digen und Lebendigen; behaglich, wohlhabend; kurz, eine solche müßte man suchen! Die Mutter eine edle Matrone. Was ich mir unter einer Bürgerdame denken kann. Ordent- lich weise; in ihrer einsichtsvollen Ruhe, in dem freiheitge- währenden Regieren! Voller Weltkenntniß, wovon nie ge- sprochen, und wonach immer ohne Unterbrechung gehandelt wird. Liebenswürdig in gediegenster Selbstständigkeit, weil sie auch alle andere Selbstständigkeit neben sich gedeihen läßt, das beweisen die lieben und doch sehr verschiedenen vier Töch- ter. Hr. G. ist in seinem reifen Alter ein guter junger Mensch von einem gesetzten Mann. Eine liebe, gesellige, wohlthuende Natur; ein englischer Mann, dem man es abmerken muß, was er alles weiß, gesehen, erlebt, gelernt hat, weil er es selbst nicht achtet, und nur Schritt vor Schritt alles, was ihn umgiebt, und sich selbst durch thätiges, aber stilles Wohl- wollen und Wohlthun erheiternd beglückt. Empfehlen Sie mich ja auch der ältern verheiratheten Tochter -- auch eine Frau von G. -- die drei unverheiratheten Töchter heißen Sophie, Rosalie, Klotilde. Eben werde ich gestört. In allen Fällen muß der Brief besorgt werden. Gehen Sie aber hin. --
(Mündlich.)
Man sprach von der Begier des Menschen nach Erkennt- niß, und daß er von den verbotenen Früchten des Baumes der Erkenntniß durchaus habe fressen wollen. Rahel fuhr mit Eifer fort: "Der Mensch ist ein Geist; der soll nicht vom Baum der Erkenntniß fressen wollen! Wovon soll er
digen und Lebendigen; behaglich, wohlhabend; kurz, eine ſolche müßte man ſuchen! Die Mutter eine edle Matrone. Was ich mir unter einer Bürgerdame denken kann. Ordent- lich weiſe; in ihrer einſichtsvollen Ruhe, in dem freiheitge- währenden Regieren! Voller Weltkenntniß, wovon nie ge- ſprochen, und wonach immer ohne Unterbrechung gehandelt wird. Liebenswürdig in gediegenſter Selbſtſtändigkeit, weil ſie auch alle andere Selbſtſtändigkeit neben ſich gedeihen läßt, das beweiſen die lieben und doch ſehr verſchiedenen vier Töch- ter. Hr. G. iſt in ſeinem reifen Alter ein guter junger Menſch von einem geſetzten Mann. Eine liebe, geſellige, wohlthuende Natur; ein engliſcher Mann, dem man es abmerken muß, was er alles weiß, geſehen, erlebt, gelernt hat, weil er es ſelbſt nicht achtet, und nur Schritt vor Schritt alles, was ihn umgiebt, und ſich ſelbſt durch thätiges, aber ſtilles Wohl- wollen und Wohlthun erheiternd beglückt. Empfehlen Sie mich ja auch der ältern verheiratheten Tochter — auch eine Frau von G. — die drei unverheiratheten Töchter heißen Sophie, Roſalie, Klotilde. Eben werde ich geſtört. In allen Fällen muß der Brief beſorgt werden. Gehen Sie aber hin. —
(Mündlich.)
Man ſprach von der Begier des Menſchen nach Erkennt- niß, und daß er von den verbotenen Früchten des Baumes der Erkenntniß durchaus habe freſſen wollen. Rahel fuhr mit Eifer fort: „Der Menſch iſt ein Geiſt; der ſoll nicht vom Baum der Erkenntniß freſſen wollen! Wovon ſoll er
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digen und Lebendigen; behaglich, wohlhabend; kurz, eine
ſolche müßte man ſuchen! Die Mutter eine edle Matrone.
Was ich mir unter einer Bürgerdame denken kann. Ordent-
lich weiſe; in ihrer einſichtsvollen Ruhe, in dem freiheitge-
währenden Regieren! Voller Weltkenntniß, wovon nie ge-
ſprochen, und wonach immer ohne Unterbrechung gehandelt
wird. Liebenswürdig in gediegenſter Selbſtſtändigkeit, weil
ſie auch alle andere Selbſtſtändigkeit neben ſich gedeihen läßt,
das beweiſen die lieben und doch ſehr verſchiedenen vier Töch-
ter. Hr. G. iſt in ſeinem reifen Alter ein guter junger Menſch
von einem geſetzten Mann. Eine liebe, geſellige, wohlthuende
Natur; ein engliſcher Mann, dem man es abmerken muß,
was er alles weiß, geſehen, erlebt, gelernt hat, weil er es
ſelbſt nicht achtet, und nur Schritt vor Schritt alles, was ihn
umgiebt, und ſich ſelbſt durch thätiges, aber ſtilles Wohl-
wollen und Wohlthun erheiternd beglückt. Empfehlen Sie
mich ja auch der ältern verheiratheten Tochter — auch eine
Frau von G. — die drei unverheiratheten Töchter heißen
Sophie, Roſalie, Klotilde. Eben werde ich geſtört. In
allen Fällen muß der Brief beſorgt werden. Gehen Sie
aber hin. —
(Mündlich.)
Man ſprach von der Begier des Menſchen nach Erkennt-
niß, und daß er von den verbotenen Früchten des Baumes
der Erkenntniß durchaus habe freſſen wollen. Rahel fuhr
mit Eifer fort: „Der Menſch iſt ein Geiſt; der ſoll nicht
vom Baum der Erkenntniß freſſen wollen! Wovon ſoll er
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/245>, abgerufen am 25.11.2024.
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