Wenn nicht das Armselige durchaus lächerlich und lustig dargestellt werden kann, so verlangen wir von einem Theater- stück, daß es tragisch endige, und sind unbefriedigt, wenn wir gegen Ende desselben vorhersehn, es werden die uns bekannt gewordenen Personen das Werkeltagsrad weiter drehen helfen. Was ist aber tragisch? Nichts Trauriges; sondern, Erhabenes. Der Tod. Der unendlich ist; den wir einem andern Geist, als unserm, überlassen müssen.
Lies Goethe's Verse zur neuen Ausgabe Werthers. Wie große Schatten des ganzen beleuchteten Lebens, die rück- und vorwärts reichen, von reiner hoher Sonne erzeugt: traurig, wenn's nicht zu erhaben wäre! Großer Mann! Großes Na- turerzeugniß bist du Goethe. --
Den 16. Oktober 1824.
An Ludwig Robert, in Karlsruhe.
Berlin, Freitag den 26. November 1824.
Schon vorigen Winter hörte ich mehrere Musiken von Händel, und jedesmal war ich gleich erhoben und begriff nicht, wie auch nur drei Töne, für den Gesang von diesem Manne gesetzt, unausbleiblich diese Wirkung hervorbringen! Buchstäblich drei Töne. Er weiß sie anfangen zu lassen, in eine Folge zu bringen, daß sie uns jedesmal entheben und auf ein Feld der Wehmuth, der Erhabenheit und Ergebung versetzen. Lagrime; möchte man aussprechen! Was ist das?
Wenn nicht das Armſelige durchaus lächerlich und luſtig dargeſtellt werden kann, ſo verlangen wir von einem Theater- ſtück, daß es tragiſch endige, und ſind unbefriedigt, wenn wir gegen Ende deſſelben vorherſehn, es werden die uns bekannt gewordenen Perſonen das Werkeltagsrad weiter drehen helfen. Was iſt aber tragiſch? Nichts Trauriges; ſondern, Erhabenes. Der Tod. Der unendlich iſt; den wir einem andern Geiſt, als unſerm, überlaſſen müſſen.
Lies Goethe’s Verſe zur neuen Ausgabe Werthers. Wie große Schatten des ganzen beleuchteten Lebens, die rück- und vorwärts reichen, von reiner hoher Sonne erzeugt: traurig, wenn’s nicht zu erhaben wäre! Großer Mann! Großes Na- turerzeugniß biſt du Goethe. —
Den 16. Oktober 1824.
An Ludwig Robert, in Karlsruhe.
Berlin, Freitag den 26. November 1824.
Schon vorigen Winter hörte ich mehrere Muſiken von Händel, und jedesmal war ich gleich erhoben und begriff nicht, wie auch nur drei Töne, für den Geſang von dieſem Manne geſetzt, unausbleiblich dieſe Wirkung hervorbringen! Buchſtäblich drei Töne. Er weiß ſie anfangen zu laſſen, in eine Folge zu bringen, daß ſie uns jedesmal entheben und auf ein Feld der Wehmuth, der Erhabenheit und Ergebung verſetzen. Lagrime; möchte man ausſprechen! Was iſt das?
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Wenn nicht das Armſelige durchaus lächerlich und luſtig
dargeſtellt werden kann, ſo verlangen wir von einem Theater-
ſtück, daß es tragiſch endige, und ſind unbefriedigt, wenn wir
gegen Ende deſſelben vorherſehn, es werden die uns bekannt
gewordenen Perſonen das Werkeltagsrad weiter drehen helfen.
Was iſt aber tragiſch? Nichts Trauriges; ſondern, Erhabenes.
Der Tod. Der unendlich iſt; den wir einem andern Geiſt,
als unſerm, überlaſſen müſſen.
Lies Goethe’s Verſe zur neuen Ausgabe Werthers. Wie
große Schatten des ganzen beleuchteten Lebens, die rück- und
vorwärts reichen, von reiner hoher Sonne erzeugt: traurig,
wenn’s nicht zu erhaben wäre! Großer Mann! Großes Na-
turerzeugniß biſt du Goethe. —
Den 16. Oktober 1824.
An Ludwig Robert, in Karlsruhe.
Berlin, Freitag den 26. November 1824.
Schon vorigen Winter hörte ich mehrere Muſiken von
Händel, und jedesmal war ich gleich erhoben und begriff
nicht, wie auch nur drei Töne, für den Geſang von dieſem
Manne geſetzt, unausbleiblich dieſe Wirkung hervorbringen!
Buchſtäblich drei Töne. Er weiß ſie anfangen zu laſſen, in
eine Folge zu bringen, daß ſie uns jedesmal entheben und
auf ein Feld der Wehmuth, der Erhabenheit und Ergebung
verſetzen. Lagrime; möchte man ausſprechen! Was iſt das?
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/180>, abgerufen am 24.11.2024.
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