Lieber Varnhagen! Ich habe dich heute sehr lieb! Wenn du wüßtest bei welchem Geschrei zu Gott, ich deiner heute ge- dachte, dich wünschte: dein ganzer Werth, dein bestes Sein mir gegenwärtig ward! Doch dies ein andermal; ich bin zu fatiguirt!
-- -- An dich dacht' ich; an dich wollt' ich mich lehnen, in deinen Armen diese Thränen weinen; dies schreien. Ich erwarte sehnlichst deine Antwort. Es ist 12 Nachts. Ich schreibe jetzt nur, um dich inständigst zu bitten, eh er nach Wien verschwindet, dem Hrn. von Nostitz ja seinen Traum von Prinz Louis und Schillers Geisterseher abzufragen, und ihn genau aufzuschreiben! Auch laß dir Louis's Tod genau erzählen, und schreib' ihn auch auf. Mir erzählte er beides göttlich: so naiv, so darstellend, so unbewußt schön: so natür- lich; mahn' ihn an, daß er's wieder so mache: aber sag' ihm nicht, zu welchem Zwecke. Er liebt es gewiß nicht. Ich fand ihn sehr zu seinem Vortheil verändert. Einfache, angenehme, kriegerische Haltung; wahrhaft einfach, angenehm. Unschul-
II. 1
An Varnhagen, in Prag.
Donnerstag, den 9. Januar 1812.
Lieber Varnhagen! Ich habe dich heute ſehr lieb! Wenn du wüßteſt bei welchem Geſchrei zu Gott, ich deiner heute ge- dachte, dich wünſchte: dein ganzer Werth, dein beſtes Sein mir gegenwärtig ward! Doch dies ein andermal; ich bin zu fatiguirt!
— — An dich dacht’ ich; an dich wollt’ ich mich lehnen, in deinen Armen dieſe Thränen weinen; dies ſchreien. Ich erwarte ſehnlichſt deine Antwort. Es iſt 12 Nachts. Ich ſchreibe jetzt nur, um dich inſtändigſt zu bitten, eh er nach Wien verſchwindet, dem Hrn. von Noſtitz ja ſeinen Traum von Prinz Louis und Schillers Geiſterſeher abzufragen, und ihn genau aufzuſchreiben! Auch laß dir Louis’s Tod genau erzählen, und ſchreib’ ihn auch auf. Mir erzählte er beides göttlich: ſo naiv, ſo darſtellend, ſo unbewußt ſchön: ſo natür- lich; mahn’ ihn an, daß er’s wieder ſo mache: aber ſag’ ihm nicht, zu welchem Zwecke. Er liebt es gewiß nicht. Ich fand ihn ſehr zu ſeinem Vortheil verändert. Einfache, angenehme, kriegeriſche Haltung; wahrhaft einfach, angenehm. Unſchul-
II. 1
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An Varnhagen, in Prag.
Donnerstag, den 9. Januar 1812.
Lieber Varnhagen! Ich habe dich heute ſehr lieb! Wenn
du wüßteſt bei welchem Geſchrei zu Gott, ich deiner heute ge-
dachte, dich wünſchte: dein ganzer Werth, dein beſtes Sein
mir gegenwärtig ward! Doch dies ein andermal; ich bin zu
fatiguirt!
— — An dich dacht’ ich; an dich wollt’ ich mich lehnen,
in deinen Armen dieſe Thränen weinen; dies ſchreien. Ich
erwarte ſehnlichſt deine Antwort. Es iſt 12 Nachts. Ich
ſchreibe jetzt nur, um dich inſtändigſt zu bitten, eh er nach
Wien verſchwindet, dem Hrn. von Noſtitz ja ſeinen Traum
von Prinz Louis und Schillers Geiſterſeher abzufragen, und
ihn genau aufzuſchreiben! Auch laß dir Louis’s Tod genau
erzählen, und ſchreib’ ihn auch auf. Mir erzählte er beides
göttlich: ſo naiv, ſo darſtellend, ſo unbewußt ſchön: ſo natür-
lich; mahn’ ihn an, daß er’s wieder ſo mache: aber ſag’ ihm
nicht, zu welchem Zwecke. Er liebt es gewiß nicht. Ich fand
ihn ſehr zu ſeinem Vortheil verändert. Einfache, angenehme,
kriegeriſche Haltung; wahrhaft einfach, angenehm. Unſchul-
II. 1
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/9>, abgerufen am 22.11.2024.
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