R. Über die Soldaten: ich kann keine Beleidigun- gen ertragen.
Sie lachen Beide; denn dies war ein schon alter Ausruf von mir. Ich sah mit Frau von Br. zu Töplitz im Jahr 1822 den Prinzen von Hessen-Homburg aufführen. Und als der Prinz dem alten Kottwitz Muthlosigkeit vorwirft, wie der des Kurfürsten Ordre nicht übertreten will, giebt der alte Brave nach, sich zornig vertheidigend. Kottwitz spielte sehr gut. Ich fing heftig an zu weinen: meine Nachbarin sieht mich lang und verwundert an: ich wußte wohl, daß kein Mensch da weinte: und will mich vertheidigen. Vor Weinen konnte ich nicht zur Stimme kommen. "Ich will Ihnen sagen, bring' ich endlich hervor, warum ich weine;" ich denke, ich werde eine lange Rede halten, stoße aber nur die Worte mit zerbor- stenem Herzen in vollen Thränen heraus: "Ich kann keine Beleidigungen ertragen!" In demselben Augenblick lachen wir beide laut auf: ich konnte vor Lachen und Weinen gar nicht aufhören. Und noch hab' ich mir die Scene nie wieder- gedacht ohne zu lachen.
So lachten wir denn auch diesmal. Ich sage dann: "Meine hübschte Geschichte ist doch die! Die gefällt mir am besten von mir."
V. Und das jemand, der nicht grade zum erstenmal in seinem Leben im Theater ist! Ein alter Komödiengänger, und läßt sich affiziren wie ein Neuling!
R. Ja! -- das ist die Illusion; (mit der Hand auf's Herz klopfend) die muß ich in mir tragen; -- aber nicht von außen bekommen, daß ich mich als Ochse betrügen lassen soll!
R. Über die Soldaten: ich kann keine Beleidigun- gen ertragen.
Sie lachen Beide; denn dies war ein ſchon alter Ausruf von mir. Ich ſah mit Frau von Br. zu Töplitz im Jahr 1822 den Prinzen von Heſſen-Homburg aufführen. Und als der Prinz dem alten Kottwitz Muthloſigkeit vorwirft, wie der des Kurfürſten Ordre nicht übertreten will, giebt der alte Brave nach, ſich zornig vertheidigend. Kottwitz ſpielte ſehr gut. Ich fing heftig an zu weinen: meine Nachbarin ſieht mich lang und verwundert an: ich wußte wohl, daß kein Menſch da weinte: und will mich vertheidigen. Vor Weinen konnte ich nicht zur Stimme kommen. „Ich will Ihnen ſagen, bring’ ich endlich hervor, warum ich weine;“ ich denke, ich werde eine lange Rede halten, ſtoße aber nur die Worte mit zerbor- ſtenem Herzen in vollen Thränen heraus: „Ich kann keine Beleidigungen ertragen!“ In demſelben Augenblick lachen wir beide laut auf: ich konnte vor Lachen und Weinen gar nicht aufhören. Und noch hab’ ich mir die Scene nie wieder- gedacht ohne zu lachen.
So lachten wir denn auch diesmal. Ich ſage dann: „Meine hübſchte Geſchichte iſt doch die! Die gefällt mir am beſten von mir.“
V. Und das jemand, der nicht grade zum erſtenmal in ſeinem Leben im Theater iſt! Ein alter Komödiengänger, und läßt ſich affiziren wie ein Neuling!
R. Ja! — das iſt die Illuſion; (mit der Hand auf’s Herz klopfend) die muß ich in mir tragen; — aber nicht von außen bekommen, daß ich mich als Ochſe betrügen laſſen ſoll!
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R. Über die Soldaten: ich kann keine Beleidigun-
gen ertragen.
Sie lachen Beide; denn dies war ein ſchon alter Ausruf
von mir. Ich ſah mit Frau von Br. zu Töplitz im Jahr 1822
den Prinzen von Heſſen-Homburg aufführen. Und als der
Prinz dem alten Kottwitz Muthloſigkeit vorwirft, wie der des
Kurfürſten Ordre nicht übertreten will, giebt der alte Brave
nach, ſich zornig vertheidigend. Kottwitz ſpielte ſehr gut. Ich
fing heftig an zu weinen: meine Nachbarin ſieht mich lang
und verwundert an: ich wußte wohl, daß kein Menſch da
weinte: und will mich vertheidigen. Vor Weinen konnte ich
nicht zur Stimme kommen. „Ich will Ihnen ſagen, bring’
ich endlich hervor, warum ich weine;“ ich denke, ich werde
eine lange Rede halten, ſtoße aber nur die Worte mit zerbor-
ſtenem Herzen in vollen Thränen heraus: „Ich kann keine
Beleidigungen ertragen!“ In demſelben Augenblick lachen
wir beide laut auf: ich konnte vor Lachen und Weinen gar
nicht aufhören. Und noch hab’ ich mir die Scene nie wieder-
gedacht ohne zu lachen.
So lachten wir denn auch diesmal. Ich ſage dann: „Meine
hübſchte Geſchichte iſt doch die! Die gefällt mir am beſten
von mir.“
V. Und das jemand, der nicht grade zum erſtenmal in
ſeinem Leben im Theater iſt! Ein alter Komödiengänger, und
läßt ſich affiziren wie ein Neuling!
R. Ja! — das iſt die Illuſion; (mit der Hand auf’s Herz
klopfend) die muß ich in mir tragen; — aber nicht von außen
bekommen, daß ich mich als Ochſe betrügen laſſen ſoll!
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/210>, abgerufen am 22.11.2024.
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