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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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Es ist sonderbar, aber ich bin summarisch erniedrigt, beleidigt
dadurch. -- O! Gott. Wäre nicht in mir selbst so vieles her-
untergelebt, ich überlebte es nicht. Wie das sonst war!??? -- --

-- Ich las auch in den Tagen Florence Maccarthy von
Lady Morgan. Reich an talentvollen Zügen, tüchtig in ge-
meinen Karakteren, voller Verstand; eine große Kraft in dem
Plane der Geschichte, eingegeben von der liebe- und ehrenvollsten
Gesinnung, von der ehrwürdigsten Empörung, vom edelsten
Fleiß; für Spannung und Interesse gesorgt; ein bleibendes
Gemählde der Londner und aller großen Welt in unserm mo-
dernen Sinn; (nach der Abtheilung der Länder auf der Erde,
wovon jede Gegenwart am Ende abhängt,) -- das Ganze
aber mir nicht, wie sonst Lady Morgan's Werke, genügend:
die beiden edelsten Karaktere, der eine zu leidend von dem
Augenblick an, wo wir seine Bekanntschaft machen, der andre
gradzu zu thätig, zu liebhaberisch am Staunen und Wun-
dern der Andern, und der Leser. Nur mit einem Karakter
streift sie an das wahre Gehäge der Kunst: mit Oleary; da
schafft reine Eingebung, oder, was ihr allein gehören könnte,
ein Bild, ein Gebiet, welches in jedem Augenblick auch von
der wirklichsten Begebenheit in Anspruch genommen werden
könnte: und künstlerische Seelen müßten sich dann von dieser
einen Kunstgegenstand vorführen lassen, den andere Seelen
nur für noch einen von ihren Kammeraden, oder sonst Be-
kannten hielten. Dieser Roman hatte einen zu großen Zweck,
also war er eine Absicht; dies, Lady! ist seine ehrwürdige Recht-
fertigung gegen die Anklage der höchsten Poesie.



Es iſt ſonderbar, aber ich bin ſummariſch erniedrigt, beleidigt
dadurch. — O! Gott. Wäre nicht in mir ſelbſt ſo vieles her-
untergelebt, ich überlebte es nicht. Wie das ſonſt war!??? — —

— Ich las auch in den Tagen Florence Maccarthy von
Lady Morgan. Reich an talentvollen Zügen, tüchtig in ge-
meinen Karakteren, voller Verſtand; eine große Kraft in dem
Plane der Geſchichte, eingegeben von der liebe- und ehrenvollſten
Geſinnung, von der ehrwürdigſten Empörung, vom edelſten
Fleiß; für Spannung und Intereſſe geſorgt; ein bleibendes
Gemählde der Londner und aller großen Welt in unſerm mo-
dernen Sinn; (nach der Abtheilung der Länder auf der Erde,
wovon jede Gegenwart am Ende abhängt,) — das Ganze
aber mir nicht, wie ſonſt Lady Morgan’s Werke, genügend:
die beiden edelſten Karaktere, der eine zu leidend von dem
Augenblick an, wo wir ſeine Bekanntſchaft machen, der andre
gradzu zu thätig, zu liebhaberiſch am Staunen und Wun-
dern der Andern, und der Leſer. Nur mit einem Karakter
ſtreift ſie an das wahre Gehäge der Kunſt: mit Oleary; da
ſchafft reine Eingebung, oder, was ihr allein gehören könnte,
ein Bild, ein Gebiet, welches in jedem Augenblick auch von
der wirklichſten Begebenheit in Anſpruch genommen werden
könnte: und künſtleriſche Seelen müßten ſich dann von dieſer
einen Kunſtgegenſtand vorführen laſſen, den andere Seelen
nur für noch einen von ihren Kammeraden, oder ſonſt Be-
kannten hielten. Dieſer Roman hatte einen zu großen Zweck,
alſo war er eine Abſicht; dies, Lady! iſt ſeine ehrwürdige Recht-
fertigung gegen die Anklage der höchſten Poeſie.



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[12/0020] Es iſt ſonderbar, aber ich bin ſummariſch erniedrigt, beleidigt dadurch. — O! Gott. Wäre nicht in mir ſelbſt ſo vieles her- untergelebt, ich überlebte es nicht. Wie das ſonſt war!??? — — — Ich las auch in den Tagen Florence Maccarthy von Lady Morgan. Reich an talentvollen Zügen, tüchtig in ge- meinen Karakteren, voller Verſtand; eine große Kraft in dem Plane der Geſchichte, eingegeben von der liebe- und ehrenvollſten Geſinnung, von der ehrwürdigſten Empörung, vom edelſten Fleiß; für Spannung und Intereſſe geſorgt; ein bleibendes Gemählde der Londner und aller großen Welt in unſerm mo- dernen Sinn; (nach der Abtheilung der Länder auf der Erde, wovon jede Gegenwart am Ende abhängt,) — das Ganze aber mir nicht, wie ſonſt Lady Morgan’s Werke, genügend: die beiden edelſten Karaktere, der eine zu leidend von dem Augenblick an, wo wir ſeine Bekanntſchaft machen, der andre gradzu zu thätig, zu liebhaberiſch am Staunen und Wun- dern der Andern, und der Leſer. Nur mit einem Karakter ſtreift ſie an das wahre Gehäge der Kunſt: mit Oleary; da ſchafft reine Eingebung, oder, was ihr allein gehören könnte, ein Bild, ein Gebiet, welches in jedem Augenblick auch von der wirklichſten Begebenheit in Anſpruch genommen werden könnte: und künſtleriſche Seelen müßten ſich dann von dieſer einen Kunſtgegenſtand vorführen laſſen, den andere Seelen nur für noch einen von ihren Kammeraden, oder ſonſt Be- kannten hielten. Dieſer Roman hatte einen zu großen Zweck, alſo war er eine Abſicht; dies, Lady! iſt ſeine ehrwürdige Recht- fertigung gegen die Anklage der höchſten Poeſie.

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/20>, abgerufen am 24.11.2024.