oder mitgewählt haben. Ist man nicht schon jetzt mehr, mehr Person, umfassenderen Geistes, je mehr Persönlichkeiten man umfaßt und einsieht? Geist ist nicht Seele, ist nicht Person; mit dem sehen wir nur unsere Person.
Es ist mir ganz unbegreiflich, wie Novalis über Wil- helm Meister spricht. Hingegen erklärt mir dies mein ganzes Mißfallen an seinem Ofterdingen. "Die Musen im Meister werden," nach Novalis, "zu Komödiantinnen gemacht;" -- "Es läßt sich fragen, wer am meisten verliert, ob der Adel, daß er zur Poesie gerechnet, oder die Poesie, daß sie vom Adel repräsentirt wird;" -- "Wilhelm Meister ist eigentlich ein Kandide, gegen die Poesie gerichtet; das Buch ist undich- terisch in einem hohen Grade, was den Geist betrifft, so poe- tisch auch die Darstellung ist." Es entschlüpft ihm, unter dem Guß von Reden, zu sagen: "Die Ökonomie ist merkwürdig, wodurch es mit prosaischem wohlfeilen Stoff einen poetischen Effekt erreicht."
Im Ofterdingen und ähnlichen Unternehmungen herrscht das Bemühen zu zeigen, was Poesie ist: und daher werden diese Anfertigungen grade höchst unpoetisch. Poesie ist in der Natur: das will sagen: da, wo unser Geist ein Freies, Bedeutungsvolles wahrzunehmen vermag; also auch in der Natur der Begebenheiten und den Vorfällen des menschlichen Lebens, und folglich in der Schilderung derselben. Diese täg- lich zu schauenden Weltereignisse, in einem beliebigen Raum, wie in Email, zwar klein und fein gemahlt, doch faßlichst, farbeglänzend, deutlichst und klar dargestellt, in Weitblick er-
oder mitgewählt haben. Iſt man nicht ſchon jetzt mehr, mehr Perſon, umfaſſenderen Geiſtes, je mehr Perſönlichkeiten man umfaßt und einſieht? Geiſt iſt nicht Seele, iſt nicht Perſon; mit dem ſehen wir nur unſere Perſon.
Es iſt mir ganz unbegreiflich, wie Novalis über Wil- helm Meiſter ſpricht. Hingegen erklärt mir dies mein ganzes Mißfallen an ſeinem Ofterdingen. „Die Muſen im Meiſter werden,“ nach Novalis, „zu Komödiantinnen gemacht;“ — „Es läßt ſich fragen, wer am meiſten verliert, ob der Adel, daß er zur Poeſie gerechnet, oder die Poeſie, daß ſie vom Adel repräſentirt wird;“ — „Wilhelm Meiſter iſt eigentlich ein Kandide, gegen die Poeſie gerichtet; das Buch iſt undich- teriſch in einem hohen Grade, was den Geiſt betrifft, ſo poe- tiſch auch die Darſtellung iſt.“ Es entſchlüpft ihm, unter dem Guß von Reden, zu ſagen: „Die Ökonomie iſt merkwürdig, wodurch es mit proſaiſchem wohlfeilen Stoff einen poetiſchen Effekt erreicht.“
Im Ofterdingen und ähnlichen Unternehmungen herrſcht das Bemühen zu zeigen, was Poeſie iſt: und daher werden dieſe Anfertigungen grade höchſt unpoetiſch. Poeſie iſt in der Natur: das will ſagen: da, wo unſer Geiſt ein Freies, Bedeutungsvolles wahrzunehmen vermag; alſo auch in der Natur der Begebenheiten und den Vorfällen des menſchlichen Lebens, und folglich in der Schilderung derſelben. Dieſe täg- lich zu ſchauenden Weltereigniſſe, in einem beliebigen Raum, wie in Email, zwar klein und fein gemahlt, doch faßlichſt, farbeglänzend, deutlichſt und klar dargeſtellt, in Weitblick er-
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oder mitgewählt haben. Iſt man nicht ſchon jetzt mehr, mehr
Perſon, umfaſſenderen Geiſtes, je mehr Perſönlichkeiten man
umfaßt und einſieht? Geiſt iſt nicht Seele, iſt nicht Perſon;
mit dem ſehen wir nur unſere Perſon.
Es iſt mir ganz unbegreiflich, wie Novalis über Wil-
helm Meiſter ſpricht. Hingegen erklärt mir dies mein ganzes
Mißfallen an ſeinem Ofterdingen. „Die Muſen im Meiſter
werden,“ nach Novalis, „zu Komödiantinnen gemacht;“ —
„Es läßt ſich fragen, wer am meiſten verliert, ob der Adel,
daß er zur Poeſie gerechnet, oder die Poeſie, daß ſie vom
Adel repräſentirt wird;“ — „Wilhelm Meiſter iſt eigentlich
ein Kandide, gegen die Poeſie gerichtet; das Buch iſt undich-
teriſch in einem hohen Grade, was den Geiſt betrifft, ſo poe-
tiſch auch die Darſtellung iſt.“ Es entſchlüpft ihm, unter dem
Guß von Reden, zu ſagen: „Die Ökonomie iſt merkwürdig,
wodurch es mit proſaiſchem wohlfeilen Stoff einen poetiſchen
Effekt erreicht.“
Im Ofterdingen und ähnlichen Unternehmungen herrſcht
das Bemühen zu zeigen, was Poeſie iſt: und daher werden
dieſe Anfertigungen grade höchſt unpoetiſch. Poeſie iſt in
der Natur: das will ſagen: da, wo unſer Geiſt ein Freies,
Bedeutungsvolles wahrzunehmen vermag; alſo auch in der
Natur der Begebenheiten und den Vorfällen des menſchlichen
Lebens, und folglich in der Schilderung derſelben. Dieſe täg-
lich zu ſchauenden Weltereigniſſe, in einem beliebigen Raum,
wie in Email, zwar klein und fein gemahlt, doch faßlichſt,
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/145>, abgerufen am 27.11.2024.
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