Hofleute seiner Nation; in einfacher Kleidung, die, obschon vornehmer Gesellschaftsrock, oder gar Kourkleidung, doch schon sehr nach dem nachherigen englischen Anzug hinneigte: er trug ein leicht gekraust gepudertes Toupet, Haarbeutel, Schuhe und Strümpfe, und dazu passende Kleider; ohne Gold, Silber, noch Stickerei. Er hatte dunkle, lebhafte Augen, die mit star- ken Augenbraunen dennoch weich blickten; war pockennarbig, und breiter, aber nicht feister Gestalt; er hatte das Ansehen, wie Einer, der viel, und mit Vielen gelebt hat; auch bewegte er sich mehr, als die Leute von seiner Klasse pflegen: denn er hatte nichts Kompassirtes; er zeigte sich in den gleichgültig- sten, und kleinsten Bewegungen seiner Person, als sehr thätig, und als Einer, der alles selbst untersucht, kennen lernt, und ergründet; so gebrauchte er seine Lorgnette, und ich möchte sagen sein ganzes Ich. Er ging in die deutsche Komödie, in die Koulissen: und brachte täglich seine Briefe selbst auf die Post, wo ich ihn zu halben und ganzen Stunden verweilen sah, während eine Dame und sein achtjähriger Sohn ihn im Wagen erwarteten. Mein Vater zeigte ihn mir als Nichts, als den Grafen Mirabeau; ich wußte gar nichts von ihm: und um so zuverlässiger traue ich meinem damaligen Urtheil: er machte einen guten Eindruck auf mich: obgleich er mir alt, und nicht niedlich und hübsch vorkam; weil ich fast ein Kind war, und nur blonde schlanke Menschen liebte. Weiter weiß ich mich nichts zu erinnren: er sah auch aus, als Einer, der viel gelitten und diskutirt hatte.
II. 5
Hofleute ſeiner Nation; in einfacher Kleidung, die, obſchon vornehmer Geſellſchaftsrock, oder gar Kourkleidung, doch ſchon ſehr nach dem nachherigen engliſchen Anzug hinneigte: er trug ein leicht gekrauſt gepudertes Toupet, Haarbeutel, Schuhe und Strümpfe, und dazu paſſende Kleider; ohne Gold, Silber, noch Stickerei. Er hatte dunkle, lebhafte Augen, die mit ſtar- ken Augenbraunen dennoch weich blickten; war pockennarbig, und breiter, aber nicht feiſter Geſtalt; er hatte das Anſehen, wie Einer, der viel, und mit Vielen gelebt hat; auch bewegte er ſich mehr, als die Leute von ſeiner Klaſſe pflegen: denn er hatte nichts Kompaſſirtes; er zeigte ſich in den gleichgültig- ſten, und kleinſten Bewegungen ſeiner Perſon, als ſehr thätig, und als Einer, der alles ſelbſt unterſucht, kennen lernt, und ergründet; ſo gebrauchte er ſeine Lorgnette, und ich möchte ſagen ſein ganzes Ich. Er ging in die deutſche Komödie, in die Kouliſſen: und brachte täglich ſeine Briefe ſelbſt auf die Poſt, wo ich ihn zu halben und ganzen Stunden verweilen ſah, während eine Dame und ſein achtjähriger Sohn ihn im Wagen erwarteten. Mein Vater zeigte ihn mir als Nichts, als den Grafen Mirabeau; ich wußte gar nichts von ihm: und um ſo zuverläſſiger traue ich meinem damaligen Urtheil: er machte einen guten Eindruck auf mich: obgleich er mir alt, und nicht niedlich und hübſch vorkam; weil ich faſt ein Kind war, und nur blonde ſchlanke Menſchen liebte. Weiter weiß ich mich nichts zu erinnren: er ſah auch aus, als Einer, der viel gelitten und diskutirt hatte.
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Hofleute ſeiner Nation; in einfacher Kleidung, die, obſchon
vornehmer Geſellſchaftsrock, oder gar Kourkleidung, doch ſchon
ſehr nach dem nachherigen engliſchen Anzug hinneigte: er trug
ein leicht gekrauſt gepudertes Toupet, Haarbeutel, Schuhe und
Strümpfe, und dazu paſſende Kleider; ohne Gold, Silber,
noch Stickerei. Er hatte dunkle, lebhafte Augen, die mit ſtar-
ken Augenbraunen dennoch weich blickten; war pockennarbig,
und breiter, aber nicht feiſter Geſtalt; er hatte das Anſehen,
wie Einer, der viel, und mit Vielen gelebt hat; auch bewegte
er ſich mehr, als die Leute von ſeiner Klaſſe pflegen: denn er
hatte nichts Kompaſſirtes; er zeigte ſich in den gleichgültig-
ſten, und kleinſten Bewegungen ſeiner Perſon, als ſehr thätig,
und als Einer, der alles ſelbſt unterſucht, kennen lernt, und
ergründet; ſo gebrauchte er ſeine Lorgnette, und ich möchte
ſagen ſein ganzes Ich. Er ging in die deutſche Komödie, in
die Kouliſſen: und brachte täglich ſeine Briefe ſelbſt auf die
Poſt, wo ich ihn zu halben und ganzen Stunden verweilen
ſah, während eine Dame und ſein achtjähriger Sohn ihn im
Wagen erwarteten. Mein Vater zeigte ihn mir als Nichts,
als den Grafen Mirabeau; ich wußte gar nichts von ihm:
und um ſo zuverläſſiger traue ich meinem damaligen Urtheil:
er machte einen guten Eindruck auf mich: obgleich er mir alt,
und nicht niedlich und hübſch vorkam; weil ich faſt ein Kind
war, und nur blonde ſchlanke Menſchen liebte. Weiter weiß
ich mich nichts zu erinnren: er ſah auch aus, als Einer, der
viel gelitten und diskutirt hatte.
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/73>, abgerufen am 22.11.2024.
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