Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

mit Wohlgefallen spielten; in ihrem Sinne, als wäre es
Shakspearischer Witz; und hervorkehrten, wohl ärger noch,
als es der Verfasser konzipirte, und sich recht drin wälzten,
ohne doch eine nur verständliche Persönlichkeit hervorzubrin-
gen, sondern bloße Bretterunart, und sonst gar nichts. Eßlair
müßte solche Aufführungen tilgen helfen; und nicht sie beför-
dern, veranlassen. Auch war es denn leider ganz leer zu mei-
nem Schrecke: obgleich er ungesehen dies verdiente. -- Er
sieht trotz eines schlechtern Anzugs, als wir hier zu sehen ge-
wöhnt sind, nicht wie ein Histrion, sondern wie ein Mensch
aus; mit beweglichem regsamen Blick und Mienenspiel, läng-
lich geschnittenen Augen, die er auch wohlgeübt zu gebrau-
chen weiß; wie er überhaupt die Bretter kennt, und unend-
lich viel gespielt hat, und Beifall gewohnt ist. Er hat eine
hohe Hervengestalt, und muß Halbgötter und phantastische
Menschen sehr schön darstellen; eine Stimme wie ich sie nie
hörte, mit einer so umfassenden, in allen Tönen einnehmenden
Skala. (Als er gestern Morgen einen Augenblick bei mir
gewesen, und wegging, sagte Dore: "Ein hübscher Mann!" --
Ja! -- "Und er hat so was Sanftmüthiges an sich." Sie
wußte es nicht zu nennen, und meinte nur die Götterstimme.)
Eine Nüance von Vornehmheit fehlt ihm, jetzt-zeitiger möcht'
ich sie nennen, die man, wenigstens ich, nach den ersten fünf
Bewegungen vermißte. Schöne Füße für so große Gestalt,
die jedoch nicht hinderlich erscheint; und gar kein eitles Spiel
für Publikum; so ist er öfters mit dem Rücken gegen die Zu-
schauer gekehrt, welches mir sehr wohlgefällt, ich immer wünsche,
und nicht begreife warum darin die Schauspieler so viel be-

mit Wohlgefallen ſpielten; in ihrem Sinne, als wäre es
Shakſpeariſcher Witz; und hervorkehrten, wohl ärger noch,
als es der Verfaſſer konzipirte, und ſich recht drin wälzten,
ohne doch eine nur verſtändliche Perſönlichkeit hervorzubrin-
gen, ſondern bloße Bretterunart, und ſonſt gar nichts. Eßlair
müßte ſolche Aufführungen tilgen helfen; und nicht ſie beför-
dern, veranlaſſen. Auch war es denn leider ganz leer zu mei-
nem Schrecke: obgleich er ungeſehen dies verdiente. — Er
ſieht trotz eines ſchlechtern Anzugs, als wir hier zu ſehen ge-
wöhnt ſind, nicht wie ein Hiſtrion, ſondern wie ein Menſch
aus; mit beweglichem regſamen Blick und Mienenſpiel, läng-
lich geſchnittenen Augen, die er auch wohlgeübt zu gebrau-
chen weiß; wie er überhaupt die Bretter kennt, und unend-
lich viel geſpielt hat, und Beifall gewohnt iſt. Er hat eine
hohe Hervengeſtalt, und muß Halbgötter und phantaſtiſche
Menſchen ſehr ſchön darſtellen; eine Stimme wie ich ſie nie
hörte, mit einer ſo umfaſſenden, in allen Tönen einnehmenden
Skala. (Als er geſtern Morgen einen Augenblick bei mir
geweſen, und wegging, ſagte Dore: „Ein hübſcher Mann!“ —
Ja! — „Und er hat ſo was Sanftmüthiges an ſich.“ Sie
wußte es nicht zu nennen, und meinte nur die Götterſtimme.)
Eine Nüance von Vornehmheit fehlt ihm, jetzt-zeitiger möcht’
ich ſie nennen, die man, wenigſtens ich, nach den erſten fünf
Bewegungen vermißte. Schöne Füße für ſo große Geſtalt,
die jedoch nicht hinderlich erſcheint; und gar kein eitles Spiel
für Publikum; ſo iſt er öfters mit dem Rücken gegen die Zu-
ſchauer gekehrt, welches mir ſehr wohlgefällt, ich immer wünſche,
und nicht begreife warum darin die Schauſpieler ſo viel be-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0069" n="61"/>
mit Wohlgefallen &#x017F;pielten; in ihrem Sinne, als wäre es<lb/>
Shak&#x017F;peari&#x017F;cher Witz; und hervorkehrten, wohl ärger noch,<lb/>
als es der Verfa&#x017F;&#x017F;er konzipirte, und &#x017F;ich recht drin wälzten,<lb/>
ohne doch eine nur ver&#x017F;tändliche Per&#x017F;önlichkeit hervorzubrin-<lb/>
gen, &#x017F;ondern bloße Bretterunart, und &#x017F;on&#x017F;t gar nichts. Eßlair<lb/>
müßte &#x017F;olche Aufführungen tilgen helfen; und nicht &#x017F;ie beför-<lb/>
dern, veranla&#x017F;&#x017F;en. Auch war es denn leider ganz leer zu mei-<lb/>
nem Schrecke: obgleich er <hi rendition="#g">ung</hi>e&#x017F;ehen <hi rendition="#g">dies</hi> verdiente. &#x2014; Er<lb/>
&#x017F;ieht trotz eines &#x017F;chlechtern Anzugs, als wir hier zu &#x017F;ehen ge-<lb/>
wöhnt &#x017F;ind, nicht wie ein Hi&#x017F;trion, &#x017F;ondern wie ein Men&#x017F;ch<lb/>
aus; mit beweglichem reg&#x017F;amen Blick und Mienen&#x017F;piel, läng-<lb/>
lich ge&#x017F;chnittenen Augen, die er auch wohlgeübt zu gebrau-<lb/>
chen weiß; wie er überhaupt die Bretter kennt, und unend-<lb/>
lich viel ge&#x017F;pielt hat, und Beifall gewohnt i&#x017F;t. Er hat eine<lb/>
hohe Hervenge&#x017F;talt, und muß Halbgötter und phanta&#x017F;ti&#x017F;che<lb/>
Men&#x017F;chen &#x017F;ehr &#x017F;chön dar&#x017F;tellen; eine Stimme wie ich &#x017F;ie nie<lb/>
hörte, mit einer &#x017F;o umfa&#x017F;&#x017F;enden, in allen Tönen einnehmenden<lb/>
Skala. (Als er ge&#x017F;tern Morgen einen Augenblick bei mir<lb/>
gewe&#x017F;en, und wegging, &#x017F;agte Dore: &#x201E;Ein hüb&#x017F;cher Mann!&#x201C; &#x2014;<lb/>
Ja! &#x2014; &#x201E;Und er hat &#x017F;o was Sanftmüthiges an &#x017F;ich.&#x201C; Sie<lb/>
wußte es nicht zu nennen, und meinte nur die Götter&#x017F;timme.)<lb/>
Eine Nüance von Vornehmheit fehlt ihm, jetzt-zeitiger möcht&#x2019;<lb/>
ich &#x017F;ie nennen, die man, wenig&#x017F;tens ich, nach den er&#x017F;ten fünf<lb/>
Bewegungen vermißte. Schöne Füße für &#x017F;o große Ge&#x017F;talt,<lb/>
die jedoch nicht hinderlich er&#x017F;cheint; und gar kein eitles Spiel<lb/>
für Publikum; &#x017F;o i&#x017F;t er öfters mit dem Rücken gegen die Zu-<lb/>
&#x017F;chauer gekehrt, welches mir &#x017F;ehr wohlgefällt, ich immer wün&#x017F;che,<lb/>
und nicht begreife warum darin die Schau&#x017F;pieler &#x017F;o viel be-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[61/0069] mit Wohlgefallen ſpielten; in ihrem Sinne, als wäre es Shakſpeariſcher Witz; und hervorkehrten, wohl ärger noch, als es der Verfaſſer konzipirte, und ſich recht drin wälzten, ohne doch eine nur verſtändliche Perſönlichkeit hervorzubrin- gen, ſondern bloße Bretterunart, und ſonſt gar nichts. Eßlair müßte ſolche Aufführungen tilgen helfen; und nicht ſie beför- dern, veranlaſſen. Auch war es denn leider ganz leer zu mei- nem Schrecke: obgleich er ungeſehen dies verdiente. — Er ſieht trotz eines ſchlechtern Anzugs, als wir hier zu ſehen ge- wöhnt ſind, nicht wie ein Hiſtrion, ſondern wie ein Menſch aus; mit beweglichem regſamen Blick und Mienenſpiel, läng- lich geſchnittenen Augen, die er auch wohlgeübt zu gebrau- chen weiß; wie er überhaupt die Bretter kennt, und unend- lich viel geſpielt hat, und Beifall gewohnt iſt. Er hat eine hohe Hervengeſtalt, und muß Halbgötter und phantaſtiſche Menſchen ſehr ſchön darſtellen; eine Stimme wie ich ſie nie hörte, mit einer ſo umfaſſenden, in allen Tönen einnehmenden Skala. (Als er geſtern Morgen einen Augenblick bei mir geweſen, und wegging, ſagte Dore: „Ein hübſcher Mann!“ — Ja! — „Und er hat ſo was Sanftmüthiges an ſich.“ Sie wußte es nicht zu nennen, und meinte nur die Götterſtimme.) Eine Nüance von Vornehmheit fehlt ihm, jetzt-zeitiger möcht’ ich ſie nennen, die man, wenigſtens ich, nach den erſten fünf Bewegungen vermißte. Schöne Füße für ſo große Geſtalt, die jedoch nicht hinderlich erſcheint; und gar kein eitles Spiel für Publikum; ſo iſt er öfters mit dem Rücken gegen die Zu- ſchauer gekehrt, welches mir ſehr wohlgefällt, ich immer wünſche, und nicht begreife warum darin die Schauſpieler ſo viel be-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/69
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/69>, abgerufen am 21.11.2024.