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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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Sprache, Gedanken und Wendung der Ansicht so aufduckt,
daß er immer noch wieder unterhaltend und neu in dem ar-
gen Genre wird; und dazu, glaube ich, gehört Talent. Da-
gegen gefällt mir "Dichterleben" von Tieck, in dem Almanach
Urania, gar nicht, (und par hasard nannte ich sie hier neben-
einander -- weil es mit dieser Novelle gerade die umgekehrte
Bewandtniß hat. Nichts von Religion, nichts von Jetztleben:
also die Wahl höchst vortheilhaft; und gemacht, höchst schlecht).
Wie kann ein so alter Kritiker und Würdiger so leichthin ar-
beiten? In solchem Grade, daß ich das auf der ersten Seite
merke. Der unschuldig sein sollende Page spricht in ungeschickt
gewählten Ausdrücken des Dichters, riecht Genies wie Fouque's
Pferde Heiden, in dem Zauberring. Der Wirth nennt den ar-
men -- hier armen -- Shakespear eine stille Seele?! ("Liebe
Seele.") Dirnen betragen sich polizeiwidrig, was die am er-
sten vermeiden, und dadurch denkt er sie zu karakterisiren.
Wie würde man ohne ihren Namen, den er ewig wiederholen
läßt, ahnden, daß das Stück unter Königin Elisabeth spielt,
denn bis auf Burgsdorfs Zeiten herab haben die Dichter wohl
nie so gesprochen als hier. Auch nicht ein Zug ist so, daß
er Shakespear'n angehören müßte; nur die, welche Tieck gut
kennen, erkennen sein Bemühen, ihn schildern zu wollen. Vor-
züglich Eine Art schwebt mir vor, wie ich mir Shakespear oft
denken mußte, und müßte. Er müßte ihn in kurzen sehr leb-
haften Hin- und Herreden schildern, und die Andern müßten
wider Shakespear's Willen sich so stellen, daß er endlich aus
purer Lust und Richtigkeit sie zum Narren haben müßte. Hast
du das nicht oft bei geistreichen, und geistvollen, gütigen, aber

Sprache, Gedanken und Wendung der Anſicht ſo aufduckt,
daß er immer noch wieder unterhaltend und neu in dem ar-
gen Genre wird; und dazu, glaube ich, gehört Talent. Da-
gegen gefällt mir „Dichterleben“ von Tieck, in dem Almanach
Urania, gar nicht, (und par hasard nannte ich ſie hier neben-
einander — weil es mit dieſer Novelle gerade die umgekehrte
Bewandtniß hat. Nichts von Religion, nichts von Jetztleben:
alſo die Wahl höchſt vortheilhaft; und gemacht, höchſt ſchlecht).
Wie kann ein ſo alter Kritiker und Würdiger ſo leichthin ar-
beiten? In ſolchem Grade, daß ich das auf der erſten Seite
merke. Der unſchuldig ſein ſollende Page ſpricht in ungeſchickt
gewählten Ausdrücken des Dichters, riecht Genies wie Fouqué’s
Pferde Heiden, in dem Zauberring. Der Wirth nennt den ar-
men — hier armen — Shakeſpear eine ſtille Seele?! („Liebe
Seele.“) Dirnen betragen ſich polizeiwidrig, was die am er-
ſten vermeiden, und dadurch denkt er ſie zu karakteriſiren.
Wie würde man ohne ihren Namen, den er ewig wiederholen
läßt, ahnden, daß das Stück unter Königin Eliſabeth ſpielt,
denn bis auf Burgsdorfs Zeiten herab haben die Dichter wohl
nie ſo geſprochen als hier. Auch nicht ein Zug iſt ſo, daß
er Shakeſpear’n angehören müßte; nur die, welche Tieck gut
kennen, erkennen ſein Bemühen, ihn ſchildern zu wollen. Vor-
züglich Eine Art ſchwebt mir vor, wie ich mir Shakeſpear oft
denken mußte, und müßte. Er müßte ihn in kurzen ſehr leb-
haften Hin- und Herreden ſchildern, und die Andern müßten
wider Shakeſpear’s Willen ſich ſo ſtellen, daß er endlich aus
purer Luſt und Richtigkeit ſie zum Narren haben müßte. Haſt
du das nicht oft bei geiſtreichen, und geiſtvollen, gütigen, aber

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[223/0231] Sprache, Gedanken und Wendung der Anſicht ſo aufduckt, daß er immer noch wieder unterhaltend und neu in dem ar- gen Genre wird; und dazu, glaube ich, gehört Talent. Da- gegen gefällt mir „Dichterleben“ von Tieck, in dem Almanach Urania, gar nicht, (und par hasard nannte ich ſie hier neben- einander — weil es mit dieſer Novelle gerade die umgekehrte Bewandtniß hat. Nichts von Religion, nichts von Jetztleben: alſo die Wahl höchſt vortheilhaft; und gemacht, höchſt ſchlecht). Wie kann ein ſo alter Kritiker und Würdiger ſo leichthin ar- beiten? In ſolchem Grade, daß ich das auf der erſten Seite merke. Der unſchuldig ſein ſollende Page ſpricht in ungeſchickt gewählten Ausdrücken des Dichters, riecht Genies wie Fouqué’s Pferde Heiden, in dem Zauberring. Der Wirth nennt den ar- men — hier armen — Shakeſpear eine ſtille Seele?! („Liebe Seele.“) Dirnen betragen ſich polizeiwidrig, was die am er- ſten vermeiden, und dadurch denkt er ſie zu karakteriſiren. Wie würde man ohne ihren Namen, den er ewig wiederholen läßt, ahnden, daß das Stück unter Königin Eliſabeth ſpielt, denn bis auf Burgsdorfs Zeiten herab haben die Dichter wohl nie ſo geſprochen als hier. Auch nicht ein Zug iſt ſo, daß er Shakeſpear’n angehören müßte; nur die, welche Tieck gut kennen, erkennen ſein Bemühen, ihn ſchildern zu wollen. Vor- züglich Eine Art ſchwebt mir vor, wie ich mir Shakeſpear oft denken mußte, und müßte. Er müßte ihn in kurzen ſehr leb- haften Hin- und Herreden ſchildern, und die Andern müßten wider Shakeſpear’s Willen ſich ſo ſtellen, daß er endlich aus purer Luſt und Richtigkeit ſie zum Narren haben müßte. Haſt du das nicht oft bei geiſtreichen, und geiſtvollen, gütigen, aber

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/231>, abgerufen am 23.11.2024.