Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Prahlerei aus; und schiebt einen wahren Anspruch von einem
Ort, wo er nicht gelten soll, auf einen andern.




An Ludwig Robert, in Karlsruhe.

Ein Wort vom Wetter und dann dein Brief. Kälte seit
gestern Nachmittag. Heute kalt mit Fenster zu. Der Him-
mel grau verschlossen. Himmelfahrtstag auf den Straßen,
gestern die Zauberflöte als Konzert bei Schleiermachers: wun-
derschön. Der Meister! dieser Zauber in dem Kopf!
Tausendmal angenehmer, als mit Tuten und Kostümen auf
den Theatern! Schade! wie oft spreche ich dreiviertel Stunden
lang über Spontini: und nun du mich danach fragst, weiß
ich grade nichts; oder äußerst wenig. Lichtenberg hat Recht:
man sollte unaufhörlich aufschreiben (ein Sonnenkuk), so rückt
man, sagt er, die Lücken zusammen, in denen einem nichts
einfällt: u. s. w. sehr schön. Lies einmal wieder seine Apho-
rismen. Sie lagen in der Gartenstube; ich habe einen Theil
durch. -- Zwei Akte von Alridvr hörte ich. Große Schön-
heiten. Die Instrumente vortrefflich behandelt. Nebeneinan-
der gebraucht er sie wie keiner; immerweg klingt es wie Ein
großes Orgelinstrument: wenn er es nicht durchaus anders
haben will: daß sich eines los reißt oder windet, wie ein
klagender, tobender, suchender Geist, oder daß er ganze Musik-
sätze übereinander stürzen läßt; wo der alte den neuen, oder

Prahlerei aus; und ſchiebt einen wahren Anſpruch von einem
Ort, wo er nicht gelten ſoll, auf einen andern.




An Ludwig Robert, in Karlsruhe.

Ein Wort vom Wetter und dann dein Brief. Kälte ſeit
geſtern Nachmittag. Heute kalt mit Fenſter zu. Der Him-
mel grau verſchloſſen. Himmelfahrtstag auf den Straßen,
geſtern die Zauberflöte als Konzert bei Schleiermachers: wun-
derſchön. Der Meiſter! dieſer Zauber in dem Kopf!
Tauſendmal angenehmer, als mit Tuten und Koſtümen auf
den Theatern! Schade! wie oft ſpreche ich dreiviertel Stunden
lang über Spontini: und nun du mich danach fragſt, weiß
ich grade nichts; oder äußerſt wenig. Lichtenberg hat Recht:
man ſollte unaufhörlich aufſchreiben (ein Sonnenkuk), ſo rückt
man, ſagt er, die Lücken zuſammen, in denen einem nichts
einfällt: u. ſ. w. ſehr ſchön. Lies einmal wieder ſeine Apho-
rismen. Sie lagen in der Gartenſtube; ich habe einen Theil
durch. — Zwei Akte von Alridvr hörte ich. Große Schön-
heiten. Die Inſtrumente vortrefflich behandelt. Nebeneinan-
der gebraucht er ſie wie keiner; immerweg klingt es wie Ein
großes Orgelinſtrument: wenn er es nicht durchaus anders
haben will: daß ſich eines los reißt oder windet, wie ein
klagender, tobender, ſuchender Geiſt, oder daß er ganze Muſik-
ſätze übereinander ſtürzen läßt; wo der alte den neuen, oder

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0204" n="196"/>
Prahlerei aus; und &#x017F;chiebt einen wahren An&#x017F;pruch von einem<lb/>
Ort, wo er nicht gelten &#x017F;oll, auf einen andern.</p><lb/>
            <dateline> <hi rendition="#et">Den 7. Mai 1825.</hi> </dateline>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Ludwig Robert, in Karlsruhe.</head><lb/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Donnerstag, 12 Uhr, den 12. Mai 1825.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Ein Wort vom Wetter und dann dein Brief. Kälte &#x017F;eit<lb/>
ge&#x017F;tern Nachmittag. Heute kalt mit Fen&#x017F;ter zu. Der Him-<lb/>
mel grau ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en. Himmelfahrtstag auf den Straßen,<lb/>
ge&#x017F;tern die Zauberflöte als Konzert bei Schleiermachers: wun-<lb/>
der&#x017F;chön. <hi rendition="#g">Der Mei&#x017F;ter!</hi> die&#x017F;er Zauber in dem Kopf!<lb/>
Tau&#x017F;endmal angenehmer, als mit Tuten und Ko&#x017F;tümen auf<lb/>
den Theatern! Schade! wie oft &#x017F;preche ich dreiviertel Stunden<lb/>
lang über Spontini: und nun du mich danach frag&#x017F;t, weiß<lb/>
ich grade nichts; oder äußer&#x017F;t wenig. Lichtenberg hat Recht:<lb/>
man &#x017F;ollte unaufhörlich auf&#x017F;chreiben (ein Sonnenkuk), &#x017F;o rückt<lb/>
man, &#x017F;agt er, die Lücken zu&#x017F;ammen, in denen einem nichts<lb/>
einfällt: u. &#x017F;. w. &#x017F;ehr &#x017F;chön. Lies einmal wieder &#x017F;eine Apho-<lb/>
rismen. Sie lagen in der Garten&#x017F;tube; ich habe einen Theil<lb/>
durch. &#x2014; Zwei Akte von Alridvr hörte ich. Große Schön-<lb/>
heiten. Die In&#x017F;trumente vortrefflich behandelt. Nebeneinan-<lb/>
der gebraucht er &#x017F;ie wie keiner; immerweg klingt es wie Ein<lb/>
großes Orgelin&#x017F;trument: wenn er es nicht durchaus anders<lb/>
haben <hi rendition="#g">will</hi>: daß &#x017F;ich eines los reißt oder windet, wie ein<lb/>
klagender, tobender, &#x017F;uchender Gei&#x017F;t, oder daß er ganze Mu&#x017F;ik-<lb/>
&#x017F;ätze übereinander &#x017F;türzen läßt; wo der alte den neuen, oder<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[196/0204] Prahlerei aus; und ſchiebt einen wahren Anſpruch von einem Ort, wo er nicht gelten ſoll, auf einen andern. Den 7. Mai 1825. An Ludwig Robert, in Karlsruhe. Donnerstag, 12 Uhr, den 12. Mai 1825. Ein Wort vom Wetter und dann dein Brief. Kälte ſeit geſtern Nachmittag. Heute kalt mit Fenſter zu. Der Him- mel grau verſchloſſen. Himmelfahrtstag auf den Straßen, geſtern die Zauberflöte als Konzert bei Schleiermachers: wun- derſchön. Der Meiſter! dieſer Zauber in dem Kopf! Tauſendmal angenehmer, als mit Tuten und Koſtümen auf den Theatern! Schade! wie oft ſpreche ich dreiviertel Stunden lang über Spontini: und nun du mich danach fragſt, weiß ich grade nichts; oder äußerſt wenig. Lichtenberg hat Recht: man ſollte unaufhörlich aufſchreiben (ein Sonnenkuk), ſo rückt man, ſagt er, die Lücken zuſammen, in denen einem nichts einfällt: u. ſ. w. ſehr ſchön. Lies einmal wieder ſeine Apho- rismen. Sie lagen in der Gartenſtube; ich habe einen Theil durch. — Zwei Akte von Alridvr hörte ich. Große Schön- heiten. Die Inſtrumente vortrefflich behandelt. Nebeneinan- der gebraucht er ſie wie keiner; immerweg klingt es wie Ein großes Orgelinſtrument: wenn er es nicht durchaus anders haben will: daß ſich eines los reißt oder windet, wie ein klagender, tobender, ſuchender Geiſt, oder daß er ganze Muſik- ſätze übereinander ſtürzen läßt; wo der alte den neuen, oder

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/204
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/204>, abgerufen am 25.11.2024.