Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

ben auf großem Meer weit hin von Wind und Sturm! Das
Einzige, was mich wahrhaft noch persönlich angeht, was mir
tief in's Herz gesunken ist, unten granitschwer und dunkel
liegt: da seh' ich nicht hin, das lasse ich liegen; wie ein armer
Arbeiter, der die ganze Woche sich in Mitteln verliert, viel-
leicht den Sonntag seinen Lebenslichtern nahe kommen zu
können! Der arme Arbeiter strebt doch einem bestimmten
Zwecke nach, ist noch von sich selbst getrieben; für sich. Ich
nicht so. Ein Rechtschaffenheitsgedanke im Ganzen, dann die
tausendfach zerreißende und rein daniederschlagende Erfahrung,
wie jeder den andern in Mißgeschick verläßt; ja, nicht an-
hört; wie die menschliche Natur dahin neigen muß; -- machen
mich zum geneigten Vertrauten eines jeden; und Alle miß-
brauchen mich, und alle meine Stunden. Dieser Raub ent-
wendet mich meinem eigenen Leben. Lokal; Stellung; alte
disappointments, Wurzelschäden, mein eigner hochfahrender,
und darum biegsamer Karakter thun das Ihrige. Man ver-
gesse nicht, daß ein biegsamer Baum im Boden fest sein kann.
Gleich als ich Ihren theuern Brief las, hatte ich eine Antwort
fertig. -- Aber -- ich mußte das Wichtigste verschieben, und
erst alles obenaufliegende Leben ableben. -- -- Ich Arme
hatte Ihnen diesen Sommer, ehe Sie in Embs waren, ein
Vergnügen zugedacht; und mit heimlichen Wünschen und
Stolz dem Vater. Uns war ein junger, für den ersten Abord
schüchterner, fremder Mann, Dr. Grüneisen von Stuttgart,
aus Bremen empfohlen. Dieser hübsche junge Mann sang
so schön deutsch, wie ich es auf allen unsern Theatern --
nur das Ihrige sah ich nie, doch kenne ich Ihre Sänger --

ben auf großem Meer weit hin von Wind und Sturm! Das
Einzige, was mich wahrhaft noch perſönlich angeht, was mir
tief in’s Herz geſunken iſt, unten granitſchwer und dunkel
liegt: da ſeh’ ich nicht hin, das laſſe ich liegen; wie ein armer
Arbeiter, der die ganze Woche ſich in Mitteln verliert, viel-
leicht den Sonntag ſeinen Lebenslichtern nahe kommen zu
können! Der arme Arbeiter ſtrebt doch einem beſtimmten
Zwecke nach, iſt noch von ſich ſelbſt getrieben; für ſich. Ich
nicht ſo. Ein Rechtſchaffenheitsgedanke im Ganzen, dann die
tauſendfach zerreißende und rein daniederſchlagende Erfahrung,
wie jeder den andern in Mißgeſchick verläßt; ja, nicht an-
hört; wie die menſchliche Natur dahin neigen muß; — machen
mich zum geneigten Vertrauten eines jeden; und Alle miß-
brauchen mich, und alle meine Stunden. Dieſer Raub ent-
wendet mich meinem eigenen Leben. Lokal; Stellung; alte
disappointments, Wurzelſchäden, mein eigner hochfahrender,
und darum biegſamer Karakter thun das Ihrige. Man ver-
geſſe nicht, daß ein biegſamer Baum im Boden feſt ſein kann.
Gleich als ich Ihren theuern Brief las, hatte ich eine Antwort
fertig. — Aber — ich mußte das Wichtigſte verſchieben, und
erſt alles obenaufliegende Leben ableben. — — Ich Arme
hatte Ihnen dieſen Sommer, ehe Sie in Embs waren, ein
Vergnügen zugedacht; und mit heimlichen Wünſchen und
Stolz dem Vater. Uns war ein junger, für den erſten Abord
ſchüchterner, fremder Mann, Dr. Grüneiſen von Stuttgart,
aus Bremen empfohlen. Dieſer hübſche junge Mann ſang
ſo ſchön deutſch, wie ich es auf allen unſern Theatern —
nur das Ihrige ſah ich nie, doch kenne ich Ihre Sänger —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0176" n="168"/>
ben auf großem Meer weit hin von Wind und Sturm! Das<lb/>
Einzige, was mich wahrhaft noch per&#x017F;önlich angeht, was mir<lb/>
tief in&#x2019;s Herz ge&#x017F;unken i&#x017F;t, unten granit&#x017F;chwer und dunkel<lb/>
liegt: da &#x017F;eh&#x2019; ich nicht hin, das la&#x017F;&#x017F;e ich liegen; wie ein armer<lb/>
Arbeiter, der die ganze Woche &#x017F;ich in Mitteln verliert, viel-<lb/>
leicht den Sonntag &#x017F;einen Lebenslichtern nahe kommen zu<lb/>
können! Der arme Arbeiter &#x017F;trebt doch einem be&#x017F;timmten<lb/>
Zwecke nach, i&#x017F;t noch von &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t getrieben; für &#x017F;ich. Ich<lb/>
nicht &#x017F;o. Ein Recht&#x017F;chaffenheitsgedanke im Ganzen, dann die<lb/>
tau&#x017F;endfach zerreißende und rein danieder&#x017F;chlagende Erfahrung,<lb/>
wie jeder den andern in Mißge&#x017F;chick verläßt; ja, nicht an-<lb/>
hört; wie die men&#x017F;chliche Natur dahin neigen muß; &#x2014; machen<lb/>
mich zum geneigten Vertrauten eines jeden; und Alle miß-<lb/>
brauchen mich, und alle meine Stunden. Die&#x017F;er Raub ent-<lb/>
wendet mich meinem eigenen Leben. Lokal; Stellung; alte<lb/><hi rendition="#aq">disappointments,</hi> Wurzel&#x017F;chäden, mein eigner hochfahrender,<lb/>
und darum bieg&#x017F;amer Karakter thun das Ihrige. Man ver-<lb/>
ge&#x017F;&#x017F;e nicht, daß ein bieg&#x017F;amer Baum im Boden fe&#x017F;t &#x017F;ein kann.<lb/>
Gleich als ich Ihren theuern Brief las, hatte ich eine Antwort<lb/>
fertig. &#x2014; Aber &#x2014; ich mußte das Wichtig&#x017F;te ver&#x017F;chieben, und<lb/>
er&#x017F;t alles obenaufliegende Leben ableben. &#x2014; &#x2014; Ich Arme<lb/>
hatte Ihnen die&#x017F;en Sommer, ehe Sie in Embs waren, ein<lb/>
Vergnügen zugedacht; und mit heimlichen Wün&#x017F;chen und<lb/>
Stolz dem Vater. Uns war ein junger, für den er&#x017F;ten Abord<lb/>
&#x017F;chüchterner, fremder Mann, Dr. Grünei&#x017F;en von Stuttgart,<lb/>
aus Bremen empfohlen. Die&#x017F;er hüb&#x017F;che junge Mann &#x017F;ang<lb/>
&#x017F;o &#x017F;chön <hi rendition="#g">deut&#x017F;ch</hi>, wie ich es auf allen un&#x017F;ern Theatern &#x2014;<lb/>
nur das Ihrige &#x017F;ah ich nie, doch kenne ich Ihre Sänger &#x2014;<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[168/0176] ben auf großem Meer weit hin von Wind und Sturm! Das Einzige, was mich wahrhaft noch perſönlich angeht, was mir tief in’s Herz geſunken iſt, unten granitſchwer und dunkel liegt: da ſeh’ ich nicht hin, das laſſe ich liegen; wie ein armer Arbeiter, der die ganze Woche ſich in Mitteln verliert, viel- leicht den Sonntag ſeinen Lebenslichtern nahe kommen zu können! Der arme Arbeiter ſtrebt doch einem beſtimmten Zwecke nach, iſt noch von ſich ſelbſt getrieben; für ſich. Ich nicht ſo. Ein Rechtſchaffenheitsgedanke im Ganzen, dann die tauſendfach zerreißende und rein daniederſchlagende Erfahrung, wie jeder den andern in Mißgeſchick verläßt; ja, nicht an- hört; wie die menſchliche Natur dahin neigen muß; — machen mich zum geneigten Vertrauten eines jeden; und Alle miß- brauchen mich, und alle meine Stunden. Dieſer Raub ent- wendet mich meinem eigenen Leben. Lokal; Stellung; alte disappointments, Wurzelſchäden, mein eigner hochfahrender, und darum biegſamer Karakter thun das Ihrige. Man ver- geſſe nicht, daß ein biegſamer Baum im Boden feſt ſein kann. Gleich als ich Ihren theuern Brief las, hatte ich eine Antwort fertig. — Aber — ich mußte das Wichtigſte verſchieben, und erſt alles obenaufliegende Leben ableben. — — Ich Arme hatte Ihnen dieſen Sommer, ehe Sie in Embs waren, ein Vergnügen zugedacht; und mit heimlichen Wünſchen und Stolz dem Vater. Uns war ein junger, für den erſten Abord ſchüchterner, fremder Mann, Dr. Grüneiſen von Stuttgart, aus Bremen empfohlen. Dieſer hübſche junge Mann ſang ſo ſchön deutſch, wie ich es auf allen unſern Theatern — nur das Ihrige ſah ich nie, doch kenne ich Ihre Sänger —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/176
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/176>, abgerufen am 25.11.2024.