Es ist sonderbar, aber ich bin summarisch erniedrigt, beleidigt dadurch. -- O! Gott. Wäre nicht in mir selbst so vieles her- untergelebt, ich überlebte es nicht. Wie das sonst war!??? -- --
-- Ich las auch in den Tagen Florence Maccarthy von Lady Morgan. Reich an talentvollen Zügen, tüchtig in ge- meinen Karakteren, voller Verstand; eine große Kraft in dem Plane der Geschichte, eingegeben von der liebe- und ehrenvollsten Gesinnung, von der ehrwürdigsten Empörung, vom edelsten Fleiß; für Spannung und Interesse gesorgt; ein bleibendes Gemählde der Londner und aller großen Welt in unserm mo- dernen Sinn; (nach der Abtheilung der Länder auf der Erde, wovon jede Gegenwart am Ende abhängt,) -- das Ganze aber mir nicht, wie sonst Lady Morgan's Werke, genügend: die beiden edelsten Karaktere, der eine zu leidend von dem Augenblick an, wo wir seine Bekanntschaft machen, der andre gradzu zu thätig, zu liebhaberisch am Staunen und Wun- dern der Andern, und der Leser. Nur mit einem Karakter streift sie an das wahre Gehäge der Kunst: mit Oleary; da schafft reine Eingebung, oder, was ihr allein gehören könnte, ein Bild, ein Gebiet, welches in jedem Augenblick auch von der wirklichsten Begebenheit in Anspruch genommen werden könnte: und künstlerische Seelen müßten sich dann von dieser einen Kunstgegenstand vorführen lassen, den andere Seelen nur für noch einen von ihren Kammeraden, oder sonst Be- kannten hielten. Dieser Roman hatte einen zu großen Zweck, also war er eine Absicht; dies, Lady! ist seine ehrwürdige Recht- fertigung gegen die Anklage der höchsten Poesie.
Es iſt ſonderbar, aber ich bin ſummariſch erniedrigt, beleidigt dadurch. — O! Gott. Wäre nicht in mir ſelbſt ſo vieles her- untergelebt, ich überlebte es nicht. Wie das ſonſt war!??? — —
— Ich las auch in den Tagen Florence Maccarthy von Lady Morgan. Reich an talentvollen Zügen, tüchtig in ge- meinen Karakteren, voller Verſtand; eine große Kraft in dem Plane der Geſchichte, eingegeben von der liebe- und ehrenvollſten Geſinnung, von der ehrwürdigſten Empörung, vom edelſten Fleiß; für Spannung und Intereſſe geſorgt; ein bleibendes Gemählde der Londner und aller großen Welt in unſerm mo- dernen Sinn; (nach der Abtheilung der Länder auf der Erde, wovon jede Gegenwart am Ende abhängt,) — das Ganze aber mir nicht, wie ſonſt Lady Morgan’s Werke, genügend: die beiden edelſten Karaktere, der eine zu leidend von dem Augenblick an, wo wir ſeine Bekanntſchaft machen, der andre gradzu zu thätig, zu liebhaberiſch am Staunen und Wun- dern der Andern, und der Leſer. Nur mit einem Karakter ſtreift ſie an das wahre Gehäge der Kunſt: mit Oleary; da ſchafft reine Eingebung, oder, was ihr allein gehören könnte, ein Bild, ein Gebiet, welches in jedem Augenblick auch von der wirklichſten Begebenheit in Anſpruch genommen werden könnte: und künſtleriſche Seelen müßten ſich dann von dieſer einen Kunſtgegenſtand vorführen laſſen, den andere Seelen nur für noch einen von ihren Kammeraden, oder ſonſt Be- kannten hielten. Dieſer Roman hatte einen zu großen Zweck, alſo war er eine Abſicht; dies, Lady! iſt ſeine ehrwürdige Recht- fertigung gegen die Anklage der höchſten Poeſie.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0020"n="12"/>
Es iſt ſonderbar, aber ich bin ſummariſch erniedrigt, beleidigt<lb/>
dadurch. — O! Gott. Wäre nicht in mir ſelbſt ſo vieles her-<lb/>
untergelebt, ich überlebte es nicht. Wie das ſonſt war!??? ——</p><lb/><p>— Ich las auch in den Tagen <hirendition="#aq">Florence Maccarthy</hi> von<lb/>
Lady Morgan. Reich an talentvollen Zügen, tüchtig in ge-<lb/>
meinen Karakteren, voller Verſtand; eine große Kraft in dem<lb/>
Plane der Geſchichte, eingegeben von der liebe- und ehrenvollſten<lb/>
Geſinnung, von der ehrwürdigſten Empörung, vom edelſten<lb/>
Fleiß; für Spannung und Intereſſe geſorgt; ein bleibendes<lb/>
Gemählde der Londner und aller großen Welt in unſerm mo-<lb/>
dernen Sinn; (nach der Abtheilung der Länder auf der Erde,<lb/>
wovon jede Gegenwart am Ende abhängt,) — das Ganze<lb/>
aber mir nicht, wie ſonſt Lady Morgan’s Werke, genügend:<lb/>
die beiden edelſten Karaktere, der eine zu leidend von <hirendition="#g">dem</hi><lb/>
Augenblick an, wo wir ſeine Bekanntſchaft machen, der andre<lb/>
gradzu zu thätig, zu liebhaberiſch am Staunen und Wun-<lb/>
dern der Andern, und der Leſer. Nur mit <hirendition="#g">einem</hi> Karakter<lb/>ſtreift ſie an das wahre Gehäge der Kunſt: mit Oleary; da<lb/>ſchafft reine Eingebung, oder, was ihr allein gehören könnte,<lb/>
ein Bild, ein Gebiet, welches in jedem Augenblick auch von<lb/>
der wirklichſten Begebenheit in Anſpruch genommen werden<lb/>
könnte: und künſtleriſche Seelen müßten ſich dann von dieſer<lb/>
einen Kunſtgegenſtand vorführen laſſen, den andere Seelen<lb/>
nur für noch einen von ihren Kammeraden, oder ſonſt Be-<lb/>
kannten hielten. Dieſer Roman hatte einen zu großen Zweck,<lb/>
alſo war er eine Abſicht; dies, Lady! iſt ſeine ehrwürdige Recht-<lb/>
fertigung gegen die Anklage der höchſten Poeſie.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></div></body></text></TEI>
[12/0020]
Es iſt ſonderbar, aber ich bin ſummariſch erniedrigt, beleidigt
dadurch. — O! Gott. Wäre nicht in mir ſelbſt ſo vieles her-
untergelebt, ich überlebte es nicht. Wie das ſonſt war!??? — —
— Ich las auch in den Tagen Florence Maccarthy von
Lady Morgan. Reich an talentvollen Zügen, tüchtig in ge-
meinen Karakteren, voller Verſtand; eine große Kraft in dem
Plane der Geſchichte, eingegeben von der liebe- und ehrenvollſten
Geſinnung, von der ehrwürdigſten Empörung, vom edelſten
Fleiß; für Spannung und Intereſſe geſorgt; ein bleibendes
Gemählde der Londner und aller großen Welt in unſerm mo-
dernen Sinn; (nach der Abtheilung der Länder auf der Erde,
wovon jede Gegenwart am Ende abhängt,) — das Ganze
aber mir nicht, wie ſonſt Lady Morgan’s Werke, genügend:
die beiden edelſten Karaktere, der eine zu leidend von dem
Augenblick an, wo wir ſeine Bekanntſchaft machen, der andre
gradzu zu thätig, zu liebhaberiſch am Staunen und Wun-
dern der Andern, und der Leſer. Nur mit einem Karakter
ſtreift ſie an das wahre Gehäge der Kunſt: mit Oleary; da
ſchafft reine Eingebung, oder, was ihr allein gehören könnte,
ein Bild, ein Gebiet, welches in jedem Augenblick auch von
der wirklichſten Begebenheit in Anſpruch genommen werden
könnte: und künſtleriſche Seelen müßten ſich dann von dieſer
einen Kunſtgegenſtand vorführen laſſen, den andere Seelen
nur für noch einen von ihren Kammeraden, oder ſonſt Be-
kannten hielten. Dieſer Roman hatte einen zu großen Zweck,
alſo war er eine Abſicht; dies, Lady! iſt ſeine ehrwürdige Recht-
fertigung gegen die Anklage der höchſten Poeſie.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/20>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.