zelner zu handeln hatte, und Gutes und Böses aus den dun- keln Busen der Menschen eben so hervorgelassen war, dieser Mann, gleich unzähligen andern Franzosen, so vielen Schutz erhielt, so große Wohlthaten, so vielfältige Opfer; oft von Unbekannten, und am öftersten mit Gefahr ihres Lebens und der eines gräuelhaften, schmachvollen Todes. Bei dem bessern Theil dieser Nation überhaupt, kann man bemerken, welch ein Gesetz Freundschaft bei ihnen ist; wie gesetzlich sie sie behan- deln. Wie Aufopferung und Hingebung in mehreren Verhält- nissen bei ihnen festgestellt erscheinen: wie ausgebildet sie auch die ernstern Lebensformen besitzen und behandeln. In dem Ausbruch ihrer großen politischen Krankheit war das beson- ders zu bemerken; und für ihre Anerkenner, in ihrer Ruhe, wie in ihrem Kampf. Wir andern aber stehen ihnen in Güte, und der Überzeugung dessen, was wir sollen, nicht nach: und doch finde ich uns so verschieden von ihnen; auch in der Ausübung, die man die moralische nennt. Fast möchte ich sagen, der Deutsche versteht seine Gedanken, der Franzose seine Worte besser. Devoaument, sacrifice, les sentimens de la nature, das sind Sturmglocken für ein französisches Ohr; darauf kommt sein Herz zu Hülfe. Alle Franzosen verstehen alle ihre Worte -- wie oft hatte ich dies in der Revolutionsgeschichte zu bemerken, und zu bewundern! -- Wie könnte man wohl eine deutsche Volksmasse anreden, um sich verständlich zu machen, wie ihr einen Begriff, von nur städtischen Verhältnissen zum Beispiel, geben, wie ihr eine zu zerstörende Intrigue klar machen? Wie geschwind wußten jene all dies, wenn auch oft verkehrt; es war ihnen
zelner zu handeln hatte, und Gutes und Böſes aus den dun- keln Buſen der Menſchen eben ſo hervorgelaſſen war, dieſer Mann, gleich unzähligen andern Franzoſen, ſo vielen Schutz erhielt, ſo große Wohlthaten, ſo vielfältige Opfer; oft von Unbekannten, und am öfterſten mit Gefahr ihres Lebens und der eines gräuelhaften, ſchmachvollen Todes. Bei dem beſſern Theil dieſer Nation überhaupt, kann man bemerken, welch ein Geſetz Freundſchaft bei ihnen iſt; wie geſetzlich ſie ſie behan- deln. Wie Aufopferung und Hingebung in mehreren Verhält- niſſen bei ihnen feſtgeſtellt erſcheinen: wie ausgebildet ſie auch die ernſtern Lebensformen beſitzen und behandeln. In dem Ausbruch ihrer großen politiſchen Krankheit war das beſon- ders zu bemerken; und für ihre Anerkenner, in ihrer Ruhe, wie in ihrem Kampf. Wir andern aber ſtehen ihnen in Güte, und der Überzeugung deſſen, was wir ſollen, nicht nach: und doch finde ich uns ſo verſchieden von ihnen; auch in der Ausübung, die man die moraliſche nennt. Faſt möchte ich ſagen, der Deutſche verſteht ſeine Gedanken, der Franzoſe ſeine Worte beſſer. Dévoûment, sacrifice, les sentimens de la nature, das ſind Sturmglocken für ein franzöſiſches Ohr; darauf kommt ſein Herz zu Hülfe. Alle Franzoſen verſtehen alle ihre Worte — wie oft hatte ich dies in der Revolutionsgeſchichte zu bemerken, und zu bewundern! — Wie könnte man wohl eine deutſche Volksmaſſe anreden, um ſich verſtändlich zu machen, wie ihr einen Begriff, von nur ſtädtiſchen Verhältniſſen zum Beiſpiel, geben, wie ihr eine zu zerſtörende Intrigue klar machen? Wie geſchwind wußten jene all dies, wenn auch oft verkehrt; es war ihnen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0173"n="165"/>
zelner zu handeln hatte, und Gutes und Böſes aus den dun-<lb/>
keln Buſen der Menſchen eben ſo hervorgelaſſen war, dieſer<lb/>
Mann, gleich unzähligen andern Franzoſen, ſo vielen Schutz<lb/>
erhielt, ſo große Wohlthaten, ſo vielfältige Opfer; oft von<lb/>
Unbekannten, und am öfterſten mit Gefahr ihres Lebens und<lb/>
der eines gräuelhaften, ſchmachvollen Todes. Bei dem beſſern<lb/>
Theil dieſer Nation überhaupt, kann man bemerken, welch ein<lb/>
Geſetz Freundſchaft bei ihnen iſt; wie geſetzlich ſie ſie behan-<lb/>
deln. Wie Aufopferung und Hingebung in mehreren Verhält-<lb/>
niſſen bei ihnen feſtgeſtellt erſcheinen: wie ausgebildet ſie auch<lb/>
die ernſtern Lebensformen beſitzen und behandeln. In dem<lb/>
Ausbruch ihrer großen politiſchen Krankheit war das beſon-<lb/>
ders zu bemerken; und für ihre Anerkenner, in ihrer Ruhe,<lb/>
wie in ihrem Kampf. Wir andern aber ſtehen ihnen in<lb/>
Güte, und der Überzeugung deſſen, was wir ſollen, nicht nach:<lb/>
und doch finde ich uns ſo verſchieden von ihnen; auch in der<lb/>
Ausübung, die man die moraliſche nennt. Faſt möchte ich<lb/>ſagen, <hirendition="#g">der Deutſche verſteht ſeine Gedanken, der<lb/>
Franzoſe ſeine Worte beſſer</hi>. <hirendition="#aq">Dévoûment, sacrifice,<lb/>
les sentimens de la nature,</hi> das ſind Sturmglocken für ein<lb/>
franzöſiſches Ohr; darauf kommt ſein Herz zu Hülfe. Alle<lb/>
Franzoſen verſtehen alle ihre Worte — wie oft hatte ich dies<lb/>
in der Revolutionsgeſchichte zu bemerken, und zu bewundern!<lb/>— Wie könnte man wohl eine <hirendition="#g">deutſche</hi> Volksmaſſe anreden,<lb/>
um ſich verſtändlich zu machen, wie ihr einen Begriff, von<lb/>
nur ſtädtiſchen Verhältniſſen zum Beiſpiel, geben, wie ihr<lb/>
eine zu zerſtörende Intrigue klar machen? Wie geſchwind<lb/>
wußten jene all dies, wenn auch oft verkehrt; es war ihnen<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[165/0173]
zelner zu handeln hatte, und Gutes und Böſes aus den dun-
keln Buſen der Menſchen eben ſo hervorgelaſſen war, dieſer
Mann, gleich unzähligen andern Franzoſen, ſo vielen Schutz
erhielt, ſo große Wohlthaten, ſo vielfältige Opfer; oft von
Unbekannten, und am öfterſten mit Gefahr ihres Lebens und
der eines gräuelhaften, ſchmachvollen Todes. Bei dem beſſern
Theil dieſer Nation überhaupt, kann man bemerken, welch ein
Geſetz Freundſchaft bei ihnen iſt; wie geſetzlich ſie ſie behan-
deln. Wie Aufopferung und Hingebung in mehreren Verhält-
niſſen bei ihnen feſtgeſtellt erſcheinen: wie ausgebildet ſie auch
die ernſtern Lebensformen beſitzen und behandeln. In dem
Ausbruch ihrer großen politiſchen Krankheit war das beſon-
ders zu bemerken; und für ihre Anerkenner, in ihrer Ruhe,
wie in ihrem Kampf. Wir andern aber ſtehen ihnen in
Güte, und der Überzeugung deſſen, was wir ſollen, nicht nach:
und doch finde ich uns ſo verſchieden von ihnen; auch in der
Ausübung, die man die moraliſche nennt. Faſt möchte ich
ſagen, der Deutſche verſteht ſeine Gedanken, der
Franzoſe ſeine Worte beſſer. Dévoûment, sacrifice,
les sentimens de la nature, das ſind Sturmglocken für ein
franzöſiſches Ohr; darauf kommt ſein Herz zu Hülfe. Alle
Franzoſen verſtehen alle ihre Worte — wie oft hatte ich dies
in der Revolutionsgeſchichte zu bemerken, und zu bewundern!
— Wie könnte man wohl eine deutſche Volksmaſſe anreden,
um ſich verſtändlich zu machen, wie ihr einen Begriff, von
nur ſtädtiſchen Verhältniſſen zum Beiſpiel, geben, wie ihr
eine zu zerſtörende Intrigue klar machen? Wie geſchwind
wußten jene all dies, wenn auch oft verkehrt; es war ihnen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/173>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.