die Betrachtung ist es beinah schon so. Und da tritt wieder Goethens: "Ist es nicht sonderbar, daß uns nicht allein das Unmögliche, sondern auch so manches Mögliche versagt ist!" ein. Dieser Knoten bedingt all unser Leben: folglich, das be- liebige Bild davon, den Roman. Wollen wir diesen Knoten auflösen, so wird ein Leitfaden zum göttlichen Willen; wir leben nicht weiter, und beugen uns im Herzen. Dies sind Gebete; diese sind aber nur Aufflüge -- elans --, die Erde grünt, wir stehen darauf, die Sonne scheint: wir haben sie und nichts gemacht: und sie genießen und betrachten ist ein anderes Beten. Alles ist recht, wenn man nur ehrlich ist; und sich Verwirrung abwehrt. Diese Stelle aus Jean Pauls Titan hat mich sehr betroffen: "Solche Unähnlichkeiten" -- er hatte sie benannt, sie waren tiefer als groß -- "schlagen unter ge- bildeten Menschen nie zu offenen Fehden aus: aber sie legen heimlich dem inneren Menschen ein Waffenstück nach dem an- dern an, bis er hartgepanzert dasteht und losschlägt." Daß er hartgepanzert mit einemmale dasteht, traf mich so sehr. Mild, und gepanzert, fand ich mich seit ganz kurzem. Ein- sehend, warum man nicht so viel fordern muß; und sehr ge- neigt zu leisten, was nur gebraucht werden kann: das andere aber nicht. Wenn ich milde sage, so meine ich das wie von einem Wetter; mir wird dabei gut zu Muthe: ich stimme mich nicht milde gegen Menschen; ich finde bloß gutes Wetter in mir: zur Erquickung und endlichem Ausruhen. Heilsame Ge- danken bereiten ein solches Gemüthswetter, sie kommen wie belebende Lüfte aus unbekannten Welten; und finden bearbei- teten Boden. Ich sehe grade jetzt meine ganzen Lebensschick-
die Betrachtung iſt es beinah ſchon ſo. Und da tritt wieder Goethens: „Iſt es nicht ſonderbar, daß uns nicht allein das Unmögliche, ſondern auch ſo manches Mögliche verſagt iſt!“ ein. Dieſer Knoten bedingt all unſer Leben: folglich, das be- liebige Bild davon, den Roman. Wollen wir dieſen Knoten auflöſen, ſo wird ein Leitfaden zum göttlichen Willen; wir leben nicht weiter, und beugen uns im Herzen. Dies ſind Gebete; dieſe ſind aber nur Aufflüge — élans —, die Erde grünt, wir ſtehen darauf, die Sonne ſcheint: wir haben ſie und nichts gemacht: und ſie genießen und betrachten iſt ein anderes Beten. Alles iſt recht, wenn man nur ehrlich iſt; und ſich Verwirrung abwehrt. Dieſe Stelle aus Jean Pauls Titan hat mich ſehr betroffen: „Solche Unähnlichkeiten“ — er hatte ſie benannt, ſie waren tiefer als groß — „ſchlagen unter ge- bildeten Menſchen nie zu offenen Fehden aus: aber ſie legen heimlich dem inneren Menſchen ein Waffenſtück nach dem an- dern an, bis er hartgepanzert daſteht und losſchlägt.“ Daß er hartgepanzert mit einemmale daſteht, traf mich ſo ſehr. Mild, und gepanzert, fand ich mich ſeit ganz kurzem. Ein- ſehend, warum man nicht ſo viel fordern muß; und ſehr ge- neigt zu leiſten, was nur gebraucht werden kann: das andere aber nicht. Wenn ich milde ſage, ſo meine ich das wie von einem Wetter; mir wird dabei gut zu Muthe: ich ſtimme mich nicht milde gegen Menſchen; ich finde bloß gutes Wetter in mir: zur Erquickung und endlichem Ausruhen. Heilſame Ge- danken bereiten ein ſolches Gemüthswetter, ſie kommen wie belebende Lüfte aus unbekannten Welten; und finden bearbei- teten Boden. Ich ſehe grade jetzt meine ganzen Lebensſchick-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0143"n="135"/>
die Betrachtung iſt es beinah ſchon ſo. Und da tritt wieder<lb/>
Goethens: „Iſt es nicht ſonderbar, daß uns nicht allein das<lb/>
Unmögliche, ſondern auch ſo manches Mögliche verſagt iſt!“<lb/>
ein. Dieſer Knoten bedingt all unſer Leben: folglich, das be-<lb/>
liebige Bild davon, den Roman. Wollen wir dieſen Knoten<lb/>
auflöſen, ſo wird ein Leitfaden zum göttlichen Willen; wir<lb/>
leben nicht weiter, und beugen uns im Herzen. Dies ſind<lb/>
Gebete; dieſe ſind aber nur Aufflüge —<hirendition="#aq">élans</hi>—, die Erde<lb/>
grünt, wir ſtehen darauf, die Sonne ſcheint: wir haben ſie<lb/>
und nichts gemacht: und ſie genießen und betrachten iſt ein<lb/>
anderes Beten. Alles iſt recht, wenn man nur ehrlich iſt; und<lb/>ſich Verwirrung abwehrt. Dieſe Stelle aus Jean Pauls Titan<lb/>
hat mich ſehr betroffen: „Solche Unähnlichkeiten“— er hatte<lb/>ſie benannt, ſie waren tiefer als groß —„ſchlagen unter ge-<lb/>
bildeten Menſchen nie zu offenen Fehden aus: aber ſie legen<lb/>
heimlich dem inneren Menſchen ein Waffenſtück nach dem an-<lb/>
dern an, bis er hartgepanzert daſteht und losſchlägt.“ Daß<lb/>
er hartgepanzert mit einemmale daſteht, traf mich ſo ſehr.<lb/>
Mild, und gepanzert, fand ich mich ſeit ganz kurzem. Ein-<lb/>ſehend, warum man nicht ſo viel fordern muß; und ſehr ge-<lb/>
neigt zu leiſten, was nur gebraucht werden kann: das andere<lb/>
aber nicht. Wenn ich milde ſage, ſo meine ich das wie von<lb/>
einem Wetter; mir wird dabei gut zu Muthe: ich ſtimme mich<lb/>
nicht milde gegen Menſchen; ich finde bloß gutes Wetter in<lb/>
mir: zur Erquickung und endlichem Ausruhen. Heilſame Ge-<lb/>
danken bereiten ein ſolches Gemüthswetter, ſie kommen wie<lb/>
belebende Lüfte aus unbekannten Welten; und finden bearbei-<lb/>
teten Boden. Ich ſehe grade jetzt meine ganzen Lebensſchick-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[135/0143]
die Betrachtung iſt es beinah ſchon ſo. Und da tritt wieder
Goethens: „Iſt es nicht ſonderbar, daß uns nicht allein das
Unmögliche, ſondern auch ſo manches Mögliche verſagt iſt!“
ein. Dieſer Knoten bedingt all unſer Leben: folglich, das be-
liebige Bild davon, den Roman. Wollen wir dieſen Knoten
auflöſen, ſo wird ein Leitfaden zum göttlichen Willen; wir
leben nicht weiter, und beugen uns im Herzen. Dies ſind
Gebete; dieſe ſind aber nur Aufflüge — élans —, die Erde
grünt, wir ſtehen darauf, die Sonne ſcheint: wir haben ſie
und nichts gemacht: und ſie genießen und betrachten iſt ein
anderes Beten. Alles iſt recht, wenn man nur ehrlich iſt; und
ſich Verwirrung abwehrt. Dieſe Stelle aus Jean Pauls Titan
hat mich ſehr betroffen: „Solche Unähnlichkeiten“ — er hatte
ſie benannt, ſie waren tiefer als groß — „ſchlagen unter ge-
bildeten Menſchen nie zu offenen Fehden aus: aber ſie legen
heimlich dem inneren Menſchen ein Waffenſtück nach dem an-
dern an, bis er hartgepanzert daſteht und losſchlägt.“ Daß
er hartgepanzert mit einemmale daſteht, traf mich ſo ſehr.
Mild, und gepanzert, fand ich mich ſeit ganz kurzem. Ein-
ſehend, warum man nicht ſo viel fordern muß; und ſehr ge-
neigt zu leiſten, was nur gebraucht werden kann: das andere
aber nicht. Wenn ich milde ſage, ſo meine ich das wie von
einem Wetter; mir wird dabei gut zu Muthe: ich ſtimme mich
nicht milde gegen Menſchen; ich finde bloß gutes Wetter in
mir: zur Erquickung und endlichem Ausruhen. Heilſame Ge-
danken bereiten ein ſolches Gemüthswetter, ſie kommen wie
belebende Lüfte aus unbekannten Welten; und finden bearbei-
teten Boden. Ich ſehe grade jetzt meine ganzen Lebensſchick-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/143>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.