Väter Flinten tragend, und halbe Stunden vorausschreitend. Erst fürchtete ich mich vor den Flinten -- Losgehen -- und begriff es nicht. Aber redender erfuhr ich alles: Damen, Kna- ben, Frauen, junge Mädels, alles wurde angeredet; sehr gerne antworten sie hier, mit einer Art freudigem Stolz höflich ge- fragt zu werden. Große Spazirgänger sind sie hier. Mir gefiel die Brücke, die Aussicht, der Abend: ein grauer, mit rothdurchschossenen Wolken. Um 4 Uhr ging ich; dachte an dich; und immerweg, wie du da mitgingest, -- und was du wohl thust. -- Alles in deinen Briefen goutirte ich: nichts, kein Scherz, keine Liebe, keine Mühe ist verloren, alles einge- pflanzt im Herzen, zur ersten Frühlingssonne! -- Eine vor- treffliche Promenade habe ich durch die Stadt gemacht, die wahrlich eine der hübschesten Provinzstädte ist; reinlich, tüch- tig; sicher, frei; herrliche Häuser: und ein Spazirgang, wie ihn wenige größere Orte aufzuweisen haben: einen Park und eine Linden in der Stadt. So heißen die Orte: ich verstarrte ganz. Ich war mit Doren allein. Mein Vergnügen. Alle gute Bürger fahren spaziren, wie in Berlin. Die Stadt würde dich sehr freuen und erstaunen, wie mich. --
-- Ich lese also Walter Scott. Bin im zweiten Theil, und es geht mir in diesem Buche, wie in seinen andern. Große Ungeduld; wenn auch etwas Neugierde, von einer Art Interesse erregt, so viel zuwege bringt, daß ich das Buch in die Hand nehme. Welch ein Unterschied! Pestalozzi schildert auch in Lienhard und Gertrud niedrige Zustände, Umstände, und niedrige Menschen; und überhaupt Geringes, wenn man will. Aber aus welchem Herzenspunkt, aus welcher Veranlas-
Väter Flinten tragend, und halbe Stunden vorausſchreitend. Erſt fürchtete ich mich vor den Flinten — Losgehen — und begriff es nicht. Aber redender erfuhr ich alles: Damen, Kna- ben, Frauen, junge Mädels, alles wurde angeredet; ſehr gerne antworten ſie hier, mit einer Art freudigem Stolz höflich ge- fragt zu werden. Große Spazirgänger ſind ſie hier. Mir gefiel die Brücke, die Ausſicht, der Abend: ein grauer, mit rothdurchſchoſſenen Wolken. Um 4 Uhr ging ich; dachte an dich; und immerweg, wie du da mitgingeſt, — und was du wohl thuſt. — Alles in deinen Briefen goutirte ich: nichts, kein Scherz, keine Liebe, keine Mühe iſt verloren, alles einge- pflanzt im Herzen, zur erſten Frühlingsſonne! — Eine vor- treffliche Promenade habe ich durch die Stadt gemacht, die wahrlich eine der hübſcheſten Provinzſtädte iſt; reinlich, tüch- tig; ſicher, frei; herrliche Häuſer: und ein Spazirgang, wie ihn wenige größere Orte aufzuweiſen haben: einen Park und eine Linden in der Stadt. So heißen die Orte: ich verſtarrte ganz. Ich war mit Doren allein. Mein Vergnügen. Alle gute Bürger fahren ſpaziren, wie in Berlin. Die Stadt würde dich ſehr freuen und erſtaunen, wie mich. —
— Ich leſe alſo Walter Scott. Bin im zweiten Theil, und es geht mir in dieſem Buche, wie in ſeinen andern. Große Ungeduld; wenn auch etwas Neugierde, von einer Art Intereſſe erregt, ſo viel zuwege bringt, daß ich das Buch in die Hand nehme. Welch ein Unterſchied! Peſtalozzi ſchildert auch in Lienhard und Gertrud niedrige Zuſtände, Umſtände, und niedrige Menſchen; und überhaupt Geringes, wenn man will. Aber aus welchem Herzenspunkt, aus welcher Veranlaſ-
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Väter Flinten tragend, und halbe Stunden vorausſchreitend.
Erſt fürchtete ich mich vor den Flinten — Losgehen — und
begriff es nicht. Aber redender erfuhr ich alles: Damen, Kna-
ben, Frauen, junge Mädels, alles wurde angeredet; ſehr gerne
antworten ſie hier, mit einer Art freudigem Stolz höflich ge-
fragt zu werden. Große Spazirgänger ſind ſie hier. Mir
gefiel die Brücke, die Ausſicht, der Abend: ein grauer, mit
rothdurchſchoſſenen Wolken. Um 4 Uhr ging ich; dachte an
dich; und immerweg, wie du da mitgingeſt, — und was du
wohl thuſt. — Alles in deinen Briefen goutirte ich: nichts,
kein Scherz, keine Liebe, keine Mühe iſt verloren, alles einge-
pflanzt im Herzen, zur erſten Frühlingsſonne! — Eine vor-
treffliche Promenade habe ich durch die Stadt gemacht, die
wahrlich eine der hübſcheſten Provinzſtädte iſt; reinlich, tüch-
tig; ſicher, frei; herrliche Häuſer: und ein Spazirgang, wie
ihn wenige größere Orte aufzuweiſen haben: einen Park und
eine Linden in der Stadt. So heißen die Orte: ich verſtarrte
ganz. Ich war mit Doren allein. Mein Vergnügen. Alle
gute Bürger fahren ſpaziren, wie in Berlin. Die Stadt würde
dich ſehr freuen und erſtaunen, wie mich. —
— Ich leſe alſo Walter Scott. Bin im zweiten Theil,
und es geht mir in dieſem Buche, wie in ſeinen andern.
Große Ungeduld; wenn auch etwas Neugierde, von einer Art
Intereſſe erregt, ſo viel zuwege bringt, daß ich das Buch in
die Hand nehme. Welch ein Unterſchied! Peſtalozzi ſchildert
auch in Lienhard und Gertrud niedrige Zuſtände, Umſtände,
und niedrige Menſchen; und überhaupt Geringes, wenn man
will. Aber aus welchem Herzenspunkt, aus welcher Veranlaſ-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/133>, abgerufen am 25.11.2024.
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