſolcher Nation bezieht ſich nicht mehr auf die Nothdurft, deren vernünftiges Produkt Nützlichkeit iſt; und auf Vernünftigkeit, die uns ergeben macht, die Schranken anzuerkennen. Iſt es nicht beſſer, in Spiel und Wahn hier zu leben, da wir keins und keinen zu erfin- den vermögen, der ganz vernunftlos wäre, und ſo der Ver- nunft näher zu kommen; als in lauter Nutzen und Zweck uns zu bergen, und dadurch zum Wahn und Spiel zu ge- langen? Das darf man natürlich keinem Narren weiß machen: aber die Nationen ſehe ich ſo an: die nie als ſolche über ſich klar wiſſen, und ſich ihren Platz anweiſen können. Welch herrlich Spiel in dem Gedicht! unter Blumen, Steinen,
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ſchon in der hieſigen Natur wie aus einer andern Welt nie-
dergelegt ſind, und das richtigſte Spielwerk — dies Wort im
buchſtäblichſten und edelſten Sinn — für uns ſind und
bleiben: Werkeltagsnaturen geht der Sinn dafür ab: ja, er
iſt das Maß, wonach ſie auf- und abwärts geſchätzt werden
können. Mich entzücken, und beſchäftigen ſie ewig. Dieſes
indiſche Gedicht hat im genaueſten Sinn einen Gedanken in
mir erweckt, über dem nur noch ein Schlummer waltete; es
iſt einer über Geſchichte — und was wäre nicht Geſchichte
am Ende, — ich denke nämlich, es giebt zwei Arten Natio-
nen, vornehme und andere. Vornehm ſind alle die, deren
Entwickelung auf einem Wahn beruht; einem mythologiſchen,
religiöſen, ſelbſterfundenen, dichteriſchen. Seien auch ſolche
Nationen in noch ſo befeſtigten Kaſten abgetheilt; die letzte,
niedrigſte, ſchaut doch durch alle über ihr hindurch nach der
höchſten, und partizipirt davon in ihrem Unglück, in der nie-
drigſten geboren zu ſein. Das Leben ſolcher Nation bezieht
ſich nicht mehr auf die Nothdurft, deren vernünftiges Produkt
Nützlichkeit iſt; und auf Vernünftigkeit, die uns ergeben macht,
die Schranken anzuerkennen. Iſt es nicht beſſer, in Spiel
und Wahn hier zu leben, da wir keins und keinen zu erfin-
den vermögen, der ganz vernunftlos wäre, und ſo der Ver-
nunft näher zu kommen; als in lauter Nutzen und Zweck
uns zu bergen, und dadurch zum Wahn und Spiel zu ge-
langen? Das darf man natürlich keinem Narren weiß
machen: aber die Nationen ſehe ich ſo an: die nie als ſolche
über ſich klar wiſſen, und ſich ihren Platz anweiſen können.
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/252>, abgerufen am 25.11.2024.
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