den Autoren nicht dankt, und sie durch die Darlegung des Unmöglichen, das sie klar gemacht haben, zu widerlegen meint.
Berlin, den 7. Februar 1824.
Ich habe mich heut recht geschämt, als ich es mit einem- male einsah, daß die meisten Menschen, wie "all die andern Thiere der Erde, wandeln und weiden im dunklen Genuß." Ohne einen Gedanken an höhere Möglichkeit; ohne Ehrfurcht vor Erschaffenem, und ohne wahre Ergebung in Unverständ- liches, wahrhaft Unendliches. Ohne Herz für Geschöpfe; ohne Freud' und Leid eigentlich; weder verabscheuend, noch ent- zückt. Wahrhaft nur den Schritt vor sich wandelnd, und weidegierig, und weideberuhigt; und beglückt, je nachdem Kü- chenweide und Zimmerweide. Dürftig, ostentativ; kalt, kalt! dünkelvoll. Zum Todtschämen, wenn man sich ein wenig bes- ser finden muß.
Wenn wir nur wissen, wie eingeschränkt wir auf der Erde sind! Dessen müssen wir uns in allen Stücken im- mer wieder erinnern.
Ein Stein kann eine Geschichte haben, aber nur eine Krea- tur mit Bewußtsein ein Schicksal. Die meisten Menschen ha- ben nur eine Geschichte.
Was uns geschieht, im Gegensatz betrachtet von dem, was wir thun können, ist wieder nur geistige Thätigkeit; und den Theil, den wir als nicht unserer That anheimfallend in un- serm Erlebten ansehen, nennen wir Schicksal. In einem hö- hern Sinn müssen wir uns dem ganz entziehen können. Für
den Autoren nicht dankt, und ſie durch die Darlegung des Unmöglichen, das ſie klar gemacht haben, zu widerlegen meint.
Berlin, den 7. Februar 1824.
Ich habe mich heut recht geſchämt, als ich es mit einem- male einſah, daß die meiſten Menſchen, wie „all die andern Thiere der Erde, wandeln und weiden im dunklen Genuß.“ Ohne einen Gedanken an höhere Möglichkeit; ohne Ehrfurcht vor Erſchaffenem, und ohne wahre Ergebung in Unverſtänd- liches, wahrhaft Unendliches. Ohne Herz für Geſchöpfe; ohne Freud’ und Leid eigentlich; weder verabſcheuend, noch ent- zückt. Wahrhaft nur den Schritt vor ſich wandelnd, und weidegierig, und weideberuhigt; und beglückt, je nachdem Kü- chenweide und Zimmerweide. Dürftig, oſtentativ; kalt, kalt! dünkelvoll. Zum Todtſchämen, wenn man ſich ein wenig beſ- ſer finden muß.
Wenn wir nur wiſſen, wie eingeſchränkt wir auf der Erde ſind! Deſſen müſſen wir uns in allen Stücken im- mer wieder erinnern.
Ein Stein kann eine Geſchichte haben, aber nur eine Krea- tur mit Bewußtſein ein Schickſal. Die meiſten Menſchen ha- ben nur eine Geſchichte.
Was uns geſchieht, im Gegenſatz betrachtet von dem, was wir thun können, iſt wieder nur geiſtige Thätigkeit; und den Theil, den wir als nicht unſerer That anheimfallend in un- ſerm Erlebten anſehen, nennen wir Schickſal. In einem hö- hern Sinn müſſen wir uns dem ganz entziehen können. Für
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den Autoren nicht dankt, und ſie durch die Darlegung des
Unmöglichen, das ſie klar gemacht haben, zu widerlegen meint.
Berlin, den 7. Februar 1824.
Ich habe mich heut recht geſchämt, als ich es mit einem-
male einſah, daß die meiſten Menſchen, wie „all die andern
Thiere der Erde, wandeln und weiden im dunklen Genuß.“
Ohne einen Gedanken an höhere Möglichkeit; ohne Ehrfurcht
vor Erſchaffenem, und ohne wahre Ergebung in Unverſtänd-
liches, wahrhaft Unendliches. Ohne Herz für Geſchöpfe; ohne
Freud’ und Leid eigentlich; weder verabſcheuend, noch ent-
zückt. Wahrhaft nur den Schritt vor ſich wandelnd, und
weidegierig, und weideberuhigt; und beglückt, je nachdem Kü-
chenweide und Zimmerweide. Dürftig, oſtentativ; kalt, kalt!
dünkelvoll. Zum Todtſchämen, wenn man ſich ein wenig beſ-
ſer finden muß.
Wenn wir nur wiſſen, wie eingeſchränkt wir auf der Erde
ſind! Deſſen müſſen wir uns in allen Stücken im-
mer wieder erinnern.
Ein Stein kann eine Geſchichte haben, aber nur eine Krea-
tur mit Bewußtſein ein Schickſal. Die meiſten Menſchen ha-
ben nur eine Geſchichte.
Was uns geſchieht, im Gegenſatz betrachtet von dem, was
wir thun können, iſt wieder nur geiſtige Thätigkeit; und den
Theil, den wir als nicht unſerer That anheimfallend in un-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/142>, abgerufen am 26.11.2024.
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